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"Ich google nicht nach meinen Bewerbern"

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Gut 40000 Menschen bewerben sich jedes Jahr beim Autohersteller Audi, der in einer Umfrage unter Studenten der Wirtschafts- und Ingenieurwissenschaften kürzlich zum beliebtesten Arbeitgeber Deutschlands gekürt wurde. Michael Groß, 39, leitet das Personalmarketing des Unternehmens. Ein Interview über Bewerber und den Charme der Unbedarftheit. Herr Groß, wie vielen Bewerbern saßen Sie schon gegenüber? 1000, etwa. Welches von den Gesprächen ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben? Einmal, das ist aber schon fast zehn Jahre her, hat während des Gesprächs bei einer Bewerberin das Handy geklingelt. Was passieren kann. Das Beeindruckende aber war: Die Dame ist rangegangen! Gut, das kann auch noch sein. Aber dann hat sie zwei Minuten mit ihrer Mutter telefoniert. Und ich saß daneben. Ach du Schande. Und ich habe sie eingestellt. Warum? Fachlich und persönlich hat alles gepasst. Und die Tatsache, dass jemand so unbekümmert ist und im Gespräch telefoniert - ich fand das in dem Moment selbstbewusst. Auch wenn ich potenziellen Bewerbern an dieser Stelle rate: Machen Sie Ihr Handy während des Vorstellungsgesprächs aus! Wem sitzen Sie für gewöhnlich gegenüber? Akademikern, potenziellen Azubis, Praktikanten, Trainees... Was suchen die Leute eigentlich bei Ihnen - den Job, in dem sie sich entfalten und verwirklichen können? Oder suchen die Bewerber vor allen Dingen Sicherheit? Um Selbstverwirklichung geht es ihnen in wirtschaftlich guten Zeiten. Sicherheit ist bei uns selbstverständlich. Also suchen die Leute gerade Sicherheit? Die steht jetzt vielleicht im Vordergrund. Wundert Sie das nicht? Angeblich sind die 20 bis 30-Jährigen heute so mobil und flexibel wie noch nie in der Bewerbergeschichte. Der Wunsch nach Sicherheit ist was zutiefst Menschliches. Der ist heute so vorhanden wie vor zehn Jahren. Ihr Namensvetter, der Schwimmer Michael Groß ist einer der erfolgreichsten deutschen Schwimmer. Ist der Hinweis auf den prominenten Groß ein guter Einstieg für das Gespräch mit Ihnen? Das ist ein guter Einstieg. Echt? Ich würde denken: Das Thema kann der Mann doch nicht mehr hören. Wenn Sie Boris Becker heißen würden, wäre es doch auch schade, wenn ich nicht drauf einginge, oder? Was sagen Sie, wenn ich Sie auf den Schwimmer anspreche? Ich erzähle dann gern von der Boulevard-Schlagzeile von damals: 'Groß, Größer, Michael Groß' Wenn ich mich bewerbe, will ich Sie für mich gewinnen. Es liegt also nahe, dass ich Sie und Ihr Unternehmen lobe und mich selbst im guten Licht darstelle. Sind Sie die vorgetäuschten Jubelarien manchmal leid? Ich kann ja mittlerweile ganz gut sehen, ob eine Arie authentisch ist. Wie? Ich sehe, ob Sie wirklich Begeisterung in den Augen haben, wenn Sie von uns sprechen. Aber ich kann ein guter Schauspieler sein! Wenn Sie sich die Begeisterung nur für ein Vorstellungsgespräch antrainieren, halten Sie das vielleicht 20 Minuten durch. Dann fällt die Fassade. Es gibt viele Ratgeber zum Bewerben. Erkennen Sie die Vorlagen im Gespräch wieder? Es gibt die Frage nach den persönlichen Stärken und Schwächen. Die klassische Antwort bei der Frage nach der Schwäche lautet: 'Mein Ehrgeiz ist eine Schwäche von mir - und dass ich immer alles gleich erreichen will.' Dann sage ich: 'Okay, das haben Sie in einem Buch gelesen. Aber an was wollen Sie wirklich arbeiten?' Wie haben sich die Bewerber in den vergangenen zehn Jahren verändert? Wenn ich heute am Ende des Gesprächs frage: 'Haben Sie denn noch Fragen?', dann kommen auch Fragen. Und die haben viel mehr Substanz als früher, weil sich Bewerber heute viel besser über ein Unternehmen informieren. Formiert sich nach den vielen Vorstellungsgesprächen vor Ihren Augen so etwas wie eine Bewerbergeneration? Schon. Wenn ich der Generation einen Namen geben müsste, würde ich sie Generation Information nennen. Als ich mich vor vielen Jahren beworben hatte, war ich lange nicht so vorbereitet, wie ich das heute von vielen Bewerbern erlebe.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sie haben sich damals wahrscheinlich noch per Post beworben. Bekommen Sie heute noch echte Bewerbungsmappen? Kaum mehr. 98 Prozent unserer Bewerbungen erhalten wir übers E-Recruitung. Das war vor fünf Jahren noch komplett anders. Knapp formuliert: Was muss unbedingt in einer Bewerbung stehen? Es gibt keinen Schlüsselsatz. Aber ich erwarte die Beantwortung von drei Fragen: Wer bin ich? Was kann ich? Warum will ich das bei euch tun? Wie muss eine gute Bewerbung aussehen? Für mich ist ein Anschreiben indiskutabel, wenn es länger als eine Seite ist. Und man muss wissen, dass kein Personaler einen Lebenslauf liest, der sich über drei Seiten Fließtext erstreckt. Noch viel wichtiger ist jedoch, dass Rechtschreibung und Ausdruck passen. Welcher ist der häufigste Fehler? Der Klassiker ist der Diplomand mit 't'. Soviel konzentrierte Arbeit beim Verfassen der Bewerbung verlange ich schon. Aber gut, mit den neuen Abschlüssen verlagert sich das Problem. Da ist nur vom 'Verfasser der Abschlussarbeit' die Rede. Die beliebteste Schriftart im Anschreiben? In den Achtzigern war alles mit der Schreibmaschine geschrieben, klar. In den Neunzigern dann: Times New Roman. Heute: Arial. Die neue Sachlichkeit? Ja, schlichte Eleganz. Ergibt Humor in einer Bewerbung Sinn? Ich erinnere mich an einen Kollegen, den ich vor acht Jahren eingestellt habe. Er heißt Hasenbank. Er hat auf seine Bewerbung oben handschriftlich ein Häschen gemalt, das auf einer Bank sitzt. Total ungewöhnlich. Aber sehen Sie: Ich erinnere mich acht Jahre später immer noch daran. Sind die Leute heute schöner auf den Bewerbungsbildern als früher? Photoshop ist ja eine gute Hilfe. Ach, zu 90 Prozent sehe ich immer noch die guten alten Bewerbungsbilder, auf denen der Kopf seitlich in die Kamera gehalten wird. Etwa ein Prozent der Bilder fällt aus der Reihe. Das sind Bilder, auf denen sich Menschen auf Motorhauben räkeln. Ist das eine gute Idee? Sie zeigt jedenfalls die Affinität zum Produkt. Wie wichtig ist das Bild? Mein erster Blick geht auf den Lebenslauf, dann suche ich nach Berührungspunkten zum Unternehmen, also nach Praxiserfahrung wie etwa einem Praktikum oder einer Abschlussarbeit bei uns. Wenn ich da gefunden habe, was mich interessiert, gehe ich auf das Anschreiben. Und wenn mich das interessiert, sehe ich nach den Zeugnissen. Verbringen Personaler tatsächlich soviel Zeit in Sozialen Netzwerken, um Infos über die Bewerber zu suchen? Die Zeit habe ich nicht. Und die Mühe mache ich mir nicht. Nicht mal ein bisschen googeln? Vielleicht ist es enttäuschend für den Bewerber, wenn ich es nicht mache, aber ich tue es in der Regel wirklich nicht. Ist also die Angst vor den online gestellten Partyfotos, die in Personalerhände kommen, übertrieben? Ich halte sie für übertrieben. Ich finde es nicht wirklich schlimm, wenn es von einem Mitarbeiter Partyfotos gibt. Ich stelle schließlich den Menschen in seiner Gesamtheit ein. Viele betreiben heute während des Studiums ein regelrechtes Lebenslauf-Styling mit Auslandsaufenthalt, Praktika und Zusatzkursen. Ist das eigentlich in Ihrem Sinn? 20 Prozent der Leute haben einfach die Möglichkeit, einen solchen High End-Lebenslauf zu machen. Das ist schön. Aber ich brauche nicht nur die Einsnuller-Absolventen, die alles schnell abhaken. Wir brauchen auch Leute, bei denen nicht immer alles gerade lief, die Hürden in ihrem Leben gemeistert haben. Im Tagesgeschäft hier läuft nämlich auch nicht immer alles gerade. Nochmal zu der Frau, die im Gespräch telefoniert hat: Machen wir uns zu viel Gedanken, wie wir in Bewerbungsgesprächen auf Personalchefs wirken? Ich denke schon.

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