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Interview: User Generated Klatschblatt

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Es ging auf der diesjährigen Internetkonferenz in Berlin nicht mehr ausschließlich um Technik und Netzpolitik, auch lebenswirklichen Themen wurde mehr Aufmerksamkeit zuteil. Die 26-jährige Teresa Bücker ist Bloggerin und arbeitet als Community Mangerin beim Freitag - mit ihrem Vortrag „New Story Telling am Beispiel der Netzgeschichten über Beziehung & Partner“ war sie eine derjenigen, die dieses Jahr für mehr zwischenmenschliche Erfrischung auf der Veranstaltung gesorgt hat. Wie es dazu kam, worum es ihr bei ihrem Vortrag ging und was ihr das Netz persönlich als digitaler Lebensraum bedeutet, darüber hat sie mit uns im Interview gesprochen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tessa, du warst letztes Jahr zum ersten Mal auf der re:publica - zu Gast. Dieses Jahr bist du selbst als Speaker dabei und hast im Vorfeld einen Vortrag vorbereitet. Was hat dich dazu animiert? Weil ich selbst auf zwei Blogs über Musik und Unterhaltung, Mode, Feminismus und Gesellschaft blogge, hatte ich mir von meinem re:publica Besuch im letzten Jahr Inspiration und neuen Input versprochen. Gleich das erste Panel hat mich dann aber schon total enttäuscht. Es sollte sich mit dem Stand der deutschen Blogosphäre beschäftigen - auf dem Podium fläzte sich eine sehr homogene Masse von Männern um die 40, bei denen ich das Gefühl nicht los wurde, dass sie sich in ihren Gesprächen sehr im Kreis drehten. Ich fragte mich: Sieht die deutsche Blogosphäre tatsächlich so aus? Wer wählt denn so etwas aus? Es gab auf der ganzen Messe nur zwei weibliche Panels, eines war von der Mädchenmannschaft initiiert und drehte sich um Feminismus, das andere trug den sehr hämischen Titel: „Wenn Frauen bloggen: Baybkotze statt iPhone“. Das Lustige war, dass auch ich von einer Teilnehmerin für das zweite Panel vorgeschlagen, aber abgelehnt wurde. Von Seiten der Veranstalter soll es geheißen haben: Tessa ist nicht Klischee genug. In dem Panel saß dann eine Modebloggerin, eine Tech-Bloggerin und eine Art Mutter- und Tagebuchbloggerin. Und damit war das Thema Netzvielfalt dann auch schon abgedeckt. Das hat mich wahnsinnig geärgert und ich habe überlegt, wie man das ändern könnte. Wie bist du dann vorgegangen? Diese Unausgeglichenheit ist glücklicherweise nicht nur mir aufgefallen. Eine Gruppe um die Mädchenmannschaft hat sich organisiert, weil sie der Meinung war, dass die Blogosphäre von Seiten der Frauen viel authentischer abgebildet werden müsse. Der Frauenanteil im Besucherpublikum ist ja nicht gering. Aber weil sich keiner eingeladen fühlte, wurde auch keiner aktiv. Wir haben also eine Liste an Expertinnen für die verschiedensten Themen zusammengestellt, um sie in die einzelnen Panels zu bringen, die so von Männern durchsetzt waren. Als Markus Beckedahl schließlich meinte, wir sollten verstärkt Einzelvorträge einreichen, weil Panels dieses Jahr keine so große Rolle spielen würden, hat sich jeder etwas Eigenes überlegt. Ich bin eigentlich eher schüchtern und wollte gar nicht alleine reden. Weil mein Antrag aber angenommen wurde, habe ich es dann doch getan. Womit hat sich dein Vortrag denn konkret beschäftigt? Gerade weil hier auf der re:publica sehr viel über Technik gesprochen wird, war es mir wichtig, über etwas Lebensnäheres, Menschlicheres zu sprechen und den Übergang zwischen echter und digitaler Präsenz näher zu beleuchten. Mich interessiert weniger, über welche Kanäle oder technische Funktionen das funktioniert, sondern aus welcher Absicht heraus das entsteht. Ich fand das Thema Liebe im Web 2.0 sowie der Umgang von Partnern untereinander in sozialen Netzwerken passte da sehr gut. Was war für dich das Spannendste an diesem Thema? Ich habe festgestellt, dass es uns bei allem, was wir ins Internet hineinschreiben, gar nicht darum geht, die echte Realität abzubilden. Vielmehr wollen wir uns fiktiv präsentieren, eine Konstruktion um unsere Beziehungen und unser Leben spinnen, die sich vor allem aus viel Wunschdenken und dem Bestreben andere zu unterhalten definiert. Man kann das sehr gut an dem Beispiel des Beziehungsstatus zu erkennen, den man bei Facebook angeben kann – für statistische Zwecke ist der ja gänzlich irrelevant. Wie viele Leute ,verheiraten‘ sich mit ihren Partnern, oder manchmal auch Freunden? Und für wie viel Furore und Kommentare sorgen Trennungen und die dazugehörigen Anmerkungen dazu? Ich hab mir dafür den Begriff ,User Generated Klatschblatt‘ ausgedacht. Nur, dass es in den meisten Fällen tatsächlich auf einem durchaus anspruchsvollen Level passiert. Es wird häufig in der dritten Person voneinander gesprochen, ,dem Mann‘ oder ,der Frau‘ - Originalität und Intelligenz im Ausdruck wird immer wichtiger. Ich finde, man kann da beinahe schon von kleinen Stücken Literatur sprechen. Wir machen unsere Beziehungen zu kleinen Liebesromanen. Dein Vortrag war so gut besucht, dass die Leute sogar auf dem Boden und in der Tür sitzen mussten. Das zeigt schon, wie viele Menschen sich damit tatsächlich identifizieren können und darüber reden möchten, oder? Auf jeden Fall. Ich glaube, der größte Konflikt besteht darin, dass das Internet für viele immer noch ausschließlich eine Kommunikationsbasis ist anstatt eines Lebensraums. Das merke ich auch in meiner Beziehung. Ich bin zehn Jahre jünger als mein Freund. Im Gegensatz zu ihm habe ich einen sehr großen Teil meines Lebens ins Internet verlagert, und finde das auch nicht problematisch. Wir streiten uns aber oft darüber, was ich aus unserem Privatleben im Netz preisgeben darf, weil er viel weniger mit sozialen Online-Netzwerken aufgewachsen ist. Weil viele Partnerschaften an einer solchen Generationsschwelle existieren, ist es wichtig, sich darüber auszutauschen. Auch wenn es auf den ersten Blick vielleicht banal wirken mag und mich gerade wieder jemand darauf angesprochen hat, wie mädchenhaft mein Thema sei. Aber allein daran, wie viele Jungs im Publikum saßen und rege mitdiskutiert haben, hat man doch gesehen, dass das eben gar nicht der Fall ist. Jungs setzen sich mit diesen Themen genau so auseinander wie Mädchen. Wie empfindest du denn die Stimmung auf der diesjährigen re:publica - bist du mit der Entwicklung zufrieden? Man merkt, dass den Veranstaltern selbst dieses Jahr viel daran gelegen ist, mehr Vielfalt in ihr Programm einzubinden und das finde ich toll. Es muss sich aber trotzdem noch einiges tun - ich würde mir zum Beispiel wünschen, dass wir anfangen, viel mehr über tatsächliche Themen zu sprechen, anstatt immer nur über Medien und Technik. So kommen wir nämlich erst in die ganze Bandbreite dessen, was es im Netz gibt. Kochblogs, Kreativitätsblogs, das sind alles tolle und sehr ernstzunehmende Themen, weil sie unser tägliches Leben beeinflussen. Ich glaube, wenn man mehr Lebenswelt in die Netzkonferenz bringt, gewinnt sie auch insgesamt an Relevanz und zieht dann automatisch mehr Leute an, die schließlich beginnen, sich auch für die grundlegenden politischen Notwendigkeiten zu interessieren. Bezieht man diese Netzvielfalt nicht mit ein, blendet man meiner Meinung nach auch einfach mal eine Generation aus, die mit als maßgeblich angesehen werden müsste: die Jugendlichen. Die können uns über Vieles wahrscheinlich mehr erzählen als wir ihnen - ihr Leben spielt sich ja fast restlos im Netz ab. Vor allem, wenn es um die umstrittenen Themen wie Jugendmedienschutz geht. Auf dem Politcamp haben ein paar Jungs im Alter von 16, 17 Jahren ein Panelvortrag gehalten, in dem sie über Mobbing in Sozialen Netzwerken gesprochen haben. Außerdem haben sie dargestellt, wie ihre tatsächliche Medienkompetenz neben dem steht, was ihre Eltern glauben, ihnen zu ihrem Schutz vorschreiben zu müssen. Das war sehr intelligent und informativ. Ich habe das Gefühl, hier auf der re:publica wird noch zu viel über Menschen als tatsächlich mit ihnen gesprochen. Glaubst du nicht, dass sich das mit der Zeit selbst reguliert? Nein, ich glaube, die Veranstalter der re:publica müssen aktiver und gezielter einladen. Dann wird die Veranstaltung erst für die Masse interessant. Und das braucht es doch, um Ergebnisse zu erzeugen, die von den klassischen Medien nicht mehr nur belächelt werden. Ich glaube, man muss sich der breiten Masse noch konsequenter öffnen. Ertappst du dich eigentlich nie selbst dabei, dass du darüber nachdenkst, ob es eine gute Entscheidung ist, die eigene Privatsphäre im Netz so öffentlich auszuleben? Oder hast du dir selbst gewisse Richtlinien erstellt? Ich halte mich an sich für sehr reflektiert. Ich stelle zum Beispiel kaum Fotos ins Netz, einfach nur aus dem Grund, dass ich Bilder von mir nicht als wichtig im Zusammenhang mit meiner Persönlichkeit erachte. Was ich auf meinem Blog schreibe, dahinter stehe ich hundertprozentig und deshalb kann das gerne jeder lesen. Was Twitter beziehungsweise Facebook angeht, bin ich oft natürlich ganz impulsiv, manchmal schreibe ich da sogar was, wenn ich betrunken bin. Aber auch das bleibt immer stehen, weil ich es falsch fände, es zu verbergen. Das bin ja zum Schluss auch ich. Das Netz gehört schon so weit zu meinem Lebensraum, dass ich glaube, mich für nichts, was es darin über mich und von mir zu finden gibt, schämen zu müssen. Abseits meines Online Leben ist es schließlich genau so. Tessa bloggt mit einem Freund auf knicken.blogspot.com, allein unter flannelapparel.blogspot.com und ist auf Twitter unter @fraeulein_tessa unterwegs.

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