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Der Finger springt: Wie 3D unser Sehverhalten verändert

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Avatar läuft seit einem guten Monat im Kino - und hat in dieser Zeit alle Rekorde gebrochen: Er ist mit 1,8 Milliarden Dollar Einspielergebnis der erfolgreichste Film aller Zeiten und die Chancen auf eine Handvoll Oscar-Statuen stehen ebenfalls ganz gut. Ein wichtiger Grund für diesen Erfolg ist die neuartige 3D-Technologie, die Regisseur James Cameron für die Dreharbeiten entwickeln ließ. Nun ist die gesamte Film-Welt im 3D-Wahn - zukünftige Blockbuster werden voraussichtlich ausschließlich in 3D gefilmt. Sebastian Knorr hat zusammen mit vier Kollegen an der TU Berlin ein Verfahren entwickelt, mit dem man auch bereits gedrehte Filme in 3D umwandeln kann. Im Gespräch mit jetzt.de erklärt er, warum die 3D-Technologie möglicherweise eine ebenso große Bedeutung hat wie der Schritt vom Stumm- zum Tonfilm. Und was das für die Kinos bedeutet. In Physik habe ich gelernt, dass ein Film von Anfang an mit zwei Kameras gedreht werden muss, damit der Tiefeneffekt entsteht. Ihr könnt 2D-Filme aber nachträglich ins 3D übersetzen. Wie geht das? Das Prinzip ist ähnlich. Du musst dir das räumliche Sehen so vorstellen: Unsere Augen nehmen zwei minimal verschiedene Bilder wahr. Diese Aufnahmen sind um den Augenabstand von 6,4 cm verschoben. Das kann man ganz einfach ausprobieren: Schau deinen ausgestreckten Finger zuerst nur mit dem linken und dann nur mir dem rechten Auge an. Ja, der Finger springt. Genau. Macht man aber beide Augen auf, verbindet das Gehirn die beiden Aufnahmen miteinander. So funktioniert das räumliche Sehen. Unser Computerprogram berechnet aus den vorhandenen Aufnahmen das fehlende Bild, so als hätte es tatsächlich ein zweites Auge, oder eben eine zweite Kamera, gegeben. Zeigt man das errechnete Bild zusammen mit der Originalaufnahme in einem Videostream, erscheint der Film dreidimensional.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Sebastian Knorr, der Gründer von imcube. Seid ihr die ersten mit dieser Idee? Nein, es gab schon vorher Firmen, die sich mit der Konvertierung von 2D in 3D beschäftigt haben. Sie bearbeiten die Bilder allerdings manuell, Frame für Frame. Um eine Sekunde Film zu "übersetzen", braucht man so vier bis fünf Tage. Unser Team kommt aus dem IT-Bereich und wir versuchen, den Computer so viel wie möglich machen zu lassen. Bei bestimmten Aufnahmen, zum Beispiel bei Kamera-Fahrten, braucht er für dieselbe Arbeit nur wenige Minuten. Unser Programm analysiert selbstständig die Bewegung der Kamera und merkt sich markante Punkte, zum Beispiel Schatten oder Kanten. Nach diesen Punkten sucht es dann im nächsten Bild und errechnet daraus die 3D-Koordinaten. Das Selbe macht unser Auge auch, wenn wir zum Beispiel Zug fahren. Man kann also jeden Film einfach in euer Programm einspeisen und der wird ruck-zuck in 3D übersetzt? Nein, leider hat unsere Technologie Grenzen. Die vollautomatische Konvertierung funktioniert nur, wenn die Kamera sich bewegt und die Szene steht - zum Beispiel bei Aufnahmen aus dem Helikopter. Wenn sich Objekte bewegen, müssen wir dem Computer bei der Berechnung helfen. Außerdem haben viele Filme sehr schnelle Schnitte, da ist es sehr schwierig, den Film nachträglich zu bearbeiten. Ist es überhaupt, sinnvoll, alle Filme zu konvertieren? Ich kann mir nicht vorstellen, dass Casablanca durch 3D viel gewinnt. Genau dasselbe hat man über Nachcolorierung gesagt, als der Farbfilm rauskam. Manche mögen es, manche eben nicht. Ich glaube nicht, dass alle Filme dieser Welt eine 3D-Version brauchen. Manche Filmgenres gewinnen von der Konvertierung mehr als andere: Action- und Horrorfilme werden in 3D noch heftiger, Naturdokumentationen auch. Auch Cartoons eigenen sich gut zur Nachbearbeitung, weil die Schnitte nicht so schnell sind. Ich glaube, dass der generelle Trend in Richtung 3D geht, auch in Deutschland. Wim Wenders arbeitet gerade an einem 3D-Tanzfilm über Pina Bausch. Ich würde sogar von einem internationalem Hype sprechen, und das nicht erst seit Avatar. Manche Kritiker vergleichen „Avatar“ mit „Der Jazzsänger“, dem ersten Tonfilm. Viele sprechen gar von einer Revolution der Kinematographie. Ich würde ihnen zustimmen. Es geht ja nicht nur um Spezialeffekte. Technischer Fortschritt ändert auch den künstlerischen Zugang, die Art und Weise, wie man Geschichten erzählt. In Stummfilmen mussten die Schauspieler zum Beispiel viel mit Mimik arbeiten, im Tonfilm fiel das weg. Ich glaube, dass Filme bald anders gedreht und geschrieben werden. Übrigens ist der räumliche Film älter als Tonfilm. 3D hat immer wieder Hochphasen erlebt, hat sich dann aber doch nie richtig durchgesetzt. Die 1950er und 1960er waren so eine goldene Ära. Da wurden sogar mehr 3D-Filme gedreht als heute, das war damals auch eine Reaktion auf den Siegeszug des Fernsehers. Die Kinobetreiber mussten sich plötzlich neue Gimmicks überlegen, um die Zuschauer in Kinosäle zu locken. Zuerst war es der Farbfilm und dann, als auch der Farbfernseher in den Wohnzimmern ankam, eben 3D. Glaubst du, dass visuelle Wunder diesmal den großen Bildschirm retten werden? Es gibt ja auch den Trend, dass Filme auf Handys geguckt werden, oder gar im Internet mit hunderten Lade-Unterbrechungen. Qualität, geschweige denn Spezialeffekte, bleiben da ziemlich auf der Strecke. Ich wünsche es mir sehr, weil ich es sehr traurig finde, wenn großartige Filme in winzige Youtube-Fenster gepresst werden. Und die Zahlen geben Hoffnung: Letztes Jahr ist der Verkauf von Kinotickets um 10 Prozent gestiegen, sogar mehr als der von DVDs. Ein großer Teil davon ist 3D zu verdanken. Diese Technologie hat sich vorher nur deshalb nicht durchgesetzt, weil die Qualität so abgrundtief schlecht war: Die Rotgrün-Brille führte zum Farbverlust und trennte die Bilder so schlecht, sodass man doppelt sah. Um die Jahrtausendwende herum hat sich dann eine neue Technik durchgesetzt: Polarisation, bei der nicht mehr mit Farbwellen gearbeitet wurde, sondern mit Lichtwellen. Es ist erstaunlich, was man damit alles anstellen kann. Gehst du ins Kino wegen dem Visuellen oder wegen der Geschichte? Beides ist wichtig! Bevor man einen technisch virtuosen, aber inhaltslosen 3D-Film in die Kinos bringt, sollte man die Finger lieber ganz davon lassen. „Disneys Weihnachtsgeschichte“ ist ein gutes Beispiel dafür, dass die besten Effekte nichts bringen, wenn Zuschauer vor Langeweile einschlafen. Ein gutes Drehbuch ist das Wichtigste. Man braucht aber auch perfektes 3D, bei dem man keine Kopfschmerzen bekommt. Hier kannst du zwanzig Fakten zu Avatar lesen, dem erfolgreichsten Film aller Zeiten.

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