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„Ich dachte: Jetzt verlottere ich!“

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Maximilian, es heißt, 2008 wärst du in deinem Leben als Künstler an einem absoluten Tiefpunkt angelangt. An Erfolg mangelte es dir nicht - wie kam es also dazu? Seitdem ich Berufsmusiker bin, hatte ich immer mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Nur dachte ich bis vor zwei Jahren, dass diese Probleme wohl dazugehören, und ich nichts daran verändern könne. Zum Beispiel, dass ich mich bei Konzerten eher unwohl fühlte, beobachtet und eingeschränkt in meinen Fähigkeiten. Am liebsten hätte ich manchmal gesagt: Könnt ihr nicht alle aus dem Raum gehen? Dann kann auch ich Spaß an der Musik haben! Das wäre natürlich paradox gewesen, man hätte mir geantwortet: Dann mach doch Musik in deiner Freizeit! Auch wusste ich manchmal im Studio, also in einem eher sterilen und technischen Ambiente nicht, wie ich vor dem Mikrofon ein Gefühl entwickeln soll. Ich habe mich nie so richtig über diese Dinge beschwert, aber irgendwann kam ich an den Punkt, an dem ich reif und mutig genug war, um zu sagen: Das will ich nicht mehr! Ich habe mich dann zurückerinnert, wie es am Anfang war, als ich mit dem Musikmachen begann. Und dann habe ich mich wieder auf die Straße gesetzt, dort gespielt und gesungen. Ich habe Situationen aufgesucht, in denen mir Musik wieder Spaß machen konnte. Und das waren Situationen, in denen meine Musik nicht für die Öffentlichkeit und das Musikbusiness verwertbar war. Bei den Aufnahmen für dein neues Album hast du beim Singen improvisiert. Wird das Musikmachen dadurch zu einer Art Meditation? Im Grunde ist Musikmachen für mich immer Meditation gewesen, auch das Schreiben eines Liedes. Aber nur dann, wenn das nicht in der Öffentlichkeit stattgefunden hat. Für die aktuelle Platte habe ich versucht, diese Meditation auf Band zu verewigen. Bei den vorherigen Alben hatte das Studioambiente den meditativen Aspekt immer gefährdet oder unmöglich gemacht. Kunst bedeutet zwar eigentlich, ein Bauchgefühl in Form zu bringen, ich hatte aber einfach keinen Bock mehr darauf, das Gefühl durch die Form zu verlieren. Glaubst du, dass man ein Gefühl verfälschen kann, wenn man lange darüber nachdenkt, um es für einen Songtext so geschickt wie möglich ausformulieren zu können? Eigentlich nicht. Meine früheren Texte liegen mir auch sehr am Herzen, ich habe viel an ihnen gearbeitet. Es geht eher darum, dass ein Lied für mich fertig ist, wenn ich die Akkordfolge und die Melodie habe. Wenn ich mich jetzt hingesetzt hätte und den Text, den ich intuitiv hatte, wie früher weiter ausgearbeitet, also Wörter oder ganze Sätze geändert hätte, wäre mir viel zu viel Zeit vergangen, viel zu viel Rationales zwischen Findung und Aufnahme des Liedes eingeflossen. Einer deiner neuen Songs heißt „Nana“. Er handelt von einer japanischen Prostituierten, die du 2008 in Tokio getroffen hast. Wie muss man sich die Begegnung vorstellen? Bei der Asien-Tour in dem Jahr war ich einerseits frustriert darüber, dass ich die Konzerte nicht genießen konnte, da ich meine Stimme soweit verloren hatte, dass Singen nur noch reine Arbeit war. Jegliche authentische Gefühlsäußerung war mir aus rein technischen Gründen verwehrt. Andererseits war ich konfrontiert mit der erotischen Aufladung der Situation. In Europa werde ich nicht idolisiert. In Asien ist das anders, da herrscht fast schon eine Hysterie. Ich bin zwar bis heute noch auf keines der Mädchen aus dem Publikum zugegangen, muss aber gestehen, dass das alles eine gewisse Wirkung auf mich hat, was die Libido angeht. Ich stellte mir auch manchmal vor, was wäre wenn. Das ist ja ziemlich natürlich. Auf jener Tour im November 2008 entstand aber eine unheilbringende Melange aus sexuellem Unbefriedigtsein und der Verzweiflung, bei keinem der Konzerte fühlen und in den Songs schwelgen zu können. Ich war dann im Anschluss an die Tour eine Zeitlang in Tokio, um dort einige Leute von Plattenfirmen zu sprechen. Am letzten Abend ging ich betrunken nach Hause zum Hotel und kam durch das Rotlichtviertel von Shibuya. Dort kam diese wirklich schöne, süße Frau auf mich zu. Ich war sehr perplex, dass sie scheinbar in diesem Gewerbe arbeitete. Wobei es nicht unüblich ist, dass japanische Studentinnen – um sich beispielsweise eine Louis-Vuitton-Handtasche kaufen zu können – in ihrer Freizeit auch mal da abhängen. Es war schon ein besonderes Erlebnis, weil ich mich nie in einer Situation gesehen hätte, in der ich so was machen würde. Ich habe ihr dann meine Musik über den iPod vorgespielt und sie gefragt, ob ich sie umarmen und auch küssen darf. Es war eher, als hätte ich gerade ein Date, ich kam gar nicht in die Rolle eines Freiers. Ich habe Nähe gesucht, nicht Sex. Es ging um etwas viel Existenzielleres. In „Nana“ singst du „you know the answers“. Was hat Nana dir denn erzählt? Erzählt hat sie nicht viel. Die Antworten waren in dem Moment, sie zu spüren. Es war genau so kitschig, wie es klingt: „You know the answers.“ Hast du mit ihr geschlafen? Es kam dann schon zu mehr. Aber das fand ich gar nicht so relevant, weil es dabei nicht um Triebabfuhr ging. Ich bin dann gegen vier oder fünf Uhr morgens über die Shibuya Crossing, die große Kreuzung in dem Viertel gelaufen, habe „Sad Eyed Lady Of The Lowlands“ von Bob Dylan gehört, mitgesungen und ein bisschen davon auch aufgenommen. Im Hidden Track auf dem Album hört man was von dem, was ich da besoffen gegrölt habe. Ich habe dann im Hotel schnell meine Sachen gepackt und bin zum Flughafen-Shuttle. Auf dem Flug nach Deutschland nüchterte ich langsam aus und wurde mir der Konsequenzen bewusst. Das begann im Katzenjammer: Ich habe Intimität mit einer Fremden geteilt! One Night Stands sind eben nie die Lösung und wirken rückblickend eher traumatisierend. Während des Fluges habe ich dann das Hörbuch zu Eric Claptons Autobiographie gehört, das man auf dem „On Demand“-Monitor wählen konnte. Die Stimme des Vorlesers Bill Nighy hat mich zwar unglaublich beruhigt, aber ich dachte auch die ganze Zeit: Scheiße – willkommen im Club! Jetzt bin ich einer von euch. Als protestantisch erzogener Junge, für den es im Nachhinein zu viel war, betrunken in Tokio zu einer Prostituierten zu gehen, konnte ich das nicht so richtig mit meinem Selbstbild vereinbaren. Monatelang habe ich daraufhin mit mir gehadert, bis ich dieses Lied geschrieben habe. Das war eine Art Befreiungsmoment. Ich dachte: Wenn das Lied „Nana“ das Ergebnis ist, ist doch alles wieder gut. Was waren die späteren Folgen der Begegnung mit Nana? Der Alkoholrausch und dieses Alleinsein morgens in Tokio, war für mich ein Sinnbild eines generellen Verlorensein und einer Haltlosigkeit im Leben. Meine Reaktion auf diese Situation war dann im Anschluss an die Asien-Tournee, dass ich begann, gegen narzisstische Bedürfnisse zu rebellieren und jeden Druck hinter mir zu lassen. Ich wollte nicht mehr Popmusiker und der Prinz in Asien sein. Ich rasierte mich nicht mehr, kümmerte mich allgemein nicht mehr um mein Äußeres. Ich dachte: So, ich verlottere jetzt! Ich habe gemerkt, dass, wenn äußerlich alles verwest und die ganze Schönheit gekillt ist, sie auf einmal innerlich da ist. Außen war kein Glamour mehr da, aber dafür in mir. Wenn du das nächste Mal nach Tokio kommst, wirst du nach Nana suchen? Du wirst lachen, aber ich habe ja eine China-Tour im April und Mai. Für danach habe ich mir schon ein Ticket nach Tokio gekauft. Ich werde mal gucken, ob ich sie finde - was ich jetzt erstmal bezweifle.

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Illustration: Julia Schubert

„I Am Nothing But Emotion, No Human being, No Son, Never Again Son“ von Maximilian Hecker erscheint am 26. März auf Blue Soldier/Rough Trade.

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