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Antwort auf Deine Frage nach dem Glück.

Text: zzebra
Dabei existiert Glück nicht. Auch die Verzweiflung nicht. Beides ist Illusion. Alles was bleibt, ist morgens aufzustehen und abends schlafen zu gehen.





Hm, du bist mir einer.

So wollte ich die Email beginnen.

Nun schreib ich aber: Du bist mir ein anderer.

Aber das hieße, ich wäre überrascht worden. Genau das finde ich so charmant an den Menschen: Sie überraschen nicht mehr. Jedenfalls, wenn man ein kleines bisschen seine eigene Spielart und seinen Rhythmus hinanstellt und akzeptiert, dass Posaunen mehr Krach machen können als eine orchestrale Inszenierung für sie vorgesehen hatte. So bläst der eine dezent ins Horn, der andere mit Schmackes in die Trompete und am Ende soll alles harmonisch klingen, als hätte man das Leben gerne als wohlklingende Melodie, ein Ohrwurm, und bitte: wie für die Top Ten gemacht.



Was ne Scheiße. Es gibt Rubriken, da hat man 160 Zeichen, um seine Liebe zu erklären.



„Bloß 160!“ brüllt der Chor der Unerbittlichen.



„160 sind 146 Zeichen zu viel“, ist die eine Antwort, aber die will keiner mehr hören, weil keiner mehr so richtig daran glaubt. Kakophonie der Liebe. Gib mir ein Zeichen, sagst du. Ach, der liebe Glaube, ist auch so ein Fluchtpunkt. Man lässt sich im Moment der Verzweiflung, oder der abgespeckten Variante „Lebensverdruss“, gerne von jedwedem helfen: Freund Eddie, Oma Annabelle, Dr. Web. Ein ganz schlauer Fuchs sagte mal: „Sich im Leben Ziele zu setzen, das heißt, sich in seinen Ketten zu verheddern.“ Das ist die eine Wahrheit. Die nächste Stufe hieße, mit dieser Wahrheit ein wenig zu spielen. Wie? Aber ja doch. Man kann sich nicht nur Ziele, sondern auch Wege zurechtbiegen. Was soll schon so schlimm sein an ein bisschen Krummweg, Nahziel, Nasenbluten?



Liza erzählte mir von einer leuchtend orangefarbenen Sonne, die zu jeder Tageszeit aufgeht. Sie könnte auch untergehen, meinte sie, das sei nicht das wichtige an der doofen Sonne, unter deren Strahlen sie so gerne liegt. Liza wohnt in einer dieser Papalagi-Schachteln mit rechteckigen Löchern drin, deren Glas die Sicht filtert, umgeben von rechteckigen Wänden, Tischen, Steuererklärungen und einem Monitor, der das Fenster zur Welt bildet, genau: rechteckig. Der Südsee-Häuptling, so sagt Liza, denkt auch nur wie ein liebenswertes kleines Kind, das Wahrheiten seziert und mit schonungsloser, aber wenig modern-art-gerechter Weisheit konstatiert: der Mensch ist Idiot. Wieso also nicht eine rechteckige orangefarbene Sonne aufgehen sehen. Sie ist so, weil Liza sie so sehen will.



Nein, es überrascht mich nicht, dieses Leben, das du da eben vor mir ausgebreitet hast. Die Kellerleichen sind sogar um einiges sympathischer als diejenigen derer, von denen man uns ständig erzählen will, dass sie das Leben seien, weil sie so real Körper aufschlitzen, zerstückeln, tausenderlei strafrechtlich verfolgbare Dinge aus fehlgeleiteter Leidenschaft begehen, nein, nein, deine Leichen sind wie halb verblühte Blumen eines Gartens, der nur verlassen aussieht. Er ist nicht wie der von Schönwetter-Hobbygärtnern verwöhnte Prachtprunk: voll mit Blau- und Schneckenkorn, wo im Frühjahr ein buntes Meer von Luftballons auf grünen Pfählen schwebt, bei dessen Anblick einem das Wort „Tulpe“ nur noch mühsam über die Lippen kommt, dieweil im Sommer der selbe Garten in einem Rote-Rosen-Meer ersäuft und im Herbst, versteht sich, erstrahlt prompt alles voll mit paradierenden Astern. Der eine hat seine Leichen im Keller, der andere stellt sie zur Schau. Da weiß man am Ende gar nicht mehr, welche einem sympathischer sein wollen.



In Ordnung, von Tulpen, Rosen, Astern holt man sich weder Blasenentzündung noch ein ungeplantes Kind, aber, hey, wer sagt, dass sich jede Blasen- in einer Nierenbeckenentzündung verabschiedet? Es gibt glückliche Kinder mit nur einem Elternteil und solche, die haben zwei egoistische Scheusale als Haustyrannen, vielleicht noch nicht mal mit einem biologischen Vater. Dazwischen gibt es noch ein paar andere Varianten menschlicher Entgleisung, aber es ist nur ein Zug, verstehst du? Nur ein Zug. Die Strecke ist intakt, sieh doch, zumindest von der Stelle der Havarie aus betrachtet, zieht sie sich mit Schlangenlinien weiter voran. Vorbei an Wäldern, Seen, Wiesen, und auch vorbei an stillgelegten Bahnhöfen, die gerne wieder zu Leben erweckt wären. Man darf nur nicht beim kaputten Zug sitzen bleiben und darauf hoffen, dass den schon irgendwer mal wieder richtet.



Ich habe eine Freundin, die ist hartnäckiger als das Stahlgerüst des Eiffelturms, ausdauernder als die Meeresbrandung und in ihrem versteckten lieben kleinen Herzen lächelt ein großer Held, weil er keine Zuschauer benötigt für sein Glück. Wie? O nein, sie ist nicht reich, ganz im Gegenteil, aber sie lässt sich nicht helfen, sie nimmt in die Hand, was getan werden muss, und wenn ich sie besuche in ihrer Einfachheit, dann würde sie niemals über ihr Schicksal klagen oder einen Gedanken an Verzweiflung verschwenden, na gut, ein paar geteilte Gedanken schon, aber mit einem Lächeln der Gewissheit, dass sich das Glücksrad immer weiter dreht, bis zum Ende, und dass man nicht drauf setzen sollte, sondern besser drauf sitzen oder pfeifen. Die Nadel kommt schon irgendwann zu einem, und falls nicht: was ist weniger anstrengend: Glück verwalten oder verzweifelnd auf es hoffen? Außerdem: Sich mit aller Anstrengung zum Glück hinwenden zu wollen heißt, als schöbe man es mit Gewalt davon.



Weißt du, werte Freundin, die Menschen sind so derart voller Wissen und Verstand, hier und da garniert mit ein bisschen Weisheit, Glauben, Hoffnung, aber immer wenn das Leben überraschend an ihre Tür klopft, dann sind sie zu doof, all ihr Erlerntes, Erlebtes und Erfahrens für diesen einen Augenblick zu gebrauchen. Sie schalten das entweder aus oder hantieren wie am Mischpult, stressen an tausend Schiebern und Reglern herum, von oben nach unten und von links nach rechts, fuhrwerken als gelte es, das Glück bloß an der richtigen Stelle zu packen. Sieht lustig aus, diese Choreografie aus Abermillionen am perfekten Soundcheck feilenden Lebenstechniker. Aber nur wenn man sie so angestrengt drehen und regeln sieht, erkennt man die Unsinnigkeit ihres Tuns, nicht etwa, wenn einen der Augenblick selbst diesen Job verpasst. Da ist man nämlich chef de bonheur und da benehmen sich die meisten, ansonsten so schlauen und erleuchteten Leute wie blutige Anfänger.



Um zum Ende zu kommen: Du kannst es nicht richtig machen, wenn du es willst. Es sei denn, du bist so geschickt und willst wenig genug, also keinen No.1 Hit, sondern nur ein hingeträllertes Lied, das vielleicht auch noch von einem tiefdunkelgrünen Wald geschluckt wird. Ist doch schön für den Wald. Du gehst da spazieren. Das Leben ist kein Opernhaus, was willst du mit einem platt gesessenen Hintern? Schieb dir lieber einen Sack zerknüllter Libretti unter, da sitzt man weicher. Wenn du willst, geht mitten am Tag zwischen den Stämmen eine rechteckige orangefarbene Sonne auf (oder unter), auch die wirst du nicht festhalten können. Schau in deinen Schuh. Da ist die Nadel, die auf dich zeigt, das Glücksrad hielt genau an der Stelle, wo sie dich gepiekt hat.



Ach ja, und weil so viele Buchstaben wie hier ja nicht in eine Kurznachricht passen und manche Menschen mehr als 160 Lebenszeichen benötigen, um wirklich wahrlich glücklich gemacht zu werden, da habe ich glatt vergessen dir - einfach so - einmal zu sagen:



ich liebe dich



Noch etwas:

Auch wenn wir keine identische Fahrkarte haben, die auf irgendeinem sich am Horizont verlierenden Schienenstrang in die Ferne führt, wenn wir nicht einmal einen Zug gemeinsam haben, noch nicht einmal eine kleine alte Dampflok, sondern vielleicht nur eine altersschwache Draisine, die nun Achsbruch erlitten hat und der Rost an dem alten Teil uns keine Chance lässt, das alte Chassis wieder zusammenzuschweißen, egal, es gibt immer noch den Hinweis darauf, dass wir gerade nebeneinander sitzen. Mit Schrammen am Körper und zerschundenem Gesicht. Die Finger geschwärzt, Schmerzen im Gepäck. Na und? Fühlst du das Leben.



Lass uns ein paar Schritte zu Fuß gehen. Wie? Nein, nicht die Holzschwellen entlang, ich mag nicht stolpern müssen an deiner Seite, nur weil ich dich anlächeln will. Lass uns querfeldein gehen. Bis ein neues Gleis auftaucht. Bis der Wald uns schluckt mit unserem leise vorgetragenen Duett. Bis wir irgendwo einfach nicht mehr reisen wollen, weil wir Hände haben, uns eine kleine Hütte zu bauen, wo wir bleiben und unsere müden Füße in einen Wildbach halten. Oder bis wir eben umkehren, weil wir wissen, dass es kein Uns geben kann. Denn das Glück existiert nicht. Auch die Verzweiflung nicht. Beides ist Illusion. Alles was einem bleibt, ist morgens aufzustehen und abends schlafen zu gehen. Wenn es geht mit einem Lächeln auf den Lippen.



Jedenfalls war mir dieser Moment gerade wichtig. Sehr sogar. Weil ich ihn mir mit dir geteilt habe. Egal, wo du auch gerade bist, mein Glück.



Danke dir, Philippe.

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