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„Ich rannte wie Forrest Gump“

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André Heller weiß, wie es ist, jahrelang in denselben ausgelatschten Turnschuhen herumlaufen zu müssen. Jetzt möchte er in Kooperation mit dem BLANK Magazin und der Kinderhilfsorganisation Arche Kindern und Jugendlichen in finanzieller Notlage ein Paar neuer Marken-Sneaker schenken. Ein Interview mit dem Erfinder Deutschlands erster Turnschuhklappe. jetzt.de: André, wie kann man sich die Turnschuhklappe überhaupt vorstellen – ist das eine real existierende Klappe, in die man seine Sneaker legt, wenn man sie gern spenden möchte? André Heller: Nein. Da kommt es oft zu Missverständnissen. Viele schreiben uns: Ich möchte auch mithelfen, wo kann ich meine Schuhe denn jetzt hingeben? Es ist natürlich toll, einer so großen Hilfsbereitschaft zu begegnen. Auf privaten Spenden sind wir aber gar nicht angewiesen. Durch die unerwartet große Spendenbereitschaft von Firmen wie Adidas, Nike, Asics u. a. ist unser Schuhpool jetzt schon komplett gefüllt. Die Turnschuhklappe war von Anfang an eigentlich nur als einmalige Sammelaktion für bedürftige Kinder und Jugendliche geplant. Mittlerweile kann ich mir gut vorstellen, dass es die Klappe öfter und in verschiedenen Städten geben wird. Wir bleiben aber weiterhin eine Non-Profit Organisation. Alle die sich für das Projekt engagieren, tun das freiwillig.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Wo ist denn dieser Schuhpool und in welcher Stadt findet die erste Aktion statt? In Berlin. Es ist die Stadt, in der die größte Armut Deutschlands herrscht. Ursprünglich wollte ich dort mit der Agentur für Arbeit zusammenarbeiten. Ich wollte einen Raum für die Ausgabe von Schuhen, wie es eben auch einen Raum für die Ausgabe von Lebensmittelcoupons gibt. Als sich da aber niemand meldete, beschloss ich es selbstständig durchzuziehen. 3000 Paar Schuhe haben wir zusammenbekommen. Sie liegen natürlich schon in Berlin. Nach Größen sortiert und übereinander gestapelt warten sie in den Redaktionsräumen meiner Freunde des BLANK Magazins. Und zwar auf Montag, den 14. Dezember. Da werden wir das Projekt im Rodeo Club Berlin bei einer Kick-off Party der Öffentlichkeit vorstellen. Die werden aber nicht dort verteilt, oder? Nein. Das Verteilen geht erst am Tag darauf los. Darum kümmert sich die Arche. Ich wollte das ja wahnsinnig gern selbst machen. Ein Freund aber schlug die Zusammenarbeit mit der Kinderhilfsorganisation vor. Beim ersten Gespräch mit ihr wurde klar, wie gut wir zusammenpassen. Das größte Problem, das die Arche hat, ist, kostenlos an gute Turnschuhe heranzukommen. Durch meine Kontakte und meiner Stellung in der Sneaker-Branche stand ich genau an dieser Quelle. Mein größtes Problem wiederum war, herauszufinden, wer in einer Stadt konkret auf meine Hilfe angewiesen ist. Da kennt die Arche sich natürlich aus. Sie bekommt also insgesamt 1000 Paar Schuhe und gibt Bedürftigen Bescheid, die sich je ein Paar bei der nächsten Filiale der Hilfsorganisation abholen dürfen. Was geschieht mit den 2000 restlichen Schuhen? Die werden am Kick-off Abend im Rodeo zu einem riesigen Turm aufgebaut und ausgestellt. Sozusagen als Symbol dafür, was wir bisher erreicht haben. Wir heben sie uns erstmal auf - wahrscheinlich geht es nämlich schon im Januar in Frankfurt in die zweite Runde. Da werden wir sie brauchen. Frankfurt ist deine Heimatstadt, du besitzt dort auch deinen eigenen Sneaker-Laden "Biohauspiraten". Was steckt hinter deiner Affinität zu Turnschuhen? Ich wurde als Kleinkind ins Heim abgeschoben. Der in mir angestaute Frust trieb mich ständig nach draußen zum Laufen. Wie ein kleiner Forrest Gump rannte ich unermüdlich. Tat ich das ausnahmsweise nicht, verschönerte ich meine Umwelt mit der Spraydose. Deshalb wurde ich eines Tages zu Sozialstunden im Altersheim verurteilt. Das gesamte Team des Heims mochte mich auf Anhieb. Alle wussten über meinem unbändigen Drang zu laufen Bescheid und überraschten mich Wochen später mit einem Paar Puma Cells – damals die besten Laufschuhe überhaupt. Nach acht Wochen waren die Spezialzellen der Sohle schon komplett kaputt gelaufen, so exzessiv kostete ich das neue Laufgefühl aus. Mir wurde klar, wie wichtig gute Turnschuhe sind - meine Begeisterung für Turnschuhe war entflammt. Bisher war ich nur in meinen alten, ausgetretenen Deichmannschuhen gelaufen. Meine Freunde und ich trugen jahrelang dieselben Klamotten. Wir hatten eben kein Geld. Aus meiner Begeisterung heraus suchte ich mir einen Job im Sneaker-Laden. Jahre später eröffnete ich dann meinen eigenen. Geht es dir bei der Aktion also gar nicht um den Markenturnschuh als Statussymbol auf dem Schulhof, sondern einfach darum, das pure Erlebnis guter Schuhe – wie du es damals selbst erfahren hast – weiterzugeben? Genau. Natürlich freut sich jeder Mensch zwar neben dem Qualitäts- auch über den Coolheitsfaktor eines Kleidungsstücks. Aber das will ich ja nur: Jemandem eine Freude machen. Ganz unkompliziert. Ich engagiere mich gerne in Wohltätigkeitsorganisationen. Ich finde es nur schade, dass man nie erlebt, wohin seine Spenden gehen. Als ich in Berlin die Armut auf der Straße spürte und mich an meine eigene Jugend erinnert fühlte, dachte ich: Das ist etwas, was ich selbst machen kann. Ich will ärmeren Kindern in Deutschland zu guten Schuhen verhelfen. Genug Kontakte in die Schuhbranche habe ich, mal sehen wie viele Spenden ich zusammenkriegen kann. Auf deiner Homepage schreibst du, die Aktion sei ein klares Statement gegen die sozialen Unterschiede Deutschlands. Ja, weil durch sie plötzlich jeder gute Markenschuhe tragen kann. Unabhängig von sozialem Status und finanzieller Lage. Ich verstehe nicht, wieso man nicht tun sollte, was ich tue. Eine Firma bot mir Hunderte von Schuhpaaren einer sehr bekannten Marke an, die allesamt kaum bemerkbare Mängel aufwiesen. Sie waren noch völlig in Ordnung, aber eben ausgemustert. Er sagte: Wenn Sie sie nicht nehmen, schmeiße ich sie weg. Da soll mir mal einer erklären, wieso man damit nicht lieber ein paar Kinder und Jugendliche beschenken soll. Im nächsten Jahr bekomme ich von ihm sogar noch mehr, sollten wir die Turnschuhklappe fortsetzen. Was wünscht du dir für die Zukunft, damit das passiert? Dass sich noch mehr spendewillige Firmen finden. Ich hätte gern auch Schuhe für Kleinkinder. Momentan haben wir nur die gängigen Größen. Sondergrößen wären super. Leider haben sich aber die meisten Kinderschuhfirmen, gar nicht auf meine Anfragen eingelassen. Die kennen mich eben noch nicht, weil ich geschäftlich nicht mit ihnen zu tun habe. Hoffentlich schlägt die Aktion jetzt Wellen. Dann motivieren sich vielleicht auch Firmen, die mir bisher abgesagt haben.

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