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"Das geht an die Substanz"

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Bisher war Hassan Khateeb, 22, einer von 35.000 Studenten an der Goethe-Universität Frankfurt. Er war einer, der wie andere Jurastudenten die Vorlesungen für Straf- und Zivilrecht, öffentliches Recht und Rechtsphilosophie besuchte und den Sommer in der Bibliothek verbrachte, um zu lernen. Kaum einer seiner Kommilitonen wusste, dass er ein geduldeter Asylbewerber ist, der Nacht für Nacht befürchten muss von der Polizei geweckt und zum Flughafen gebracht zu werden. Um seine Abschiebung zu verhindern hat er nun seine Geschichte öffentlich gemacht.



Als der hessische CDU-Ministerpräsident Roland Koch im August Wahlkampf in Dietzenbach macht, bittet Hassan Khateeb ihn um zwei Minuten seiner Zeit. Koch hört sich Hassans Geschichte an und sagt, er würde sich informieren. Versprechen könne er aber nichts.

Hassan Khateeb kam als Fünfjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nun sollen er, seine Mutter und seine Geschwister nach Jordanien abgeschoben werden, wo sein Vater bereits seit zwei Jahren in einem Flüchtlingslager lebt. „Ich kann mir nicht vorstellen, was in Jordanien aus mir werden würde“, sagt Hassan Khateeb, der kein Arabisch spricht und davon ausgeht, dass sein Abitur dort nichts zählt. „Ich glaube nicht, dass ich dort studieren kann.“

Für Familien wie seine gibt es seit Ende 2006 eine Bleiberechtsregelung, nach der in Deutschland bleiben darf, wer länger als sechs Jahre hier lebt und selbst für seinen Lebensunterhalt aufkommen kann. Weil die Ausländerbehörde der Familie Khateeb vorwirft, sie komme nicht wie behauptet aus Palästina sondern aus Jordanien und habe falsche Angaben gemacht, profitiert die Familie nicht von der Bleiberechtsregelung. „Wir haben Papiere, die beweisen, dass wir aus Palästina sind“, sagt Hassan Khateeb. „Aber selbst wenn meine Eltern gelogen hätten: Ich war damals fünf, meine Geschwister zum Teil noch nicht geboren. Und wir sollen alle dafür haften?“ Er macht sich Sorgen um seine eigene Zukunft, aber auch um die seiner jüngeren Geschwister. Alle gehen in ihrem Heimatort Dietzenbach zur Schule, dort haben sie ihre Freunde und ein soziales Umfeld. Jordanien ist für sie ein fernes Land, irgendwo im Nahen Osten. „Ich habe meine Geschichte vorher nie an die große Glocke gehängt“, sagt Hassan. „Das ist ja auch etwas sehr Privates, das muss nicht jeder wissen.“ Er wollte kein Mitleid und auch nichts besonderes sein. Das ändert sich jetzt.



In seinem Heimatort setzen sich Freunde und Nachbarn dafür ein, dass die Familie bleiben darf. Der AStA der Universität steht hinter ihm. Professor Werner Müller-Esterl, Präsident der Frankfurter Uni, schrieb einen Brief an die hessische Bildungsministerin, dass der Fall Khateeb doch bitte noch einmal geprüft werden möge. „Wir setzen uns selbstverständlich für Hassan Khateeb ein“, sagt auch der Pressesprecher der Uni, „wir sehen die Verpflichtung, einem guten Studenten das Studium an unserer Universität zu ermöglichen.“

Hassan Khateeb macht jetzt Öffentlichkeitsarbeit, weil er auf seine Situation aufmerksam machen will. Es erscheinen Artikel, es gibt Unterschriftenaktionen. Vergangene Woche filmte ein ARD-Team Hassan in seiner Strafrechtsvorlesung. Vor laufender Kamera sprach sein Professor Cornelius Prittwitz davon, dass Recht nicht nur bedeute, Gesetze durchzusetzen, die auf dem Papier stünden, sondern auch einzuschreiten, wenn irgendwo unerträgliches Unrecht geschehe, so wie in diesem, in Hassans Fall. Der Professor findet bewegende Worte, als er in die Kamera spricht. Hassan schaut sich währenddessen um. Einigen Kommilitonen treten Tränen in die Augen. Seither sprechen ihn Mitstudenten auf dem Flur an und fragen, ob sie Unterschriften sammeln oder sonst etwas für ihn tun können.

Auch ohne konkretem Abschiebetermin ist es für einen Flüchtling mit Duldungsstatus, das heißt mit abgelehntem Asylverfahren, extrem schwierig, zu studieren. Obwohl es nicht direkt verboten ist, müssen Geduldete eine Uni finden, der der Aufenthaltsstatus egal ist. Die Universität muss in der direkten Umgebung liegen, da Geduldete in vielen Bundesländern den Landkreis nicht verlassen dürfen. Nicht zuletzt müssen Studiengebühren, Fahrtkosten und Unterrichtsmaterial finanziert werden. „Wir erfahren immer wieder von geduldeten Flüchtlingen, die es schaffen, zu studieren“, sagt Marei Pelzer, rechtspolitische Sprecherin von Pro Asyl. Da es extrem schwierig sei die Hürden zu überwinden, handle es sich allerdings eher um bewundernswerte Einzelfälle als um ein Massenphänomen.

Aus Angst dass ihm das Studium verboten wird, hat Hassan Khateeb bei der Ausländerbehörde bisher darüber geschwiegen. „Dann hätte ich nur noch Zuhause herumsitzen müssen. Das kann ich mir nicht vorstellen, das wäre für mich das Schlimmste.“

Viele Geduldete scheitern schon viel früher: am Abitur. Wer als Kind mit seinen Eltern als Flüchtling nach Deutschland kommt, schafft es häufig nicht auf ein Gymnasium. Viele machen einen Hauptschulabschluss oder die Mittlere Reife. Trotz guter Noten scheitern viele Schüler daran, dass nach der 9. Klasse die Schulpflicht ausläuft, die für geduldete Flüchtlinge gleichzeitig auch ein Schulrecht bedeutet. Auch bei Hassan war es knapp: „Das erste Gymnasium, an dem ich mich beworben hatte, hat mich aufgefordert, meinen Aufenthaltstitel vorzuweisen. Ich habe mich dann bei einer anderen Schule beworben, die mich zum Glück angenommen hat.“

Ministerpräsident Roland Koch hat Hassan mittlerweile einen Brief geschrieben. Persönlich könne er leider nichts für ihn tun, steht darin. Jetzt untersucht der Petitionsausschuss des hessischen Landtags den Fall. Lehnt er ab, bleibt Hassan nur noch eine Hoffnung: Die Härtefallkommission, die sich für ein Bleiberecht aussprechen könnte. „Ich hoffe natürlich, dass wir hier bleiben dürfen“, sagt Hassan Khateeb, „aber die Bedrohung ist sehr konkret.“ Deshalb ist er jetzt so aktiv. „Das geht an die Substanz“, sagt Hassan und wünscht sich, in Deutschland bleiben und sich auf sein Jurastudium konzentrieren zu können. Er will wieder einer von 35.000 ganz normalen Studenten in Frankfurt sein.

Wer Hassan Khateeb unterstützen will, kann eine Online-Petition unterzeichnen.

Text: anke-luebbert - Fotos: privat

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