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„Ich sitze ja eh den ganzen Tag“

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Neulich war ich mal beim Arzt. Weil das Vorfallenlassen von Bandscheiben in meinem Bekanntenkreis zum Hobby geworden ist. Und weil ich zuletzt beim Arzt war, als der Komet Hale Bopp an der Erde vorbeiraste. Obwohl so ein Arztbesuch ein sehr altmodischer Vorgang ist und seit hundert Jahren gleich abläuft, kannte mich nicht besonders gut aus. Allein das Prinzip Sprechstunde! Man sitzt mit vierzehn gutgelaunten Rentnern im Wartezimmer vor einem Miro-Druck. Dauernd kommen neue Alte rein, die offenbar kurz davor sind, die herbe Arzthelferin zu adoptieren, so vertraulich sind sie jedenfalls mit ihr. Die schlimmsten Sachen tauschen die Alten dann im Wartezimmer miteinander aus, vorrangig geht es um die Ärzte, die zu besuchen ihnen leider unmöglich gemacht wird, weil es hier schon so lange dauert. Wer einen Arzt kennt, den die anderen nicht kennen, hat hundert Punkte. Für Menschen mit Geburtsjahr nach 1950 hat die Stammbesatzung nur verächtliches Asthmahusten übrig. Die herbe Artzthelferin tut die ganze Zeit so, als würde sie nicht mitten im Wartezimmer arbeiten, sondern ganz woanders, vielleicht in einer interessanten Firmenzentrale in JuJork. Alle Viertelstunden geht die kleine Tür auf und ein glatziger Mann mit gelbem Pulli und Kordhose schiebt einen Menschen heraus. Der Herausschiebende ist der Doktor. Wenn der Doktor raus kommt, dann setzt sich die geriatrische Stammbesetzung aufrecht hin, manche heben auch leere Tabletten-Streifen hoch, um zu zeigen, wie brav sie alles gegessen haben. Der Doktor nickt mit unendlicher Güte in die Runde und verschwindet wieder. Dieses Hin- und Her dauert etwa zwei Stunden. In diesen zwei Stunden kann niemand sagen, wie lange es noch dauern wird, aber es interessiert auch niemanden, nur mich.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Irgendwann, es dunkelt schon, sagt der Arzt meinen Namen und ich darf hinein in das, was ich mir die ganze Zeit in den wildesten Klinikfarben ausgemalt hatte. Es ist dann aber eher, als würde ich ein Wohnzimmer betreten, mit Holzschreibtisch und Sitzgruppe. Nur eine Liege und eine Schale mit Pflaster und Schere gibt es und irgendwo steht ein Lufterfrischer mit patentiertem Jod-Geruch. Der Herr Doktor ist, von Nahem besehen, noch viel unendlicher und gütiger und gebräunter, als ich dachte. Ich sage: „Ich wollte mich mal durchchecken lassen.“ Er nickt. Nichts passiert. Ich sage „Genau.“ Er sieht mich gütig aber auch doktormäßig an. Dann fragt er sitzend: „Üben Sie eine vorwiegend sitzende Tätigkeit aus?“ „Ja“. Daraufhin nickt er vielsagend und seufzt, aber noch nicht so, dass ich mir Sorgen machen muss. Es ist eher ein Seufzen wie ein erhobener Zeigefinger. Dann muss ich mich im Profil vor ihn hinstellen, dann tief einatmen, dann sagen, ob mir sonst was wehtut. Nö. Er schreibt in meine Akte und steht auf. „Passen Sie auf ihren Rücken auf, machen Sie Ausgleichssport! Was sind Sie von Beruf?“ Beruf, alles so altmodisch, herrlich! „Journalist.“ Er sieht eine Spur sorgenvoller aus. „Passen Sie auf Ihre Leber auf.“ Ich nicke, die Leber krampft leise. Dann werde ich hinausgeschoben, in das Zimmer mit den Rentnern, die den ganzen Tag in vorwiegend sitzender Tätigkeit verbracht haben. Der Doktor gibt mir kräftig die Hand. „Herr Scharnigg, haben Sie schon mal über Zeckenimpfung nachgedacht?“ Ich so superschlagfertig: „Wieso, kommt wieder ein Komet?“

Text: max-scharnigg - Illustration: Katharina Bitzl

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