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„Wir zahlen Steuern für Kampfflugzeuge, die irgendwo auf der Welt Familien auslöschen"

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Interconti Hotel, Hamburg, Interviewmarathontag zum dritten Album „Maya“ von M.I.A., bürgerlich Maya Arulpragasam, macht Mittag. Es gibt Gulasch. Und zwar gleich einen großen Topf davon, den die Londonerin mit Eltern aus Sri Lanka und derzeitigem Wohnsitz LA hungrig per Suppenlöffel bearbeitet. Allerdings konzentriert sich die 34-jährige nicht nur auf ihre Mahlzeit. Maya, die mit dem Amerikaner Ben Bronfman verlobt ist und vor gut einem Jahr Mutter eines Sohnes wurde und die 2005 mit dem nach ihrem Rebellenvater „Arular“ benannten Album für ihren radikalen Electrodancerap gefeiert wurde, teilt fröhlich schmatzend ihre teils nicht unheiklen Ansichten mit. jetzt.de: Maya, vor wenigen Tagen ist der US-Soldat verhaftet worden, der ein geheimes Video von einer Attacke seiner Armee auf unschuldige Zivilisten im Irak ins Netz gestellt hat. Maya:Eine unfassbare Geschichte. Er ist im Gefängnis, weil er der Welt gezeigt hat, wie die US-Regierung reihenweise unschuldige Menschen, sogar Kinder, massakriert. Ich hoffe, dass noch viel mehr solcher Clips an die Öffentlichkeit gelangen. Basiert dein „Born free“-Video, das ebenfalls ein Gemetzel von amerikanischen Soldaten an der Zivilbevölkerung zeigt, auf dieser Geschichte? Indirekt spielte das eine Rolle. Und der Wirbel um mein Video verdeutlicht zusätzlich, was für Lügner und Zensoren die Amerikaner in Wirklichkeit sind. Ich meine, ist die Army nicht im Irak oder in Afghanistan, um die dortige Bevölkerung vor den sogenannten Terorristen zu schützen? Nur, wer schützt die Bevölkerung vor der US-Army? Uns soll der Mund verboten werden, uns soll nicht erlaubt werden, Fragen zu stellen. Was natürlich eine deiner Spezialitäten ist. Kann sein. Und mein Video ist ein Diskussionsbeitrag zur Diskussion um die Armee, die Terroristen, all die Heuchelei, all die Widerwärtigkeit der US-amerikanischen Kriegsführung. Wir sind uns ja sicher alle einig, dass Videos wie jenes auf Wikileaks weitaus schockierender sind als mein „Born free“-Clip mit ein bisschen Tomatenketchup. Möglich, dass mein Video mehr Aufsehen und mehr Presse generiert. Aber dafür soll Kunst ja auch gut sein. Wikileaks ist nicht bei Perez Hilton und auf allen möglichen Mode- und Kulturblogs. Mein Video zu „Born free“ sehr wohl. Meine Arbeit macht gerade jungen Menschen diese Zusammenhänge deutlich. Ist das eine deiner Missionen - Krieg, Terror und Politik zu Popkultur zu machen? Ja. Ich will diese Dinge den Menschen näher bringen. Denn sie sollten nah dran sein, diese Scheiße geht jeden an, der Teil unserer Gesellschaft ist. Indirekt zahlen wir Steuern für Kampfflugzeuge, die irgendwo auf der Welt Familien auslöschen. Siehst du dich als Aktivistin? Nicht wirklich. Ich bin eher eine Zivilistin, die denselben Kampf kämpft. Stimmt es eigentlich, dass du nach dem zweiten Album „Kala“ übers Aufhören nachgedacht hast? Nachgedacht habe ich tatsächlich darüber. Nun unterstützt mich Ben aber wirklich wunderbar. So einen Mann hatte ich vorher nie. Und daher fällt es mir leichter, meine Musik und mein Leben zu vereinen. Ich hätte auch Angst, dass mein Sohn mich später dafür hasst, dass ich die Musik aufgegeben hätte und nur noch zuhause sitze und herummaule. Ich will ihm lieber beibringen, wie man unabhängig und fleißig ist. Manchmal ist es auch ärgerlich, wenn du der einzige tamilische Mensch bist, der mit seiner Kunst in der Öffentlichkeit steht. Das bürdet dir sehr viel Verantwortung auf. Ich weiß, dass die Regierung von Sri Lanka mich gerne weg haben möchte. Und das spornt mich wiederum an. Ich werde denen nicht den Gefallen tun, zu verschwinden. Ich bin der Stachel in ihrem Fleisch. Was ist die Entstehungsgeschichte deines Albums „Maya“? Ich habe die Ideen aufgenommen, die ich hatte. Dabei hatte ich mit dem Druck zu kämpfen, mich vom Niveau her nicht runterziehen zu lassen durch den Erfolg. Ich hatte Angst, ich könnte oberflächlich werden. Dazu kam, dass ich mich von der US-Regierung ausspioniert fühlte und eine kleine Paranoia entwickelte. Davon handelt „The Message“ und einige Songs mehr. Ich will frei sein, ohne Restriktionen leben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Fördert es deine Kreativität, wenn das FBI dich beobachtet oder nervt das einfach nur? Nun ja, ein bisschen von beidem. Denn diese Dinge betreffen mein persönliches Leben. Mein Verlobter ist Amerikaner, mein Sohn ist Amerikaner. Der britische Teil meiner Familie wiederum wird an der Einreise in die USA gehindert, weil man ihn für radikal hält. Das ist hart. Auch ich selbst habe immer wieder Probleme bei der Ein- und Ausreise, mein aktuelles Visum gilt nur bis Ende des Jahres. Was in Amerika passiert, liegt daran, dass sie einfach Angst haben, ihre Vormachtstellung zu verlieren. Die USA fühlen sich in ihrer Überlegenheit bedroht, und das wahrscheinlich auch zurecht. Dazu kommt: Sie wissen nicht viel vom Ausland. Dem Volk kann man jede Menge Unsinn erzählen, von wegen, dass die USA den Rest der Welt rettet und befreit und immer noch reich ist. Naja. Du könntest es dir einfacher machen. Absolut. Ich könnte einfach mein Maul halten, ein schönes Kleid anziehen, den Popstar spielen und über die roten Teppiche laufen. Ich könnte bequem sein. Aber das wäre zugleich mein Ende als Künstlerin. Die Situation ist seltsam. Dein Leben ist geprägt von Extremen. Du bist ein Flüchtling des Bürgerkriegs in Sri Lanka, bei dem du auf der Seite der Tamilen standest. Auf der anderen Seite besuchtest du in London eine renommierte Kunsthochschule und lebst jetzt mit dem amerikanischen Milliardärserben Ben Bronfman in einem Reichenviertel von Los Angeles. Bist du dir bewusst, dass dein Leben sehr außergewöhnlich ist? Schon. Wobei sich vieles in meinem Leben einfach ergeben hat. Ich hatte keine andere Wahl, als damals mit meinen Eltern von London wieder nach Sri Lanka zu gehen. Ich hatte auch keine Wahl, als ich von dort flüchten musste. In England habe ich dann das Beste aus meiner Lage und meinen Talenten gemacht. Jetzt lebe ich in den USA, weil ich mit einem Amerikaner zusammen bin. Was nicht heißt, dass ich alles unterstütze, was die USA machen. Ganz und gar nicht. Und ich bin immer noch ein Mensch, der seine Meinungsfreiheit sehr ernst nimmt, selbst wenn der amerikanische Geheimdienst meine Meinung nicht schätzt. Ist deine Arbeit immer noch Therapie? Yeah. Kreativität ist immer eine Form der Auseinandersetzung mit seinen eigenen Schatten, seinen Macken und seinen Dämonen. Man kann das als Therapie bezeichnen. Die Dämonen verschwinden dann zwar nie ganz, aber sie werden beherrschbar. Während immer wieder neue Dämone auftauchen. Welche denn bei dir? Der relative Erfolg. Mein Song „Paper Planes“ war 2008 ein ziemlicher Mainstreamhit, was dazu führen kann, dass mehr Leute bestimmte Erwartungen daran haben, was ich mache, wie ich mich gebe, wie ich mir die Haare schneiden lasse, was ich sage undsoweiter. Ich will nicht, dass der Preis für Erfolg der ist, dass man sein Schaffen verwässern muss. Weil es heißt, dass die Massen doof sind und man denen nichts vorsetzen darf, was kompliziert ist und sie überfordert oder verwirrt. Das ist wirklich, wirklich ärgerlich für mich. Also wird es keine Kompromisse von dir geben, um doppelt so viele Platten zu verkaufen? Nein, keine Kompromisse. Mir sind die 300.000 Leute wichtiger, die meine Musik pur und unverfälscht bekommen können als die vielleicht zwei Millionen, die irgendein weichgespültes Produkt hören würden, das unpersönlich und nicht ehrlich und nicht durchdacht ist. Bist du auf dem dritten Album „Maya“ nicht dennoch in der Mainstreamwelt angekommen? Mainstream ist eine interessante Idee. Weil ich nicht weiß, was der Begriff genau bedeutet. Falls Mainstream heißt „saftlose und seelenlose Arbeit von Robotern, die für nichts steht und nichts bedeutet“, dann will ich dem Mainstream nicht einmal nahe kommen. Ich will Musik machen, die unbequem ist. Ich kümmere mich nicht darum, was gerade trendy ist. Es kann auch sein, dass ich Angst davor habe, zu kommerziell zu werden. Denn dann bin ich plötzlich im Wettbewerb mit Leuten wie Will.i.am. Und ich will nicht der weibliche Will.i.am werden. Selbst wenn „Boom Boom Pow“ ein verdammt guter Song ist. Deine kommende Single „XXXO“ hört sich trotzdem an wie ein Hit. Okay, aber sie hört sich an wie ein cooler Hit und nicht wie ein Scheißhit.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das Album „Maya“ von M.I.A. erscheint am 9. Juli bei Beggars

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