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That's why the Lady is a Tramp

Was ist da bloß schiefgelaufen? Es gab mal die tolle Idee des Feminismus, dann wurde daraus Girlpower, dann Narzissmus. Die Frauenbewegung des beginnenden 21. Jahrhunderts ist der Femizissmus. Von Charlotte Raven
Text: max-scharnigg







Dank etlicher Sexgeschichten über Prominente ist die Welt, wie sie die Boulevardblätter präsentieren, in jüngster Zeit ein Ort geworden, wo der Feminismus nur noch ein armseliges Dasein fristet. Doch unter den unzähligen Schnappschüssen – betrogene Ehefrauen, unglückliche Geliebte, vollbusige Hostessen – war dieser der wohl verstörendste: Princess, die zweijährige Tochter von Katie Price, dick geschminkt, die Augen mit falschen Wimpern beklebt. Millionen Menschen haben das Foto gesehen, ganz England diskutierte darüber.



In einer Talkshow sagte eine Frau, sie verstehe die ganze Aufregung nicht. Ihre eigene Tochter sei auch so ein »Püppchen« wie Princess und ganz versessen darauf, sich hübsch zu machen und vor der Kamera zu posieren. Es wäre doch falsch, ihr das zu verbieten, oder?



Katie Price, Fotomodell, »Boxenluder« und Kandidatin der britischen »Dschungelshow«, ist berüchtigt für ihre Eskapaden – Brustvergrößerungen, die öffentliche Ausschlachtung ihrer Affären und Schwangerschaften, eine lächerliche Kandidatur fürs britische Unterhaus –, das ändert aber nichts daran, dass sie großen Einfluss auf die Öffentlichkeit hat. An der Selbstverliebtheit, mit der sich Price präsentiert, scheint heutzutage kaum jemand mehr Anstoß zu nehmen: Die Überzeugung vieler Frauen, sie seien etwas Besonderes, und alles, was sie sich wünschten, stehe ihnen natürlich auch zu, hat sich im gleichen Umfang aufgeblasen wie die zwei berühmtesten Argumente der Katie Price.



Wie es so weit kommen konnte? Feministinnen geben gern männlichen Sexisten die Schuld – das ist einfach, aber unfair. In Wahrheit müssen wir Frauen die Schuld ausschließlich bei uns selbst suchen. Während Frauen wie Price unermüdlich ihre Botschaft unters Volk brachten, sind die Feministinnen leichtsinnig und unseriös geworden und dem Sendungsbewusstsein einer Katie Price, die Narzissmus als Lebensentwurf predigt, kaum gewachsen. In einer Umfrage unter tausend britischen Mädchen gaben sechzig Prozent an, »Topmodel« sei ihr bevorzugtes Karriereziel, 25 Prozent konnten sich vorstellen, Stripperin zu werden – für Deutschland gibt es ähnliche Zahlen. Der Wertekatalog hat sich in jeder Hinsicht in Richtung Katie Price verschoben.



Eine Ursache dieser Entwicklung ist, dass sich intellektuelle Frauen vom Feminismus abgewandt haben. Irgendwann in den Neunzigerjahren fanden mit einem Mal auch die Frauen, dass Feminismus unglamourös sei, uns verkrampft wirken lasse und, was noch schlimmer war – uns vom Shoppen abhalte. Redakteurinnen ermutigten ihre Leserinnen nun, zu ihrer »inneren Tussi« zu stehen, und verfassten Lobgesänge auf Haarpflegeprodukte und sexy Unterwäsche.



Wenn wenigstens ein paar Feministinnen dagegen angekämpft hätten, wäre die Sache vielleicht nicht so aus dem Ruder gelaufen. Leider hüpften die Leute, von denen man hätte erwarten können, dass sie aufschreien oder wenigstens nachdenken, selbst im Bustier herum. Dass die Girlpower, die wir alle so toll fanden, in Wirklichkeit ein Marketingkniff war, der junge Leute zum Plattenkaufen animieren sollte, erkannten wir nicht. 1998 schrieb die Journalistin Natasha Walter in ihrem Buch The New Feminism, wir seien nun auf dem letzten Wegstück einer langen feministischen Revolution angekommen, die Frauen aus der Machtlosigkeit in eine Position der Stärke hob und vom Rand der Gesellschaft ins Zentrum des Geschehens.



War das so?



Oder hatte diese Vorstellung nicht doch mehr mit Zeitgeist als mit Politik zu tun: Die Opferrolle roch jetzt zu sehr nach Achtzigerjahren und Übertreibung. Hinzu kam eine gewisse Faulheit – wir hatten einfach keine Lust auf Politik. Wenn wir nur den Beweis erbringen konnten, dass wir sie nicht brauchten, bliebe uns mehr Zeit, Gesichtscremes auszusuchen. Wenn Natasha Walter mit ihrer Behauptung recht hatte, dann konnten wir uns jetzt zurücklehnen und uns in aller Ruhe die Nägel feilen.



Nach dem Girlpower-Credo konnten Frauen sich nun für Macht entscheiden wie für einen Bankkredit. Jede war dafür qualifiziert. Die das nicht wollten, hingen in unseren Augen einem Zustand als »geknechtetes, bemitleidenswertes Opfer« nach, so schrieb es Natasha Walter. Die anderen könnten sich für ein Leben als »fröhliche, unabhängige, ehrgeizige Optimistin« entscheiden.



In ihrem Buch Die Stärke der Frauen von 1994 behauptet die Feministin Naomi Wolf, die Hürden, die zwischen einer Frau und einem Job als Generaldirektorin stehen, seien eher psychologisch als politisch: Nur diese altmodische weibliche Scheu, mal richtig auf den Putz zu hauen, bremse die Frauen. Um das zu ändern, schlug Wolf vor, eine »Powergruppe« in zauberhafter Umgebung ins Leben zu rufen, Gourmetkaffee inklusive. Zwischen jedem Schlückchen würden meine in Prada gewandeten Schwestern und ich uns gegenseitig unsere Verdienste aufzählen und über Mittel und Wege diskutieren, um den Feminismus »spaßig, locker und lukrativ« zu machen statt wütend und verbittert. Wolf meinte, wie bräuchten neue Vorbilder, die die wenig reizvollen »unterdrückten« Feministinnen ersetzen sollten.



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