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Jungs, warum hebt ihr uns auf Festivals so gerne hoch?

Heute zum Festival-Wochenende: Jungs fragen Mädchen fragen Jungs. Weil manches kapiert man einfach nicht, bei denen.
Text: martina-holzapfl







Wir wissen, liebe Jungs, dass wir manchmal ganz schön hilflos aussehen. Auf Festivals besonders gerne. In der Schlange vor dem jämmerlichen Dixiklo zum Beispiel (während ihr mit dem Busch vor dem Nachbarzelt vorlieb nehmen könnt). Oder in der jubelnden Menschenmenge vor der Bühne. Wir legen dann angestrengt den Kopf in den Nacken, um für einen Minimoment lang den Gitarristen einen D-Akkord greifen zu sehen. Wir versuchen vergeblich, in Gummistiefeln auf die Zehenspitzen zu gehen und hin und wieder hüpfen wir trotz des bierbeladenen Rucksacks ein paar Millimeter in die Luft. Es kann schon sein, dass wir kleinen Mädchen in solchen Momenten eine sehr traurige Figur abgeben. Und vielleicht liegt es ja daran, dass euch spätestens bei der dritten Band des Abends niemand mehr aufhalten kann: Ihr müsst uns dann auf die Schultern nehmen.



Es ist nicht so, dass wir euch flehend darum gebeten hätten. Genau genommen ist es sogar ziemlich anstrengend, auf euren Schultern zu balancieren. Klar, die Sicht da oben ist umwerfend. Genau dieses Adjektiv beschreibt dann aber auch die Angst ganz gut, die sich nach dem zweiten Atemzug Höhenluft einstellt: Die Angst vor dem Absturz. Ihr habt doch schließlich keinen Stiernacken, ihr seid noch nie mit Akrobatik-Kunststückchen aufgefallen, ihr könnt das doch eigentlich gar nicht. Denken wir dann. Der freie Fall in den Schlamm, auf die Wiese oder ins Kreuz des Vordermanns erscheint uns plötzlich so wahrscheinlich, dass die tolle Band mit der tollen Musik da vorne nur noch zum Nebenschauplatz taugt. Wie haltet ihr das aus mit uns auf den Schultern? Sind wir nicht viel zu schwer?



Und wie kommt es, dass ihr ausgerechnet auf Festivals eine Art Drang entwickelt, uns ständig in den Arm zu nehmen und hoch zu heben? Der Schulter-Sitz ist ja streng genommen nur die Königsdisziplin einer Sportart, die euch auf dem zertrampeltem Festivalrasen besonders Spaß zu machen scheint. Was für einen Reiz hat es, uns in die Luft zu stemmen? Ihr müsst uns doch nichts beweisen. Klar mögen wir es schon ganz gerne, wenn ihr uns ein bißchen auf Händen tragt. Aber das ist doch nicht wörtlich gemeint und klingt außerdem nach Beziehungsratgeber und Volksmusik-Refrain. Auch der Brauch, dass der Mann die Frau über die Türschwelle in die Ehe zu tragen hat, leuchtet uns nicht wirklich ein. Wir bestehen da nicht drauf.



Geht es euch vielleicht um den Kuss, den eine wie auch immer geartete Hebeaktion zwangsläufig abschließt? Ist es die Hoffnung auf eine Art „Dirty-Dancing“ Romantik, dank derer sich ein jedes Mädchen in den Armen eines starken Mannes bedingungslos hingibt, die euch zu Hebe-Heltentaten anspornt? Sagt an, liebe Jungs: Warum dürfen wir so oft auf euren Schultern in die Festivalsonne blinzeln?



Auf der nächsten Seite kannst du die Jungsantwort lesen.






Die Jungsantwort:













Das mit diesem Hochheben ist eine delikate Sache, bei der wir uns selbst nicht so ganz sicher sind. Was die Körperlichkeit solcher Aktionen betrifft, spielt das Hochheben in einer Liga mit dem Massieren: Durchgeknetet werden und einen besseren Ausblick genießen, fördert ja ganz allgemein das Wohlbefinden – egal ob männlich oder weiblich. Gebende und Nehmende, Tragende und Gehobene freuen sich beide über die jeweilige Aktivität, wobei man dem aktiven Part schon ein Stück Selbstlosigkeit zu gestehen könnte.

Aber so ist es natürlich nicht: Der Typ, der massiert, ist entweder ein Klemmi, dem schon wieder nichts witziges einfällt, oder ein Yoga-Lehrer mit Fistelstimme, der auf diesem vermeintlich harmlosen Umweg das sucht, was die meisten suchen: Geschlechtsverkehr.

Der Hochheber unter uns möchte sich einerseits als Wohltäter präsentieren, dem es um nichts anderes als eure gute Aussicht geht – als treuer Ritter, der, selbstlos bis zur Selbstaufgabe, euch aus den schlammigen Festivalniederungen herausholt. Andererseits betont der Hochheber die physische Asymmetrie zwischen den Geschlechtern. Der Akt des Hochhebens ist ein nonverbales „Na, Puppe? Ich könnte dich auch richtig durch die Gegend schleudern...“ und deswegen etwas prollig. Selbst ein 1,90-Meter großes Mädchen würde nie einen Jungen in Jockey-Größe packen und sich auf die Schultern setzen, außer sie möchte ihn aufs Tiefste beleidigen.



Der Akt des Hochhebens ist also immer auch ein bisschen Steinzeitritual, weswegen er auch so häufig auf Festivals stattfindet. Die Errungenschaften der Zivilisation – Wasserklosetts, Federbetten und Mikrowellen – fehlen, stattdessen schlafen wir in Zelten, essen, was es gerade so gibt und sind dem Wetter voll ausgesetzt. In uns kommt der Affe durch, der sich einfach nimmt, was er will. Das kann im richtigen Moment schon ganz cool sein.

Selbiger Affe neigt leider auch zur Selbstüberschätzung. Er nimmt dann a) Mädchen hoch, die überhaupt nicht hoch genommen werden wollen oder b) checkt nicht, dass er dazu viel betrunken ist und fällt dann samt Opfer in den Schlamm.

Das ist uns dann am nächsten Tag mindestens so peinlich, wie das Angebot zur Massage.



klaas-bauer

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