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"Zwischen Türken und Deutschen gibt es häufig kein Miteinander"

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So eine Berlinale, die bietet einem natürlich nicht nur cineastische Augenschmeichler, weltstädtische Internationalität und einen Hauch von Hollywood-Flair. Nein, auch das visuelle Skurrilitätenkabinett ist pickepackevoll mit verfilmten Entgleisungen. Hier ein kleines Best-Of: * Im gelungenen Panorama-Beitrag „Father Of Invention“ mimt Kevin Spacey einen Erfinder von verblüffenden Kombinationsgeräten. Er konstruiert zum Beispiel ein Pfefferspray mit eingebauter Kamera, sodass man das Bildmaterial nach erfolgreicher Abwehr eines körperlichen Übergriffs direkt beim nächstbesten Polizeirevier vorlegen kann.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Spacey in "Father of Invention" * Im japanischen Wettbewerbsfilm „Caterpillar“ vergewaltigt ein Mann ohne Arme und Beine seine Ehefrau, während diese auf seinem von Wunden entstellten Schädel rohe Eier zerquetscht. Wer von Beiden stärker unter dieser Szene zu leiden hat, wird allerdings nicht ganz ersichtlich. * Sehr viel romantischer geht es im Kurzfilm „Geliebt“ zu, der mit einer intimen Liebesszene beginnt. Mit einem Hund. Der verantwortliche Filmemacher Jan Soldat ist also quasi auf den Hund gekommen. "Ich hab's mit Menschen versucht, konnte aber keine Beziehung zu ihnen aufbauen. So eine Verbundenheit wie zum Hund habe ich vorher noch nie erlebt. Er ist treu, zeigt mir seine Liebe, belügt einen nicht, hintergeht einen nicht." (Da hatte die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien damals also doch recht, als sie „Claudia“ von Die Ärzte auf den Index gesetzt hatte. Allerdings erfolglos, wie man sieht.) *** Nach sechs Jahren läuft wieder ein Film mit Sibel Kekilli in der Hauptrolle auf der Berlinale. Wieder geht es um das selbstbestimmte einer Türkin in Deutschland und das Gefangensein in veralteten Traditionen. Wieder ist es ein Beitrag, auf den sich nahezu alle Kritiker einigen können. Bloß den Goldenen Bären, den wird sie dieses Mal nicht gewinnen – weil „Die Fremde“ leider nicht im Wettbewerb läuft. Wir trafen Sibel dennoch, um mit ihr über die große Erwartungshaltung nach „Gegen die Wand“, Ehre und Bushido zu sprechen. jetzt.de: In Anbetracht der Tatsache, dass du den großen Erfolg von „Gegen die Wand“ bisher noch nicht wiederholen konntest, stand in der „Zeit“ gerade, du würdest gegen die Wand deiner eigenen Geschichte laufen. Wie denkst du darüber? Sibel Kekilli: Na ja, mit dem Film haben wir immerhin den Goldenen Bären geholt. Da müsste man wohl schon den Oscar gewinnen, um das noch mal toppen zu können. Insofern macht es überhaupt keinen Sinn, dagegen anzurennen. Man sollte es lieber mitnehmen und genießen. In „Tagesspiegel“ stand wiederum zu lesen, dass du mit „Die Fremde“ nun durch die Wand gehen würdest. In dieser Aussage finde ich mich auf jeden Fall mehr wieder. Ich bin sehr froh, dass mir wieder so eine facettenreiche Rolle angeboten wurde und ich die Chance bekommen habe, mich darin zu beweisen.

Im Film fällt oft der Begriff ‚Ehre’. Was wird denn genau darunter verstanden? Schwer zu sagen, aber im Fall von „Die Fremde“ heißt das vor allem ‚Besitz über die Frau’. Der übersteigerte Ehr-Begriff ist vor allem ein männliches Phänomen. Persönlich kenne ich solche Typen aber zum Glück nicht. Ich habe letztens gemeinsam mit Bushido ein Interview geführt, der früher auch sofort ausgerastet ist, wenn man ihn als Hurensohn beschimpft und damit seine Ehre beleidigt hat. Deswegen hat er auch schon mal eine Frau geschlagen und das kann ich nicht nachvollziehen. Heute sieht er das glücklicherweise anders. Im Film geht es um türkische Familien, die schon sehr lange in Deutschland wohnen, aber dennoch nach wie vor sehr eng mit der türkischen Kultur verhaftet sind. Woher kommt dieser starke Bezug zur ehemaligen Heimat und die geringe Adaption westlicher Sichtweisen? Das liegt an der fehlenden Integration, und zwar von beiden Seiten. Die Deutschen dachten, die Türken gehen sowieso irgendwann wieder zurück und haben sich keine Mühe gegeben. Die nachfolgenden Generationen der Türken haben dann die Frustration ihrer Eltern mitbekommen, und sich daraufhin auch immer weiter zurückgezogen. Häufig gibt es zwischen Türken und Deutschen eben kein Miteinander, sondern nur ein Nebeneinander. Man müsste einfach mehr aufeinander zugehen. Hat sich in dieser Hinsicht nicht schon viel getan? Bei einigen Leuten sicherlich, aber ich habe eigentlich das Gefühl, dass die Schlucht zwischen Türken und Deutschen immer größer wird. Zu meiner Schulzeit gab es zumindest nicht so viele Mädchen mit Kopftüchern an den Schulen. Denen wird aber leider auch nicht das Gefühl gegeben, dass Deutschland ihre Heimat ist, sodass sie sich immer weiter in die Kultur zurückziehen, die ihnen als die ihre verkauft wird. Hinzu kommt die wachsende Angst vorm Islam hierzulande, weil Dinge wie Terrorismus und Ehrenmorde fälschlicherweise damit verknüpft werden. Und die Moslems gehen leider nicht auf die Straße und machen den Leuten begreiflich, dass Ehrenmorde und Terrorismus nichts mit dem Islam zu tun haben. Das könnte schon einiges ändern.

Text: daniel-schieferdecker - Foto: dpa

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