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Was muss ich über Breakdance wissen? Ein Interview mit dem Altmeister

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jetzt.de: Der große Breakdance-Boom in Deutschland war Mitte der 80er Jahre. Was hat das Abklingen dieses Hypes für dich als Tänzer damals verändert? Storm: Eigentlich alles. Denn in Deutschland hat außer mir kaum jemand weitergemacht, so dass man selber oft erst außerhalb der Landesgrenzen wieder auf Gleichgesinnte gestoßen ist. Und weil man sich nur selten sehen konnte, hat man für die raren Treffen auf irgendwelchen HipHop-Jams doppelt so hart trainiert wie vorher. Das hätte sich ganz anders entwickelt, wenn der Trend nicht abgeklungen wäre. In New York ist der Tanz ganz ausgestorben, weil die Leute dachten: Der Tanz ist eh da. Bis es irgendwann keine Tänzer mehr gab. Seit Jahren gibt es diverse Castingshows in Deutschland. Darin wird regelmäßig „HipHop“ getanzt und viele Leute setzen das mit Breakdance oder B-Boying gleich. Worin liegt der Unterschied? Was wir heute unter Breakdance verstehen, ist eigentlich nur der Tanz B-Boying. Von den Medien wurden darunter damals allerdings auch solche Tanzarten wie Electric Boogaloo, Popping, Locking, Lofting und Wacking gefasst – Tänze, die es bereits gab, bevor der Begriff „HipHop“ überhaupt existierte. Die brauchten einen griffigen Namen für das gesamte Phänomen. Und wer heute mit dem Tanzen anfängt, weiß oft gar nicht, was er da wirklich macht und nennt das dann Breakdance oder HipHop. Denn je globaler der Name, desto geringer die Wahrscheinlichkeit, sich in die Nesseln zu setzen. Storm in den 90er-Jahren:

Der erste Vorläufer vom "Battle Of The Year" fand 1990 in Hannover statt. Beim ersten offiziellen BOTY ein Jahr später warst du mit deiner Crew „Battle Squad“ dessen erster Gewinner. Kannst du dich noch an die Veranstaltung erinnern? Ja, aber es war damals eine sehr merkwürdige Atmosphäre, weil irgendwelche Leute aus Berlin mit zwei Reisebussen vorbeikamen und nur auf Stress aus waren. Die haben eine Graffiti-Ausstellung, die im Rahmen des BOTY stattfand, komplett beraubt, Tänzer auf der Bühne bespuckt und mit Leuchtraketen geschossen. Aber meine Crew und ich, wir haben uns am Ende natürlich trotzdem gefreut, als wir den ersten Platz gemacht haben. Das Preisgeld von je 500 Mark haben wir damals dafür genutzt, um das erste Mal nach New York zu fliegen. Und Storm als Solokünstler heute:

Was bedeutet es dir nun zu sehen, wie die Veranstaltung ihr 20-jähriges Jubiläum feiert? Natürlich ist es schön, dass es das "Battle Of The Year" immer noch gibt und es so viel Zuspruch findet, denn die Veranstaltung ist weltweit einzigartig. Umso trauriger ist es jedoch, wie wenig Unterstützung die Organisatoren jedes Jahr aufs Neue von der Szene erfahren. Nach wie vor ist das "Battle Of The Year" zudem eine Non-Profit-Veranstaltung. Macht es dich traurig, dass ein so etabliertes Event auch nach zwanzig Jahren immer noch nicht genug Geld abwirft, um zumindest die Organisatoren finanziell für ihren Aufwand zu entschädigen? Da darf man sich keine Illusion machen, denn im Endeffekt ist das eine Sportveranstaltung. Natürlich ist der Tanz auch eine Kunst, doch in dem Moment, in dem man auf die Bühne geht und sich miteinander misst, da werden Punkte vergeben. Um Punkte vergeben zu können, muss man ein Format schaffen. Und wenn man ein Format schafft, geht man ganz klar in Richtung Sport. Aber es gibt ja auch Sportveranstaltungen, bei denen gut verdient wird. Klar, aber nicht bei so einem Nischensport wie unserem, den man mit ganz viel Glück vielleicht mal auf Eurosport2 sehen kann. Der Markt ist nicht groß genug, als dass man damit viel Geld verdienen könnte. Dafür haben wir jedoch die Möglichkeit, uns unsere Bühne da zu suchen, wo wir sie haben wollen und sind nicht an eine bestimmte Halle, Sportstätte oder Umgebung gebunden. Ich mache zum Beispiel viel im Theater, andere tanzen vorwiegend auf der Straße, der Nächste macht ausschließlich Club-Auftritte, Messen oder tritt bei Gala-Veranstaltungen auf – da gibt es tausend Möglichkeiten. Du sitzt dieses Jahr zum wiederholten Mal in der Jury. Worauf achtest du, wenn die Crews und Tänzer gegeneinander antreten? Welches sind die entscheidenden Kriterien? Beim Tanzen selbst gibt es drei wichtige Bereiche. Top-Rock: Alles, was man im Stehen macht. Down-Rock: Alle Schritte und Bewegungen, die man am Boden macht. Und die Freezes: Das Einfrieren der Bewegung. Beim Show-Contest, der vor dem berühmten Battle stattfindet, geht es vorrangig darum, zu selektieren, welche Gruppe ihre Hausaufgaben gemacht und ein Vokabular entwickelt hat, mit dem eine gemeinsame Choreografie kreiert wurde. Bei dieser Show-Bewertung gibt es dann auch noch andere Kriterien wie Musikauswahl, Synchronität oder Bühnenpräsenz. Wenn du das erste Battle Of The Year 1991 mit dem letzten vergleichst – was sind die einschneidensten Veränderungen, die stattgefunden haben? 1990 waren vielleicht 600, 700 Leute da, heute sind wir bei 8.000. Im Jahr 2000, als das BOTY im Rahmen der Expo stattfand, waren es sogar 11.000 Leute drinnen und 3.000 draußen, wo die ganze Veranstaltung zusätzlich noch auf einer Videoleinwand übertragen wurde. Insgesamt haben sich beim B-Boying vor allem die Voraussetzungen verändert. Durch das Internet hat heute jeder Zugang zu Tausenden von Videos, bei denen man sich Bewegungen abgucken oder inspirieren lassen kann. Was früher nur in den Metropolen stattgefunden hat, kann mittlerweile überall praktiziert werden. Und diese „Village People“ sind meist die Gefährlichsten, weil sie sonst nichts zu tun haben und viel mehr trainieren als alle anderen. Was macht das "Battle Of The Year" in deinen Augen so besonders? Das Wichtigste ist nach wie vor der Austausch, weil es eine Gelegenheit ist, bei der verschiedene Leute aus allen Winkeln der Welt zusammenkommen, um ihrer gemeinsamen Leidenschaft zu frönen. Eine andere Sache: Wenn wir früher auf Jams waren, sind wir nachher alle zusammen zum Bahnhof, haben ohne Musik in der Kälte weitergetanzt und auf den ersten Zug gewartet. Beim BOTY ist diese Tradition noch erhalten geblieben und wird sogar von der Stadt Braunschweig unterstützt: Seit ein paar Jahren legt in der Bahnhofshalle ein DJ auf, und auch der Burger King hat die ganze Nacht über offen – das ist wirklich toll. Mich persönlich zieht das noch mehr an als die Meisterschaft selbst. Du bist mittlerweile 40 Jahre alt. Wie lange kann man B-Boying noch aktiv betreiben? B-Boying ist wirklich nicht gesund, denn die ganzen Bewegungen am Boden gehen sehr stark auf die Gelenke. Immer wenn ich einen neuen Powermove wie Windmill, Headspin oder Flare gelernt habe, dann war eine länger anhaltende Verletzung eigentlich vorprogrammiert: Gebrochene Handgelenke, kaputte Knie, Meniskusrisse oder Zerrungen im Abduktor. Irgendwann muss man sich daher entscheiden: Beschränkt man sich und macht den Tanz 20 Jahre länger oder geht man voll drauf los und macht irgendwelche Stunts, bei denen man die Auswirkungen nicht vorhersehen kann? Ich habe mich für Ersteres entschieden, deswegen gehe ich seit 10 Jahren wesentlich mehr in Richtung Popping als B-Boying und habe mich mehr auf Rhythmus-Techniken und Ästhetik spezialisiert. Aus meiner Sicht kann man B-Boying ausüben bis man etwa 60 Jahre alt ist, aber Popping kriegt man auch mit 80 noch hin. Und sei es bloß, dass man den Robot im Altersheim macht. Hier gibt es mehr von Storm Robitzky zu sehen. Das diesjährige Battle Of The Year 2009 findet am 17. Oktober in der Volkswagenhalle in Braunschweig statt.

Text: daniel-schieferdecker - Foto/Videos: Niels Robitzky

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