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"Ich fürchte eine Studienkultur, die von Egoismus geprägt ist"

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Das neue Stipendienprogramm sieht für die besten Studierenden 300 Euro pro Monat vor – egal, wieviel ihre Eltern verdienen. Die Hälfte der Mittel soll privat finanziert werden. Gleichzeitig soll das sogenannte Büchergeld der Begabtenförderungswerke, das ebenfalls elternunabhängig gezahlt wird, von derzeit 80 auf 300 Euro steigen. Der studentische Senat des Evangelischen Studienwerks Villigst hat eine Online-Petition zu dem geplanten Stipendienprogramm gestartet. Darin fordern die Studierenden, das aktuelle Konzept noch einmal zu überdenken. Sie möchten vermeiden, dass sich die soziale Schieflage im Bildungssystem weiter verschärft. Friederike Rass ist Villigst-Stipendiatin und Mitverfasserin der Petition. Im Interview mit jetzt.de erklärt sie, warum sie die Pläne der Bundesregierung so nicht akzeptieren will. jetzt.de: Die Bundesregierung will mehr Geld in Bildung investieren und ein neues Stipendium schaffen. Du sagst, das sei nicht der richtige Weg. Warum? Friederike: Geld in Bildung und Stipendien zu investieren, ist erstmal eine wirklich gute Idee. Es gibt aber ein paar Elemente, die bei den bisher bekannten Plänen fragwürdig sind. Das sind der Begabungsbegriff, die Frage nach der sozialen Gerechtigkeit und die Frage danach, wie unabhängig Lehre und Forschung noch sein können, wenn die Hälfte der Mittel privat finanziert wird, also wahrscheinlich zu einem großen Teil auch von Unternehmen. Was ist an dem Begabungsbegriff problematisch? Beim neuen Stipendienprogramm soll die Auswahl der Studierenden den Unis überlassen werden. Die bisher bekannte Vorgabe lautet, dass es vornehmlich nach Leistung gehen soll. Zusätzlich wird die Möglichkeit eingeräumt, nach individuellen Kriterien zu schauen. Man muss sich jedoch fragen, inwiefern die Universitäten überhaupt Kapazitäten haben, solch ein System zu entwickeln und auf andere Dinge zu schauen als auf Noten. Die traditionellen Begabtenförderungswerke verfügen über ganze Abteilungen für die Auswahlprozesse, sie haben also viel größere Kapazitäten. Sie gehen von einem anderen Begabungsbegriff aus, der zum Beispiel auch nach Verantwortungsbereitschaft fragt. Auch auf Brüche im Lebenslauf kann geachtet werden. Wenn die Unis auswählen, läuft der Begabungsbegriff Gefahr, verkürzt zu werden, so dass nur noch auf Leistung und „Output“ gesetzt wird. Wenn Leistung das dominierende Kriterium für die Auswahl ist, dann befürchte ich, dass das zu einer Studienkultur führt, die sehr stark von Konkurrenz und Egoismus geprägt sein könnte. Das Bildungssystem entwickelt schon früh eine Selektion, und diese Schieflage entwickelt sich nach oben hin immer weiter. So wie die Pläne für das neue Stipendienprogramm momentan formuliert sind, wird darauf nicht reagiert.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Friederike Wobei dieses Problem auch bei den bisherigen Stipendien besteht. Der HIS-Bericht aus dem vergangenen Jahr hat gezeigt, dass Kinder aus nichtakademischen Familien deutlich seltener ein Stipendium bekommen. Seitdem sind die Begabtenförderungswerke darum bemüht, ihr Augenmerk besonders auf sogenannte benachteiligte Gruppen zu richten. Drückt man den Bewerbern damit nicht den Stempel des Migranten- oder Arbeiterkindes auf? Die Gefahr, dass ein Quotendenken entsteht, steht natürlich im Raum. Das ist meiner Meinung nach im Moment aber noch eher ein Luxusproblem. Momentan besteht in den Förderwerken ein Verhältnis von grob zwei zu eins zwischen Kindern aus akademischen und nichtakademischen Familien. Dagegen kann viel getan werden und es ist gut, dass in den Förderwerken ein Bewusstsein dafür da ist und Projekte entwickelt werden, dieses Missverhältnis zu überwinden. Du hast bereits erwähnt, dass das neue Stipendienprogramm zur Hälfte aus privaten Geldern finanziert werden soll. Warum siehst du das kritisch? Es ist noch nicht klar, wie viel Einfluss die Geldgeber auf die Ausschreibung der Stipendien haben werden. Zum Beispiel, ob ein Stipendium speziell für Industriedesigner ausgeschrieben werden kann, wenn sich ein Automobilhersteller beteiligt. Es stellt sich die Frage, was Firmen als Gegenleistung für ihre Finanzierung erwarten und welche Spielräume ihnen gegeben werden. Darin sehe ich eine Gefahr für die Unabhängigkeit von Forschung und Lehre. Im aktuellen System erhalten nur etwa zwei Prozent der Studierenden ein Stipendium. Viele haben deshalb den Eindruck, ein Stipendium sei unerreichbar. Ist es wirklich so schwer, in solch ein Programm aufgenommen zu werden? Tatsächlich gibt es wenige Stipendien für viele Studierende. Aber mit Blick auf eine Bewerbung soll man sich von mittelmäßigen Noten nicht abschrecken lassen. Es geht um viel mehr als um Leistung und Noten. Man soll über den Tellerrand hinausschauen, mutig die Probleme in der Welt ansprechen und kreative Lösungen entwickeln. Es ist meiner Meinung nach aber leider tatsächlich so, dass viele Menschen, die ein Stipendium verdient hätten, keines bekommen können, weil es eben so wenige gibt. Es gibt auch Gruppen, die Stipendien ganz ablehnen, weil sie sagen, Eliteförderung könne überhaupt nicht sozial gerecht sein. Ich finde Elite ein furchtbares Wort, weil es oft in einem Kontext verwendet wird, in dem es einen instrumentalisierenden Charakter hat. Oft klingt es sehr stark danach, dass es Menschen gäbe, die besser seien als andere. Ich würde lieber von Begabtenförderung sprechen, das zielt stärker auf das Potential von Menschen ab. Begabtenförderung ist für sich genommen erstmal nicht ungerecht. Das Problem ist natürlich, dass Chancengerechtigkeit, was die Voraussetzung für eine gerechte Förderung ist, momentan leider einfach noch nicht besteht. Die Online-Petition zum neuen Stipendienprogramm hat aktuell rund 2400 Unterstützer, wobei ihr euch primär an Stipendiaten der Förderwerke gewandt habt. Umgerechnet sind das trotzdem nur etwa zwölf Prozent aller Stipendiaten. Glaubst du, die Petition kann nachhaltig etwas bewegen? Erstmal war es uns wichtig, ein Zeichen zu setzen, gerade als diejenigen, die von dem neuen Programm durch die Erhöhung des Büchergeldes profitieren würden. Mit dem geplanten Stipendienprogramm werden Dinge angesprochen, die unser Selbstverständnis betreffen. Was heißt Begabung? Welche Stellung nimmt man ein, wenn man in so ein Programm aufgenommen wird? Die Stipendiaten aller Begabtenförderungswerke diskutieren seitdem kontrovers miteinander über das Thema Stipendium und Büchergeld. Die Petition ist auch ein Gesprächsangebot und eine Aufforderung, das Thema innerhalb der Gesellschaft breiter zu diskutieren. In der Petition setzt ihr euch für eine moderatere Erhöhung des Büchergeldes für die Stipendiaten der Begabtenförderungswerke ein. Wäre es nicht glaubhafter gewesen, ganz auf eine Erhöhung des Büchergeldes zu verzichten? Meiner Ansicht nach nicht, denn das Büchergeld wurde seit gut 20 Jahren nicht erhöht. Man darf auch nicht vergessen, dass es durch das neue Bachelor/Master-System einfach schwerer geworden ist, größere Nebenjobs anzunehmen, um sich was dazuzuverdienen. Dazu kommen unter Umständen noch Studiengebühren. Welche Botschaft richtest du an die Bundesregierung? Ich würde mir wünschen, dass man nicht auf Teufel komm raus eine Elite kreiert. Ein neues Förderprogramm sollte so ausgerichtet sein, dass es eine sinnvolle Ergänzung in der Bildungspolitik darstellt mit dem Ziel, der bestehenden Bildungsungerechtigkeit entgegenzuwirken. Außerdem muss klar werden, welche Auswirkungen das neue Programm auf BAföG, die bestehenden Begabtenförderungswerke und die Freiheit der Universität haben wird.

Text: theresa-authaler - Foto: privat

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