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"Manchmal habe ich Angst, dass ich nie wieder etwas finde"

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Simone, Rose, ihr betreibt seit Juni zusammen ein Blog über eure bislang vergebliche Suche nach Arbeit. Wie entsteht so etwas? Rose: Wir haben uns im vergangenen Herbst kennengelernt - bei einem Seminar. Dort wurde man zum Referenten für PR und Unternehmenskommunikation ausgebildet. Man versprach uns -größenwahnsinnig- eine Vermittlungsquote von 80%. Für mich war das aber zunächst nicht so von Bedeutung: ich kam ja gerade „frisch gekündigt“ aus einem Arbeitsverhältnis und dachte mir, ich würde mit meinen zehn Jahren Erfahrungen als freie Journalistin und PR-Beraterin sowieso schnell wieder was finden. Simone:. Als wir nach der Weiterbildung wieder in die freie Marktwirtschaft geschubst wurden, haben wir gemerkt, dass man wohl noch so viel tun kann, man aber trotzdem nichts erreicht. Das haben wir mit einiger Wut festgestellt und die Idee mit dem Blog kam wie von selbst. Ist ja jetzt auch nichts wirklich Neues mehr. Wir wollten das öffentlich machen, um zu zeigen, dass uns da ankotzt, weil es ja nicht an uns liegt, sondern da irgendetwas anderes nicht stimmt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Rose Jakobs - einmal in echt, einmal als Bewerbungsfoto und Simone Sass- ebenfalls einmal in echt und einmal als Bewerbungsfoto. Die beiden betreiben seit Juni das Blog Gesellschaft ist kein Trost. Sie warten immer noch auf ein annehmbares Job-Angebot. Und woher kommt der Name „Gesellschaft ist kein Trost“? Simone: Wir saßen bei mir Wohnzimmer und wollten direkt lospreschen als wir merkten, dass das Kind einen Namen braucht. Es sollte nicht so negativ klingen a la: Jetzt reicht’s mal! oder so. Rose stand vor meinem Bücherregal und wir probierten uns da so durch. Als wir dann ein Buch mit Shakespeare-Zitaten durchblätterten, gefiel uns das mit „Gesellschaft ist kein Trost“. Hat einfach in dem Moment total gepasst. Ist zwar ein bisschen lang, aber wir hoffen, dass der Name zum Nachdenken anregt. Hilft das Bloggen? Rose: Ich kann für mich persönlich sagen, ja. Es hilft ungemein, Stress und Frust abzubauen. Und es ist ein toller Moment, wenn sich Leute zurück melden und uns schreiben, dass es ihnen ähnlich ergeht. Wir sind nicht alleine. Simone: Man lässt einerseits Dampf ab, andererseits bekommt man dann Feedback von anderen (also doch etwas „Trost“). Außerdem wünscht man sich, dass viele auch mal von den Ärgernissen, die man ständig bei der Arbeitssuche mitmacht erfahren. Wir hätten schon gerne dazu beigetragen, dass sich etwas ändert. Ein frommer Wunsch, aber dennoch… Und hilft das Bloggen auch beim Job finden? Haben Personaler mit euch Kontakt aufgenommen? Rose: Nicht direkt, aber der eine oder andere Nicht-Personaler hat es gelesen und hat Stellenangebote weiter geleitet. Wir gehen ja auch kritisch mit dem Erlebten bei Vorstellungsrunden um - manchmal frage ich mich schon, ob das richtig ist. Aber ich finde, man muss ehrlich sein dürfen. Einen Arbeitgeber, bei dem ich mich komplett verbiegen muss, möchte ich nicht. Ich möchte dort mit 100 Prozent von dem, was ich kann und wie ich bin, arbeiten können. Aber: Die Personaler kennen den Blog. Oder halt meine anderen Texte von jetzt.de. Dank Google ist es nicht im Verborgenen geblieben. Das gilt es dann, geschickt zu „besprechen“ beim Vorstellungsgespräch. Ihr habt beide viel Erfahrung, gute Referenzen, seid jung und eigentlich sollte es jetzt doch endlich los gehen. Tut es aber nicht. Irgendeine Ahnung, was schief gelaufen ist? Rose: Bei mir ist der Wiedereinstieg in das „Seriöse Business“ wohl ein Problem. Ich habe jahrelang für Künstler und Klubs gearbeitet, irgendwie zählt das bei vielen nicht als „richtige Arbeit.“ Ich muss mich dann immer erklären, warum ich jetzt gerne ‘was „Seriöses“ machen will, tagsüber, sozialversichert und so weiter. Das ist schon anstrengend. Viele denken auch, ich kann daher nicht im Team arbeiten – weil ich so vieles als freie Journalistin gemacht habe. Das ärgert mich schon sehr. Simone: Ich habe Studium, Auslandsaufenthalt, Praktika, freie Mitarbeit und Weiterbildung auf mich hinaufgeschaufelt und es klappt dennoch nicht. Was hätte ich noch tun sollen? Was war falsch? Falsches Studium? Falsche Praktika? Falsche Weiterbildung? Ich denke, mein Lebenslauf ist ziemlich gut. Ich frage mich bei jeder Absage, was im Lebenslauf der Anderen stehen muss. Vielleicht denken einige, ich sei mit 31 jetzt schon zu alt für ein Volontariat. Ich hatte aber vorher kein Glück eine Stelle zu finden, so bleibt mir nichts anderes übrig, als hierüber den Berufseinstieg zu suchen. Macht auch kein Spaß sich jetzt noch als Anfänger sehen zu müssen, echt nicht. Ihr erlebt ja eigentlich gerade das, wovor so ungefähr jeder Mensch furchtbar Angst hat, der das Ende seiner Ausbildung absehen kann. Wie ist es, da mittendrin zu stecken? Rose: Für mich ist es wie eine Achterbahnfahrt: Ich weiß selber, was ich kann, aber es will gerad’ keiner haben. Egal, wie ich es gerade anstelle. Es gibt Tage, da denke ich „Wow, Du Ausgeburt der Lost Generation, Glückwunsch es ist schlimmer gekommen, als man Dir angedroht hat in jungen Jahren“. Dann gibt es Tage, da bin ich einfach voller Hoffnung. Ich habe ja jetzt gerade einen Job, wenn auch nur ein bis November befristetes Projekt. Ich hoffe, das hilft mir, mich besser zu verkaufen. Es klingt einfach besser, wenn man sich aus einem Job für einen neuen Posten bewirbt. Und ja: Ich habe manchmal tierisch Angst. Angst davor, dass mir das Amt noch mehr Steine in den Weg wirft als schon zuvor. Angst, dass ich nie wieder ‘was finde. Da gibt es schlimme Momente. Wie zum Beispiel, die Absagen auf Volontariate. Da wird einem dann gesagt, zehn Jahre Erfahrung reichen nicht für ein Volo. Simone: Zu allererst ist es schlimm. Das Schlimme ist zum einen natürlich die finanzielle Situation. Dass man so knausern muss. Dass man gut ausgebildet jeden Monat zu ARGE rennen muss. Für mich aber wirklich nervig ist festzustellen, dass man so verzichtbar zu sein scheint. Dabei kann ich etwas. In den Bereich, in den ich will (PR/ Presse/ Öffentlichkeitsarbeit/ Kommunikation), bin ich gut, man muss mich nur mal ranlassen. Dieser ganze Nervenkrieg zerrt an einem. Bewerbungen schreiben. Hoffen. Vor und während eines Gespräches pure Aufregung. Dann wieder hoffen. Dann eine Absage. Dabei hatte man ein gutes Gefühl. Ich nutze meine Zeit jetzt aber sinnvoll: ich mache (mal wieder) ein Praktikum und habe so frische Arbeitsproben. Außerdem lerne ich gerade italienisch. Was ist am unerträglichsten an eurer Situation? Rose: Zuviel Zeit. Der Tag ist so lang. Ich sagte immer in der ganz schlimmen Zeit: „Ich habe zuviel Tag!“. Bevor ich das Projekt angenommen habe, in dem ich jetzt gerade arbeite, hatte ich so viel Tag: Ich bin immer morgens um acht aufgestanden – um nicht aus dem Rhythmus zu kommen. Falls der Job der Jobs plötzlich kommt. Selbst wenn man ganz viele nützliche Dinge macht, bleibt zu viel Tag. Ich habe an manchen Tagen bis zu 15 Bewerbungen geschrieben und dann den Rest des Tages Klassiker der Weltliteratur gelesen, Fachbücher gepaukt. Aber trotzdem saß ich dann um drei da und der Tag war immer noch nicht vorbei. Wenn man so wenig Geld hat, weil man in der Zeit ja auf das Geld vom Amt angewiesen ist, kann man ja auch nicht viel anderes machen. Geht ja gar nicht. Simone: Ich finde es äußerst unangenehm auf Menschen zu treffen, die ich lange nicht gesehen habe und die dann fragen: „Und? Was machst du so?“ Das gleiche gilt für die Verwandtschaft. Da fühlt man sich nicht so gut. Und das ewige: „Jaaa, das ist echt schwer zur Zeit, tut mir leid für dich“ will man schon gar nicht hören. Ich würde gerne wissen, warum es einfach nicht klappt. Ich will, dass die Zweifel, die nach jeder Absage wiederkommen, verschwinden. Wovon lebt ihr gerade? Rose: Ich gehöre nun seit ein paar Wochen zu den sogenannten Aufstockern. Ich mache gerade einen Job im Kultureventmanagement und verdiene da halt nicht so viel, und bekomme noch etwas oben drauf. Aber ich wollte den Job unbedingt – damit ich aus dem Dilemma von zu viel Tag heraus komme. Allerdings kann ich hier nur sagen, das Amt hat mich eher dabei behindert, diesen Job anzunehmen als geholfen. Der Arbeitgeber musste einige Schrauben drehen. Nun arbeite ich als Aushilfe. Ganz dunkles Kapitel, in Sachen Arbeitsamt. Wenig Hilfe mehr Hürden. Ich bekomme nicht mal meine Bewerbungskosten erstattet. Das ist ein einziges Drama. Simone: Hartz IV. Keine schöne Sache. Ich habe mit dem Hochschulteam der ARGE aber noch nie Probleme gehabt. Meine Fallmanager sind zumeist sehr engagiert. Hat euch die Arbeitslosigkeit eigentlich politisiert? Rose: Ich war schon immer sehr politisch und habe schon immer gerne den Kampf der Gerechten geführt, aber die Situation nach dem Seminar zur PR-Beraterin hat es schon verstärkt. Simone: Ich war immer schon politisch interessiert. Schön war als die Redaktion von Spiegel TV auf mich und den Blog aufmerksam wurde und mich zum Townhall-Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier eingeladen hat. Generell ist das Thema „Arbeitslosigkeit“ im Wahlkampf nur unzureichend behandelt worden. Und was die Rahmenbedingungen für ein Volontariat beispielsweise in der PR-Branche angeht, könnte ich die Wände hochgehen, was da passiert. Stundenlöhne von 2,50 € bei einer 40-Stunden-Woche. Keine geregelte fachliche Ausbildung, alles ganz schlimm. Da muss auch etwas passieren. Was bedeutet der Wahlausgang eigentlich für euch? Habt ihr Befürchtungen oder Hoffnungen? Rose: Ich habe schon ziemliche Angst, dass nun noch weniger geholfen wird. Noch weniger möglich wird. Ich glaube ja auch persönlich nicht daran, dass es nun massenhaft neue Jobs geben wird. Nicht in unserer Branche. Das ist ja das Tragische. Normale Stellen werden gerade mit Praktikanten besetzt und wenn es eine normale Stelle ist, muss man plötzlich 120 Jahre Berufserfahrung haben, studiert und am besten noch ‘ne Ausbildung - aber nicht über 28 sein. Das ist doch total unrealistisch. Setzt sich der elitäre Leistungsgedanke der FDP durch, habe ich einfach Angst, dass Leute, die einfach nur Talent haben und gut sind, keine Chance haben. Der deutsche Arbeitsmarkt ist jetzt schon so hart, selektiv und durchzogen von Diskriminierung, da kann man nur hoffen, dass die schlimmsten Erwartungen nicht wahr werden. Simone: Ich habe Angst, dass es dem Sozialstaat mächtig an den Kragen geht. Für viele ist das Wort „Sozialstaat“ ja schon fast ein Schimpfwort. Für mich war und ist er eine Errungenschaft, die man bitte nicht mit Füßen tritt. Ich will nicht, dass es nur noch heißt „hop oder top“. Wer nicht ganz oben mitmischt, der ist selber schuld, wenn er ganz unten ankommt. Da ist keine Mitte mehr,.zumindest vermisse ich sie. Es kann nicht nur Hardliner und Loser geben. Ich will nicht, dass der Gedanke der Chancengleichheit an den Rand gedrängt wird. Soll „Gesellschaft ist kein Trost“ weiter bestehen, auch wenn sich eure Situation geändert hat? Rose: Ja, natürlich. Wir kriegen ja andauernd Post mit Erlebnissen von anderen, da ist immer genug da, über das man schreiben kann. Und jetzt stehen uns ja komische Zeiten bevor und da wir auch über Tabu-Themen schreiben wie soziale Ungerechtigkeit und HartzIV wird uns der Stoff wohl nicht ausgehen. Wir werden diese Plattform weiterführen bis ein grundlegendes Umdenken eingesetzt hat - die Plattform sich überflüssig gemacht hat. Simone: Wenn wir einen Job haben ist das natürlich super. Aber, wenn die Verhältnisse dieselben sind ist ja eigentlich keinem geholfen. Das ist oft das Problem: nur weil es einem selbst besser geht, vergisst man viele Probleme. Auch die, die man selber hatte. Das ist Mist. Ich würde mich freuen, wenn wir eine richtige Plattform würden, die was bewegt.

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