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Der Kern der Privatsphäre: über den Wert von Kinderfotos

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Es ist uns egal. Und es ist uns auch egal, dass es ein Problem sein könnte. Wir lassen uns auf Partys fotografieren und freuen uns sogar, dass die Bilder sich anschließend im Netz wieder finden, wir dokumentieren unser Leben online, singen peinliche Lieder in YouTube-Clips oder bloggen persönliche Details in Statuszeilen und finden nichts dabei. Vielleicht ahnen wir, dass das nicht der beste aller Wege ist mit der so genannten Privatsphäre umzugehen, aber es ist uns dann doch egal. Ein wenig wie die leidige Renten-Debatte. Auch hier wissen wir, dass man sich eigentlich frühzeitig um eine Altervorsorge kümmern müsste, aber dann kommt doch wieder was dazwischen. So jedenfalls ist das Bild, das von der so genannten Internet-Generation in den etablierten Medien verbreitet wird. Junge, gedankenlose Menschen, die ihr Leben samt aller Fehltritte und Peinlichkeiten ins Netz stellen und kein Interesse an den Folgen zeigen. Die Schamgrenze sinkt, meinen selbsternannte Experten beobachtet zu haben und schreiben vom Verschwinden der Privatheit in einer Zeit, in der alles öffentlich wird.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ich glaube, dass das nicht stimmt: Intimität zeigt sich heute anders als zu den Zeiten, deren Bilder aktuell ins Internet drängen. Ich rede von Blogs wie My Parents Were Awesome oder Keggers of Yore, die Bilder aus der Vergangenheit in die Gegenwart des Internet holen. Auf den ersten Blick sind diese Seiten ein weiterer Beweis für den Verlust der Privatheit: Menschen öffnen ihre analogen Fotoalben, scannen vergilbte Bilder ein und machen auch die noch öffentlich - und im (sehr lustigen und sehenswerten) young me now me-Wettbewerb stellen sie sogar eigene Kinderbilder nach und posten sie ins Netz. Doch gerade weil sie das tun, verletzen sie eine Grenze. Sie weisen uns, denen doch eigentlich alles egal ist, auf eine Form der Privatheit hin, die wir bisher geschützt haben und die wir auch weiterhin schützen werden: unsere Kindheit. Die Bilder aus dieser Zeit liegen vermutlich in riesigen roten Fotoalben auf dem Dachboden oder stapelweise in Kartons, auf denen in Mutterschrift „Dänemark, Sommer88“ steht. Es tauchen aber noch andere Bilder auf, sobald der Begriff „Kinderfotos“ fällt: Es sind Porträts aus frühster Zeit, die wir nur deswegen so gut kennen, weil sie bei den Eltern im Flur hängen, bei Mama in einem Amulett um den Hals oder bei Oma auf dem Fernseher stehen. Wie sie da so seit Jahrzehnten an ihren Plätzen verharren, gehören diese Kinderfotos zum Inventar der Orte, die mal Heimat waren, wie die ewige Couch oder die alte Katze. Beim flüchtigen Scannen der altbekannten Umgebung nehmen wir sie gar nicht als Teil von uns wahr, sondern als Teil von Omas Schrank. Nur manchmal sehen wir sie noch wirklich an, diese kleinen Menschen, die sich damals genau gleich "Ich" gefühlt haben wie wir es jetzt gerade tun. Die Bilder selbst sind, obwohl wir nicht 1951 oder so geboren sind, auf eine papiermäßige Art gealtert, ein wenig vergilbt tatsächlich schon oder in ihren Farben so seltsam unmodern. Und man kann nicht umhin, mit leichtem Befremden festzustellen, dass selbst in den frühen 1990ern die Menschen schon wirklich anders aussahen und angezogen waren. Sie sind ein Dokument dafür, dass auch wir schon Vergangenheit haben; eine Zeit, die hinter uns liegt und die uns und zu uns gehört wie die wilden Geschichten von der Uni zu Papa. Aber noch eine Beobachtung drängt sich auf, wenn wir jetzt dank des Internet an die Bildnisse der eigenen Vergangenheit erinnert werden: Sie sind auf eine idyllische Art intim. Sie liegen hinter der Grenze, für die Datenschutzbeauftragte zuständig sein sollten, sie sind auf die angenehmste Art des Wortes privat. Wir werden sie schützen, besser als wir unsere Telefonnummern (in Wahrheit vergänglich), Mails (sehr vergänglich) oder Konsum-Präferenzen (darüber hinaus auch wirklich egal) schützen werden. Wir werden sie nicht ins Netz stellen, neben die Sauf-Bilder von der Klassenfahrt oder die Bikini-Bilder vom Strand. Alles andere dürfen Google, Facebook und Co gerne wissen, diese Bilder aber werden unser Schatz bleiben. Ein Geheimnis, das wir nur vor demjenigen lüften, der oder die es tatsächlich Wert ist. In unserem echten Lebens schützen wir diese Bilder auch besser als den ganzen Rest. Wir sind womöglich sogar schon vor Menschen nackt gewesen, denen wir diese Fotos aus einer anderen Zeit, niemals zeigen würden. Wir waren mit ihnen vielleicht intim; aber privat muss es deshalb ja nicht werden.

Text: stefan-winter - Mitarbeit: Fabian Fuchs; Illustration: Katharina Bitzl

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