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Die fremden Zungen Indiens

Text: KeralaDiscovery
Auf jedem indischen Geldschein finden sich 17 anerkannte Nationalsprachen in Indien. Das ist aber längst nicht alles, denn insgesamt gibt es in Indien über 400 Einzelsprachen und Dialekte. Sie stammen aus verschiedenen Sprachfamilien, zum Beispiel dem Indoarischen und dem Drawidischen. Eine kleine Betrachtung mit Schwerpunkt auf der kompliziertesten Regionalsprache: Keralas Malayalam



Hindi und Englisch sind von der indischen Verfassung als die offiziellen Sprachen der Republik vorgesehen. Hindi ist die Muttersprache von 30% der Bevölkerung. Englisch gilt zwar als zweite Sprache, ist aber die bedeutendste Sprache in Politik und Wirtschaft.



Die Sprachenvielfalt wirkt babylonisch und jeder sollte sich einmal das Vergnügen gönnen, zu recherchieren, wie viele offizielle Sprachen es in Indien gibt. Neben den anerkannten Nationalsprachen benennen zusätzlich Gesetze der Bundesstaaten weitere Regionalsprachen. Wie hoch die genaue Zahl aller Sprachen anzunehmen ist, hängt von der Einstufung als Dialekt oder Einzelsprache ab, insbesondere der zahlreichen Sprachen, die Hindi ähneln.








Noch komplizierter wird das System dabei durch die vielen verschiedenen Schriften. Hindi ist eine indische Sprache, die in den meisten nord- und zentralindischen Staaten gesprochen wird. Seine Wurzeln liegen unter anderem im Indogermanischen und in den Prakritsprachen. Am 26. Januar 1965 wurde Hindi zur Amtssprache Indiens neben Englisch. Heute steht es unter den meistgesprochenen Sprachen der Welt an zweiter Stelle nach Chinesisch und vor Englisch und Spanisch. Über 600 Millionen Menschen in Indien und Umgebung gebrauchen Hindi als Mutter- oder Alltagssprache.



Ein hoch kompliziertes Palindrom



Malayalam (ein Palindrom nur in lat. Schrift: malayalaM) gilt allgemein als eine der schwersten Regionalsprachen in der indischen Sprachenvielfalt. Sogar für die Inder selbst. Der Ausländer erkennt schon an 116 Konsonanten und 16 Vokalen im Malayalam-Alphabet, dass hier Laute benutzt werden, die uns unbekannt sind. Das bedeutet eine Menge Fallstricke.



Malayalam ist die Landessprache von Kerala. Kenner des Kerala Discovery Onlinemagazins wissen es: Seit über 25 Jahren besuchen wir mit unseren Gästen die Tropenplantage im nördlichen Kozhikode Distrikt dieser indischen Musterprovinz. Obwohl ein kleiner Bundesstaat, hat seine Sprache ausgeprägte regionale Dialekte. Zumindest wird vieles, was ich oben im Norden gelernt habe, unten im Süden nicht verstanden.



Das ist einer der Gründe, dass ich nach so langer Zeit diese Sprache trotzdem nur ansatzweise beherrsche. Ich sagte ja: Sie ist sehr schwer. Wenn es 'nuhre waake' (100 Wörter) sind und ein paar Redewendungen, dann ist das schon viel. Ein paar Brocken Malayalam können ein Gespräch einleiten, das ich dann aber auf Englisch fortsetzen muss.



Wäre nicht Kerala mein Lieblingsziel, würde ich mit der Amtssprache Hindi schon sehr viel weiter sein. Die ist unserer Zunge erheblich freundlicher gesinnt. Aber gerade in Südindien ist Hindi immer noch sehr wenig verbreitet und in Kerala sogar unbeliebt.



Die freundlichen Keraliten wissen um die Schwierigkeit, die wir Kalknasen mit ihrer Sprache haben. Um so erfreuter sind sie, wenn doch mal einer ein paar Worte beherrscht. Das öffnet Herzen und Türen. Und genau das ist meine Motivation, bei jedem Keralabesuch etwas dazu zu lernen.



Das "D" hat Familie



Fallstricke bringt vornehmlich die Aussprache mit sich. Viele Buchstaben haben enge Verwandte, die wir überhaupt nicht unterscheiden können. Wenn es sich über eine Schnalz- und Knacksprache handeln würde wie bei den afrikanischen Buschmännern, wäre es einfacher - im Malayalam werden Laute verwendet, die unseren Buchstaben oft sehr ähnlich sind. So sprechen wir sie dann auch nach und ernten fröhliches Gelächter - oder wie ich im folgenden Fall: eisiges Schweigen.



Nehmen wir unsere Buchstaben 'T' und 'D'. Sind sich ähnlich - aber unser Ohr unterscheidet sie klar: Einmal hart, einmal weich, je nachdem wie wir die Zunge an den Gaumen pressen. Die Keraliten kennen aber allein von diesem Laut etliche feine Varianten, und alle sind eigenständige Buchstaben.



Da schnappe ich diesen völlig harmlosen Satz auf: "Onne kudi kannekiu" und das soll heißen: "Zeig das noch mal" (Malayalam in lateinischer Schrift geht nicht - ich schreib's einfach, wie ich's höre).



Diesen Satz will ich später am Familientisch mal beiläufig einstreuen, als Inder ein paar Fotos betrachten. "Onne kudi kannekiu" sage ich also und deute auf eines der Bilder.



Wörter, die man besser vergisst



Betretenes Schweigen in der Runde. Keiner schaut mich an - sie schauen zu Mercy, von der ich die meisten Malayalam-Vokabeln lernte. Die Blicke sind vorwurfsvoll und sagen: Was hast Du dem Alyan, dem Schwager, denn da wieder beigebracht? Mercy aber wusste von nichts. Sie hatte nicht mal gehört, was ich da Schlimmes von mir gegeben hatte. "Was hast Du denn eben gesagt?", fragt sie böse, und ich hüte mich, das jetzt noch mal laut zu wiederholen.



Später im Zimmer sage ich den skandalösen Satz, und sie klärt mich auf: "Das kannst Du doch unmöglich sagen! Das bedeutet 'Zeige den Arsch!' - was hast Du denn sagen wollen?" - "Zeige das noch mal" Sie findet das nicht lustig: "Das heißt aber 'Onne kudi kannekiu'!" Und glaube jetzt nicht, dass ich irgendeinen Unterschied höre.



Also streiche ich diese verfängliche Vokabel aus meinem Wortschatz. Denn innerhalb der Familie herrscht eine hoch disziplinierte Sprache, und solche unanständigen Wörter sind absolut tabu.



So manches andere Wort kann ich im Laufe der Zeit dieser Sammlung hinzufügen. Vergessen kann ich diese ungehörigen Verwechslungen nicht. Der Schock, den sie auslösten, prägt sich ein.



Wie zum Beispiel die hübsche Nachbarin, der ich auf meinem Buschspaziergang etwas Nettes sagen wollte. Ich lobte die duftenden Blüten vor ihrem Haus, und sie verschwand entsetzt in der Küche - ich hatte ihre schönen Brüste gelobt.



Diese Sprache ist der Beweis, dass man sich selbst in den Tropen auf sehr dünnem Eis bewegen kann.



Trotzdem: Lerne weiter!



Bei allem Risiko gibt es ungleich mehr Gründe, ein paar Brocken der Regionalsprache zu lernen. Ein Gruß, ein Danke, und man grenzt sich unmittelbar von anderen ausländischen Travellern ab und wird einer der ihren. Genau das wollen wir ja: Ein paar Wochen Teil des indischen Alltags sein.



Tatsächlich genügen schon ganz wenige Wörter. Denn die meisten Inder halten es ja pauschal für unmöglich, dass Westler ihre Muttersprache lernen können. Wenn sie dann doch einen treffen, tragen sie ihn bildlich gesprochen auf den Schultern durchs Dorf.



Das Zauberwort "Weeanda"



Dass dort, wo sich die Touristen ansiedeln, unter den indischen Händlern ein hoher Konkurrenzdruck aufbaut, weißt Du. Das erfordert eine Hartnäckigkeit, die wir nicht gewöhnt sind und nicht selten als aufdringlich empfinden. Bei einem wunderschönen Strandspaziergang andauernd von Restaurantschleppern, Masseuren, Früchteverkäuferinnen und Postkartenhändlern angemacht zu werden, kann besonders in der Vor- oder Nachsaison nervig sein.



Hier bedeutet Dein englisches "No" ganz klar "Vielleicht", und sie lassen nicht locker.



In den INN habe ich schon oft geraten, dass ich schon ein einziges Wort in der Landessprache Wunder wirken kann. Kommst Du in Kerala z.B. in die beiden kleinen Touristenenklaven Varkala oder Kovalam Beach, probiere es statt mit "No" einmal mit "Weeanda" (Ich will nicht). Das zieht besser, selbst wenn Du dabei lächelst.



Weil nämlich die Händler bei den Neulingen besonders hartnäckig sind. Die zahlen die besten Preise. Das merkst Du, wenn Du nach drei Tagen plötzlich von allen fröhlich gegrüßt und ansonsten in Ruhe gelassen wirst.



Mit "Weeanda" (Kerala), "Bädda" (Karnataka) oder "Nahi athi hai" (Hindi) sagst Du wirksam "Ich will nicht", bist unmittelbar ein Insider und musst eventuell nur noch den Wortschwall "Du sprichst unsere Sprache? Wo hast Du das gelernt?" schweigend mit einem wissenden Lächeln quittieren und Dich abwenden.



Wie sensationell es für die Keraliten ist, einen Weißen zu treffen, der Malayalam spricht, wurde mir bei einem Küstenspaziergang klar gemacht. Mit der Autorikscha hatte ich den Touristrand Kovalam hinter mir gelassen und war in der Nähe der großen Moschee von Vizhinjam ausgestiegen. Von hier an wollte ich an tourifreien Stränden südwärts wandern.



Schneller als Telefon



Aber erst mal wollen mir ein paar Kinder mit dem obligatorischen "School pen?" ein paar Kugelschreiber aus der Tasche leiern. Mit ein paar Brocken Malayalam bringe ich sie auf andere Gedanken und ziehe meiner Wege. An diesen Stränden war kein Mensch weit und breit, und ich kann eine halbe Stunde unbehelligt am Wasser spazieren. Es wird erst wieder lebhaft, als ich in der Vizhinjam-Bucht ein paar Aufnahmen von den bunten Fischerbooten mache. Hier ist richtig was los. Mit aufgeregtem Schnattern und Feilschen findet der täglich Fischmarkt statt.



Während ich durch die Reihen schlendere und die bunte Vielfalt der Meeresfrüchte bewundere, begleitet mich ein Raunen. Ich bin mal wieder Gesprächsthema, denke ich. Weil das immer so ist, wenn eine Kalknase allein unter Einheimischen herumläuft. Aber dann höre ich immer wieder das Wort "Malayalam" und höre etwas genauer hin: Tatsächlich tuschelten die Fischerfrauen "Der Sahib spricht Malayalam" und zeigen auf mich, machen respektvoll Platz für meine Kamera und strahlen, weil ich ihre Fische schön finde.



Nach der anfänglichen Verwunderung (hier war ich doch noch nie gewesen, woher wissen die von mir?) wird mir klar, dass das nur von den Kindern kommen kann. Wahrscheinlich sind sie mir wieselflink vorausgeeilt.



Die Kinder sind überall die Herolde der indischen Dörfer. Sie sind es, die uns auf unseren Wanderungen zuerst entdecken vorauslaufen und mit glockenhellen Stimmen "Vellha karin vannu!" rufen (Es sind weiße Leute gekommen!).








Hindi lernen



Mit Malayalam geht so was nicht so leicht - aber der Goethe-Verlag hat mit Book2 einen Sprachführer online gestellt, den Du kostenlos nutzen kannst. Lerne Fremdsprachen mit 100 Audio-Dateien (mp3) auf ganz einfache Weise! Book2 enthält 100 Lektionen, die schon für Anfänger geeignet sind. Du lernst kurze Sätze auswendig - Sätze, die Du wirklich brauchst. Book2 hilft, die Fremdsprache sofort fehlerfrei zu sprechen. Es deckt den Grundwortschatz ab und setzt keine grammatischen Kenntnisse voraus.



Erschrick nicht, wenn Du die Übersetzung in der Hindi-Schrift Devanagari siehst - klick einfach auf das Lautsprechersymbol. Die Sprache in lat. Buchstaben verrät wenig über die Sprachmelodie - die muss man hören. Lerne Hindi



(Aus den "InderNettNews" Nr. 558)

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