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„Ich hatte 20.000 Mittelfinger vor mir“

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Vor einigen Jahren ging Martin Kesici als Sieger aus der TV-Sendung Star Search hervor, Markus Grimm schaffte es bei Popstars in eine Band. Nun haben die beiden ein Buch geschrieben, das enthüllen soll, was wirklich hinter den Kulissen abgeht. Titel: „Sex, Drugs und Castingshows“. jetzt.de: Markus, es ist fünf Jahre her, dass du in die Popstars-Band Nu Pagadi gewählt wurdest, bei Martin sind es sechs Jahre seit dem Sieg bei Star Search. Wieso kommt ihr mit dem Buch ausgerechnet jetzt? Markus: Weil wir davor nicht durften. Wir haben schon vor zwei Jahren mit dem Schreiben angefangen, aber es hat sich kein Verlag getraut, es herauszubringen. Martin: Das sind alles politische Geschichten. Fast alle Verlage sind irgendwie mit den Sendern verbandelt. Bertelsmann mit BMG, BMG mit DSDS. Keiner will es sich mit den anderen verscherzen. Offenbar hatten nicht nur die Verlage Angst, sondern auch viele Kandidaten. Wie der Untertitel – Die Wahrheit über DSDS, Popstars und Co. – schon sagt, sollte ja eigentlich auch jemand von „Deutschland sucht den Superstar“ dabei sein. Martin: Ja, zuerst wollten wir Tobias Regner, weil wir dachten, dass er nicht nur musikalisch so ähnlich tickt wie wir, aber er war von seinem Management völlig eingeschüchtert. Während der drei Stunden, in denen wir mit ihm in einem Münchner Café saßen, hat er es nicht mal geschafft, Augenkontakt aufzunehmen. Markus: Er hat gesagt, er dürfe nicht viel erzählen, er hätte Angst um seine Karriere. Und wir nur: „Alter, welche Karriere?“ Martin: Ich mag ihn als Kumpel wirklich sehr, aber der hat einfach keine Eier in der Hose. Wir haben auch andere gefragt, aber die wirken alle, als hätte man sie einer Gehirnwäsche unterzogen. Am Ende hat der Vater von Annemarie Eilfeld ein Nachwort beigesteuert, weil sie selbst vertraglich noch nicht durfte. jetzt.de: Macht ihr selbst euch keine Sorgen? Markus: Kann schon sein, dass etwas passiert. Die letzten 80 Seiten sind Originalverträge – so was gab’s noch nie. Martin: Für uns war das eine Herzensangelegenheit. Wir werden schon ’ne rechtliche Backpfeife kriegen. Aber mittlerweile ist mir das egal. Mir war es einfach wichtig, endlich mal zu erzählen, dass das alles Fake ist.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

jetzt.de: Ach was? Das ist jetzt nicht wirklich überraschend, oder? Markus: Ich glaube nicht, dass den Zuschauern klar ist, wie sie manipuliert werden. Wie bei einem Kartenspielertrick lassen sie sich da hinlenken, wo die Produktionsfirma es will. Die Leute, die dem Sender gefallen, werden in’s rechte Licht gerückt, bekommen Homestorys. Statt die Musik sprechen zu lassen, zählt vor allem das Private. Bei uns hieß es eines Tages, wir dürften alle mit einem Psychologen sprechen. Als wir dann gegangen sind, hab’ ich das Türschild gesehen. Da stand „Heilpraktiker“. jetzt.de: Glaubst du, er hat das, was ihr ihm im Vertrauen erzählt habt, weitergegeben? Markus: Ich hab’ natürlich keine Beweise, aber wir sind danach auf Dinge angesprochen worden, die wir niemand anderem erzählt hatten. Martin: Bei mir hat die Produktionsfirma offenbar gezielt Informationen an die BILD weitergegeben. Es war mir eh schon unangenehm genug, denen gegenüber zuzugeben, dass ich vorbestraft war. Kurz darauf hat mich dann ein Reporter angerufen und gesagt, wenn ich das Viertelfinale gewinne, würden sie alles bringen. Ich solle mich besser dazu äußern. jetzt.de: Damals hast du noch gesagt, du wärst wegen Hasch zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt worden. In dem Buch gibst du zu, dass es in Wahrheit Koks war. Martin: Ich hab’s halt damals verheimlicht, weil ich dachte, die schmeißen mich sonst aus der Sendung. Wenn man was mit Koks hatte, ist man ja gleich weg vom Fenster. Meinem Vater hab’ ich es bis heute noch nicht erzählt. Wenn das Buch jetzt erscheint, werde ich ihm die Stelle zeigen und sagen, „lies sie dir zwei Mal durch. Und dann ruf mich an“. Keine Ahnung, was dann passiert. Aber es war mir wichtig, endlich reinen Tisch zu machen. Das befreit. jetzt.de: Ihr enthüllt ja nicht nur Dinge über die Macher, sondern auch über euch selbst. Ihr schreibt mehr als detailliert über Sexpartys, Selbstmordgedanken, Besäufnisse und morgendlichen Mundgeruch. Ist da ein bisschen Sucht dabei, sich zu entblößen? Markus: Es geht darum: Wer sind wir wirklich? Und da gehören solche Sachen auch mit rein. jetzt.de: Es gibt ein paar Stellen im Buch, wo statt der Namen der Personen, über die ihr schreibt, nur Icons stehen. Also doch Angst? Markus: Wir sind uns sicher, dass die Symbole irgendwann von den Fans im Internet aufgeschlüsselt werden. Bei Bushido war es auch so. Wir müssen manchmal etwas aufpassen, aber wenn man zwischen den Zeilen liest, kann man eins und eins zusammenzählen. jetzt.de: Bei all der Kritik gehst du mit Detlef D! Soost milde ins Gericht. Markus: Es gibt einfach noch immer Dinge, die ich ihm hoch anrechne. Einmal hab ich mich zum Beispiel beim Joggen total verausgabt und bin ins Gebüsch abgebogen, um zu kotzen. Im Hintergrund hab ich den Redakteur gehört: „Super, nimm das mit!“ Der Kameramann hat voll drauf gehalten. Und da ist Detlef hin, hat geschrieen, „Mach’ die Scheiße aus“ und hat ihn weggeschubst. Aber als ich ihn zwei Wochen nach dem Finale angerufen hab, sagte er „Markus wer?“. Er war halt sofort wieder mit neuen Projekten beschäftigt. Martin: Nach dem Sieg wird man schnell fallengelassen. Das Produkt ist dem Sender egal, weil drei Monate später schon die nächste Staffel startet. Mit den Künstlern selbst verdient er nichts mehr. jetzt.de: Aber habt ihr wirklich erwartet, groß rauszukommen, nachdem alle vor euch gefloppt sind? Martin: Man denkt ja immer: ,Bei mir ist alles anders.‘ Ich dachte, als Rockmusiker kann ich mein Ding durchziehen, weil die Leute es mir eh nicht abnehmen würden, wenn ich plötzlich Pop singe. Aber dann hieß es, du musst Schmusesänger werden. Ich mag „Angel of Berlin“, aber ansonsten stehe ich überhaupt nicht zu meinem ersten Album. Da waren Songs dabei, da dachte ich, ich werd von meinen Kumpels erschossen. Irgendwann hat man dann diesen Stempel.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Martin (links) und Markus jetzt.de: Im Buch schreibst du, es sei immer dein Traum gewesen, beim Heavy Metal Open Air in Wacken zu spielen. Als du dann tatsächlich dort auftreten durftest, wurdest du ausgebuht. Martin: Das war ganz übel. Ich hab’ mir das mein Leben lang gewünscht, und dann hast du 20.000 ausgestreckte Mittelfinger vor dir. Da gehst du durch die Hölle. Vor allem, wenn es die eigenen Leute sind – jene, die die gleichen musikalischen Vorlieben haben wie du. jetzt.de: Wie kann man denn da das Ruder wieder rumreißen? Martin: Eigentlich müsste man jeden einzeln ansprechen und sagen, „hör’ doch mal zu und lass dich nicht von dem Vorurteil lenken“. Ich hab’ fünf Jahre gebraucht, um als Musiker anerkannt zu werden. Aber jetzt schreiben die Zeitungen nicht mehr „Martin, der Castingshowgewinner“, sondern „Martin, der Rockmusiker“. Da bin ich tierisch stolz drauf. jetzt.de: Wäre es für euch ein Erfolg, wenn die Leute nicht mehr einschalten? Martin: Ja! Markus: Für mich wäre es ein Erfolg, wenn die Leute mit weniger Erwartungen zum Casting gingen. Wenn sie sagen, ich nehme das als Erfahrung mit, aber nicht denken, sie würden reich und berühmt. Markus Grimm, 30, wurde 2004 bei Popstars in die Band Nu Pagadi gewählt. Das Album „Your Dark Side“ belegte Platz eins der Charts. Nach neun Monaten löste sich die Band auf. Heute lebt Markus wieder in Moers und schreibt Songtexte und Kinderbücher. Kürzlich erschien sein Buch „Grimms Märchen reloaded“ – er ist tatsächlich auch mit den Gebrüdern Grimm verwandt. Martin Kesici, 36, gewann 2003 die erste Staffel von Star Search. Seine Debütsingle „Angel of Berlin“ hielt sich elf Wochen an der Spitze der Charts. Er lebt als Sänger und Songwriter in Berlin, Ende 2009 ist ein neues Album geplant. Das Buch der beiden ist eben bei riva erschienen.

Text: sarah-stricker - Fotos: ap, oh; Montage: K. Bitzl

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