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Waschbärbauch und Mädchenfett – Jungs und ihre seltsame Einstellung zum Gewicht

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Kennt ihr das: Geht’s-noch-Momente? So Augenblicke, in denen man denkt „Ist nicht wahr. Kann nicht sein. Spinnen jetzt alle?“ So etwas habe ich regelmäßig, wenn es um Jungs geht und ums Gewicht. Da haben nämlich selbst Jungs, die sonst ganz vernünftig sind, viel kochen und auch gleichberechtigt das Bad putzen, gerne ziemlich seltsame Ansichten. Und auf besonders komische Trips kommen sie, wenn ihre Freundin zunimmt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Mein Exfreund, nennen wir ihn Tobias, ist ein gutes Beispiel. Als wir zusammenkamen, war ich noch dünner. Dementsprechend war erst einmal alles sehr harmonisch und kein Problem. Wir hielten Händchen, gingen oft auf Konzerte, spazierten rum, schenkten uns Max-Goldt-T-Shirts und schauten den Tieren im Zoo beim Sexhaben zu. Zuhause hatten wir dann selber Sex. Alles schön, alles rosa, alles easy. Deutlich weniger easy wurde es, als ich nach ein paar Monaten und sattem Jobstress etwas Gewicht zugelegt hatte. Die ersten zwei, drei Kilo bekam er zum Glück nicht so richtig mit, doch die fünf, sechs Kilo, die irgendwann an mir dran waren, machten ihm zu schaffen. Spätestens, als er einmal nervös auf meinen Wurstsalat starrte und anschließend fragte, ob ich das wirklich alles essen will, war das klar. „Bist du meine Mutter?“ „Nein“, lachte er und stellte eine Weile keine dummen Fragen mehr. Ein paar Monate und ein paar Kilo später wollten wir auf eine Party. Ich probierte Klamotten an, Tobias stand daneben und kommentierte. Irgendwann zwickte er mich in die Seite. Dann meinte er etwas mit „vielleicht das Schwarze“ und nuschelte „das schluckt schon n'bisschen“. Meine empörte Antwort war dann zwar weit weniger genuschelt, aber beunruhigt war ich trotzdem. Zumal Tobias auf der Party dann – nicht zum ersten Mal – lieber bei seinen Kumpels rumhing als bei mir. Früher war das noch andersrum gewesen. Früher waren wir auch auf Konzerte gegangen. Doch dann hatte Tobias entdeckt, dass ich ihm mittlerweile schwer war zum auf die Schultern-Heben. Sex mochte Tobias seitdem nicht mehr so oft haben. Nicht unnormal, sicher, aber halt auch verdächtig. Vor allem, wenn einem eh schon schwant, was Sache ist. „Was ist los? Bin ich dir vielleicht peinlich, oder was?“, platzte es also irgendwann raus aus mir. „Nein. Ja. Nein. Also: Nicht du allgemein, sondern halt so … Schau mal, du hast voll Potenzial. Mit ein paar Kilo weniger würdest du echt gut ausschauen. “, sagte er und kratzte sich am Bauch. Dieses üble Rumgeeier war definitiv ein „Geht’s noch?“-Moment. Ich war sprachlos über so wenig Rückgrat und so viel Oberflächlichkeit. Dass letztlich mein schwankendes Gewicht darüber entschied, ob Tobias mich noch gut fand oder nicht – egal, wer und was ich sonst war – war zum Heulen. Lange waren wir danach jedenfalls nicht mehr zusammen. Zum Glück. Sagten zumindest meine Freundinnen, als ich ihnen mein liebeskummergeplagtes Herz im Biergarten ausschüttete. Allerdings: Ob ihre Freunde das so packen würden, wenn ihre Freundinnen ein bisschen zulegten, da waren sie sich selber gar nicht sicher. „Doch, das ist schon ein Problem für uns“, gaben prompt die entsprechenden Freunde zu. „Zunehmen ist halt ein Zeichen dafür, dass das Mädchen sich ein bisschen zu sehr gehen lässt, nicht darauf achtet, was es isst und irgendwo undiszipliniert ist. Das kommt dann eben schlampig und egalig rüber.“ Auf jeden Fall nicht sexy. (Oder maximal in einer Affäre sexy.) „Und, ja, zunehmen und glauben, das macht nichts, ist schon ziemlich dumm von dir gewesen.“ Der berechtigte Mädels-Einwand „Ihr seid doch jetzt selber dicker als damals“ wurde dreist „Ja, aber das ist was anderes“ ausgekontert. Nach dem ersten Entsetzen mussten wir feststellen: So ist es tatsächlich. Mädchen sind toleranter. Nicht nur mein Freund hatte sich seinen Waschbärbauch erst im Laufe unserer Beziehung zugelegt und die Cellulite am Hintern auch. Und nicht nur mich hatte das nicht weiter gestört. Die meisten Mädels fanden ihre Freunde eben mit ein paar Kilo mehr halt immer noch gut. Völlig normal, eigentlich. Aber dann auch wieder zum Heulen. Dass wir Mädels für unsere Loyalität Jungs bekommen, die ihre schlauen, witzigen und auch sonst toppen Freundinnen absägen, sobald sie ein bisschen schwerer geworden sind, ist ein mieser, unglaublicher Deal. Und deshalb fluche ich gerade ziemlich viel beim Sport.

Text: therese-meitinger - Illustration: katharina-bitzl

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