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Das Abitur oder von der Utopie des Erwachsenseins

Text: Glitzerliebe
So. Nun bin ich also in diesem Alter. Es ist dieses Alter, um das ich früher die Anderen beneidet habe.



" Oho, sie schreibt schon ihr Abitur."

" Wenn man das Abitur schreibt, dann weiß man bestimmt viel."

" Und überhaupt, wie reif und weltoffen und gebildet diese Menschen sind. Sie gehen bestimmt in Discos und haben viele coole Freunde."



Gedanken einer 11-Jährigen, die frisch auf dem Gymnsium mit Fremdsprachen, Erörterungen und Balladen, neuen Freunden und Lehrern und vor allem und mit besonderem Hauptaugenmerk - Abiturienten- konfrontiert wird. Für sie hatte ich nichts als Bewunderung übrig und habe ständig dem Tag entgegen gefiebert, an dem ich mich auch endlich reif und erwachsen und vollständig fühle.



Und jetzt? Jetzt stehe ich vor meinem Abitur. Jetzt stehe ich am Pausenverkauf (weil Hunger nun mal etwas total Menschliches ist) und spüre die ehrfürchtigen Blicke der 5.Klässler ( "Schau mal, die ist mindestens einen Meter und 65 Zentimeter groß und schon total cool!!") und die unausgesprochene Frage, ob sie es auch "so weit" schaffen werden.



Was ich diesen kleinen, bis jetzt vom harten Schulleben verschonten (man denke an die grässliche 0 in der Mathe-Ex oder die entwürdigende Französisch-Ausfrage) , gänzlich unerfahrenen Traumtänzern sagen könnte? Dass man sich in der Tat erwachsen fühlt? Und schön? Und klug? Und perfekt?



Nein, denn dann würde ich lügen.

Ich würde ihnen gerne sagen, dass ich mich manchmal genauso fühle wie sie. Dass ich mich manchmal am Morgen im Spiegel nicht erkenne. Dass ich vor manchen Lehrern immer noch ein bisschen Angst habe. Dass ich mit meinen Eltern über Lappalien streite ("Madame, Zimmer aufräumen!"). Dass ich sogar eineinhalb Wochen vor dem Abitur abends lieber "Tatort" ansehe als das 500. Buch zu wälzen. Dass ich mich manchmal in meinem Bett verkriechen möchte, weil einfach die ganze Welt gegen mich zu sein scheint. Dass ich im Club ganz fürchterlich unsicher werde ob den Blicken eines Jungen. Dass ich manchmal nur von meiner Mama in den Arm genommen werde. Und dass mein Leben nicht perfekt ist, sondern ein von einem windigen Wirbelsturm durchgefegtes Schlaraffenland der Erfahrungen, in dem ich jeden Tag eine neue sammle und die mich glücklich, euphorisch, gelangweilt, traurig, wütend, rasend, melancholisch, zufrieden macht und vor allem zu einem ganz individuellen Menschen.



Und morgen werde ich zu ein paar Traumtänzern in unserer Schule gehen und ihnen das genau so sagen. Dass ich eigentlich genauso bin wie sie- eine Traumtänzerin, das ach-so-erwachsen-machende Abitur hin oder her.



Aber obwohl- beraube ich sie dann einer Illusion?










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