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„Plattenkaufen ist wie Vokabellernen für’s Wochenende“

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Monika Kruse, eine der international erfolgreichsten Techno-DJs Deutschlands, wuchs in München auf und hat dort ihre Karriere gestartet, bevor sie nach Berlin umzog. Mit jetzt.de spricht die 38-Jährige über Münchner Clubkultur in den Neunzigern, illegale Partys an der A8 und über das Älterwerden als DJ. jetzt.de: Du bist in München aufgewachsen. Wie hast du mit dem Auflegen angefangen? Monika Kruse: Ich war 19, als ich im damaligen Babalu zum ersten Mal „üben“ durfte, die Leute zum Tanzen zu bringen. Zuerst habe ich vor allem Hip-Hop und Funk gespielt, später, als ich im Parkcafé und im Ultraschall aufgelegte, habe ich die Liebe zum Techno entdeckt. Vor allem das Ultraschall (1994-2003) hat immer noch einen legendären Ruf. Das Harry Klein ist daraus entstanden. Was war das besondere am Ultraschall? Zum einen die Location. Das Ultraschall war in einer alten Waschkantine am Flughafen Riem, bevor es später in den Kunstpark Ost umgezogen ist. Jedes Wochenende war es anders dekoriert, es wurden nicht nur DJ-Stars gebucht, sondern viele Newcomer gefördert. Und es gab Happenings wie „What is ambient?“, da wurde ein Wochenende lang nur Ambient gespielt, die Leute lagen mitten im Raum auf einem riesengroßen Bett, haben Tee getrunken und Musik gehört. Zu der Zeit gab es in München ein große Aufbruchsstimmung in der Szene. Du hast damals auch viele illegale Partys in München veranstaltet. Das ist, nun ja, in dieser Stadt nicht so einfach. Früher war es einfacher als heute. Es war alles viel naiver. Wir haben am See gefeiert, in leerstehenden Häusern und in Heizkraftwerken. Einmal haben wir für eine Party in einem alten Heizkraftwerk an der Autobahnausfahrt Richtung Stuttgart eine Woche lang das Wasser auspumpt, das da drei Meter hoch stand, nur um eine Nacht dort auflegen zu können. Das war eine tolle Zeit. Die Polizei war immer sehr freundlich zu uns. Kann man sich kaum vorstellen. . . Doch, das war so. Anfang der Neunziger wusste noch keiner, was Techno eigentlich ist, das haben die Behörden noch nicht automatisch mit Drogen in Verbindung gebracht, wie heute. Einmal, als wir in so einem Abbruchhaus gefeiert haben, hat die Polizei uns gefunden. Aber die haben nur gesagt: Stellt den Bass bitte leiser, sonst könnte das Haus noch einstürzen. Das war ganz süß.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Frau Kruse Damals hast du auch Techno-Partys in Trambahnen veranstaltet. Das war toll, wir sind nachts sechs Stunden lang durch die ganze Stadt gefahren, von Laim bis nach Grünwald und wieder zurück. Die Wege konnten wir selbst bestimmen. Teilweise haben wir auf der Straße getanzt, wenn keine Autos mehr fuhren. Wir hatte einen eigenen Benzinaggregator für die Anlage, weil die Spannung in der Trambahn zu schwach war. Mit einem Schlauch haben wir die Abgase herausgeleitet, total abenteuerlich. Wir hatten außerdem eine Nebelmaschine in der Trambahn. Die Polizei hat uns deshalb paar Male angehalten, weil sie dachten, die Tram brennt. Seit 1995 wohnst du in Berlin. Fühlst du dich als Berlinerin oder als Münchnerin? Mein Lebensmittelpunkt hat sich natürlich nach Berlin verschoben; ich schaffe es nur noch selten, nach München zu kommen. Aber hier hat meine DJ-Laufbahn angefangen und ich freue mich jedes Mal, in München aufzulegen und meine Eltern und alte Freunde zu besuchen. Leider bin ich meistens nur eine Nacht hier und muss am nächsten Tag wieder weiter. Der größte Unterschied zwischen Berliner und Münchner Clubkultur? In Berlin haben wir mehr Touristen. Wer sind heute deine Lieblings-DJs aus München? Zombie Nation, Richard Bartz und die Leute, die auf dem Label Stock 5 veröffentlichen. Männliche DJs haben oft Groupies, die sich vor das DJ-Pult scharren. Erlebst du ähnliches als Frau auch? Nee. Wenn, dann werde ich eher von Lesben angemacht. Männer sind da anders. Die haben Angst vor selbstbewussten Frauen auf der Bühne und trauen sich nicht. Du bist sehr viel unterwegs. Wie sehr dominiert das Auflegen deinen Alltagsrhythmus? Eigentlich zu jeder Zeit. Ich hätte heute vor dem Gig in der Freiheiz-Halle gerne meine Eltern gesehen, aber ich musste noch ein paar Stunden schlafen, damit ich nachts um zwei fit bin. Da muss man leider Prioritäten setzen. Am Wochenende kann ich selten etwas mit meinen Freunden unternehmen. Mein bester Freund hatte vor Kurzem 40. Geburtstag, da konnte ich auch nicht mitfeiern. Mein Sozialleben leidet sehr darunter. Ein geregeltes Leben kann man das wohl nicht nennen, aber habe ich mir nie ein anderes Leben ausgesucht. Wie sieht dein Leben unter der Woche aus? Eine der eher unangenehmen Aspekte des DJ-Lebens ist, dass ich auch unter der Woche schlecht vor vier Uhr nachts einschlafen kann. Dementsprechend stehe ich auch spät auf. Wenn ich nicht auflege, mache ich oft nachts Labelarbeit. Mittwochs und donnerstags gehe ich immer Schallplatten kaufen, das ist wie Vokabellernen für’s Wochenende. Du bist jetzt 38 Jahre alt und legst seit mehr als 17 Jahren auf. Kann man mit Techno alt werden? Man kann das. Aber man muss es sehr wollen. Das heißt, Liebe zur Musik hat viel mit Disziplin zu tun? Natürlich muss ich sehr diszipliniert sein. Ich muss mich konzentrieren, während die anderen sich gehen lassen. Die Leute kommen her, um ihren Alltag zu vergessen, für mich ist Auflegen mein Alltag. Arbeit hört sich immer schlimm an – aber natürlich ist Auflegen auch einfach ein Job. Aber ein sehr schöner.

Text: xifan-yang - Foto: oh

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