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Ein Dankeschön ans Internet

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Frank freute sich. Er saß in Boxershorts auf seinem zerwühlten Bett und lachte. "Seit Tagen niemanden gesehen“, sagte er, "keine Leute, die mir ihren Quatsch erzählen wollen, keine Anrufe. Ich weiß nicht mal, wie es meinen Freunden geht. Super.“ Ich reichte Frank ein T-Shirt. "Ich bin jetzt seit über 14 Tagen hier“, fuhr er fort. "Ich, ganz alleine. Niemand sonst. Du glaubst gar nicht ...“ Dann wachte ich auf. Frank war ein Traum – und kein besonders guter, wie ich finde. Doch damit stehe ich derzeit offenbar eher alleine da: Die Vorstellung von jemandem, der isoliert in einem Kämmerlein sitzt, keinen Kontakt zu seinen Freunden oder zu Nachrichten von außen hat, wird immer häufiger als ungreifbarer aber wunderbarer Idealzustand stilisiert. In meinem Freundeskreis, auf Partys, in den Medien. Und zwar immer dann, wenn es um das Internet geht. Das ist dann entweder zeitfressend, nervig oder verwirrend. All das würde ich vielleicht sogar noch verstehen, was ich jedoch nicht verstehe, ist, warum sich so viele Leute davon wegwünschen: Warum sie es für ungut halten, wenn man nach dem Kino das Handy einschaltet und Mails checkt oder was daran falsch sein soll, vor dem ersten Kaffee in der Früh die Statusmeldungen von Freunden zu lesen. Beides ist für mich zu einer Selbstverständlichkeit geworden und ich finde daran nichts bedrohlich, gefährlich oder gar verwirrend. Und keine Sorge, das ist nicht einfach so daher gesagt. Spätestens seit Frank Schirrmacher sein Internet-Untergangs-Buch "Payback“ veröffentlicht hat, denke ich intensiv darüber nach, warum ich für seine Szenarien soviel Interesse aufbringe wie für das Schicksal eines Millionärs, der erzählt, dass er gar nicht weiß, wohin mit seinem Geld. Ganz klar: Das ist nicht mein Problem!

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sich vom Internet abkapseln? Nö! Ich fühle mich nicht überfordert von Kurznachrichten oder Eilmeldungen. Mir ist es nicht zuviel, Statuszeilen zu scannen und für unwichtig zu befinden. Und ich komme damit klar, mehrere Fenster gleichzeitig am Bildschirm zu öffnen. Was die Belanglosigkeiten angeht: Die stören mich in der S-Bahn genau wie auf Twitter. Dennoch käme ich nicht auf die Idee, auf den öffentlichen Personen-Nahverkehr zu schimpfen – und erst recht nicht auf Twitter. Denn all die technischen Hilfsmittel, die das Internet zur Verfügung stellt, machen mir das Leben doch in erster Linie leichter. Natürlich gilt das nicht immer und nicht ohne Einschränkungen, trotzdem erscheint mir die Debatte über das anstrengende Netz wie das Schimpfen auf den bösen Hammer, weil man sich damit ja auch auf den Finger hauen kann. Dass der Nagel so aber viel schneller in die Wand geht, sagt niemand. Deshalb hier mein offizielles Dankeschön ans Internet. Du bist super! Es ist an der Zeit, dass das mal jemand sagt. Denn vor lauter sehnsuchtsvollem Jammern über die angebliche Hektik, die das Internet angeblich verbreitet, geht völlig unter, dass unsere so genannte Welt doch auch ohne Online immer schneller und unübersichtlicher wird. Das verlangen die Lehrer, Arbeitgeber und Ämter doch auch ganz ohne WWW von uns. Wir müssen in allem schneller sein als die Generation unserer Eltern. Das ist anstrengend, aber das Internet ist daran nicht Schuld. Es hilft uns dabei, dem Tempo Stand zu halten. Und wer daran was ändern will, sollte bei seinem nächsten Arbeitsvertrag (sofern es so etwas überhaupt gibt) vielleicht mal darauf achten, dass die Arbeitszeiten auch wirklich eingehalten werden. Das hilft viel mehr als aufs Internet zu schimpfen.

Text: christian-berg - Illustration: Katharina Bitzl

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