Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Simone de Beauvoir im Garten Lesbos

Text: cocainemate
Horsts Bruder heißt Achim. Er ist 37 und Elektriker. Wir hatten Sex in einem Rosenbuschgarten. Ich las ihm Dylan Thomas vor. Aus diversen Gründen starb Achim am letztem Sonntag im April 2007 und hinterließ mir ein Haus an der Küste. Ich fuhr mit meiner Freundin Minnie zu meinem geerbten Haus, um es zu besichtigen. Wir nahmen ihren Kater Max mit.



In dem Dorf befand man uns für lesbisch. Minnie wurde von ihrem Mann verlassen am letzten Wochenende im Januar, trug Erdtöne und las schwülstige Kitschromane, in welchen sich das Paar am Ende eben nicht bekommt. Sie war dünn und knochig, hasste Männer und hatte Augenringe. Wir saßen auf einer Bank und ich strich ihr über das Haar, über ihre Wange, über ihr spitzes Knie. Ich strich ihr über diverse Körperteile. Den Kater Max hatten wir im Haus gelassen.



Nun war das Haus recht alt. Der Holzfußboden knarzte, die Fenster waren einfach verglast, der Kamin im Wohnzimmer nicht in Gang zu bekommen. Wir versuchten ein Feuer, doch schien der Schornstein verstopft und Rauch verbreitete sich in minutenschnelle im gesamten Haus. Junge Junge, das war ein Theater.



Am siebten Tag kam Minnies Freundin Theodora aus Frankfurt. Sie trug nur schwarz und hörte Klassik und Gothik. Sie rauchte Kette. Sie hatte eine Warze gleich neben ihrer Nase. Ich überlegte, dass ich sie nicht küssen würde, wenn sie mich gefragt hätte, aber ich dachte, dass es ok wäre, wenn sie, nur so ein bisschen, mit ihrer Zunge, weiter unten... Nun, als uns der hinterlistige Postbote von der Veranda durch das kleine Fenster eines Tages dabei beobachtete wie ich aus Versehen Theodoras nackte Brüste massierte, begriff er nicht, dass dies nur aus dem Grund geschah, der zur Festigung des Bindegewebes gedient hatte und mein Handeln keine romantischen, gar sexuellen Absichten verfolgt hatte.



Die dicke Petra kam eine Woche später. Wir fanden sie in der Sperrmüllzeitung. Sie hatte inseriert, dass sie ein Heim suchte und gerne putzte. Prima, dachten wir. Sie konnte Bauchtanz und wir machten recht viel Beckenbodengymnastik.



Miss Oktober Playmate 1998 und Miss November 2004 gesellten sich drei Wochen danach dazu. Sie waren alte Bekannte Minnies. Wir hatten zwar keinen Pool und keine Grotte, aber aus der Zeit, in der er es keine Kanalisation in unserem kleinen beschaulichem Dorf gegeben hatte, war noch eine Jauchgrube übrig. Hinten im Garten nebem dem Schuppen. Miss Oktober und Miss November stellten sich mit zwei Schaufeln neben die Grube und schaufelten so einges aus, bis wir Wasser hinein füllen konnten. Das dauerte etwa drei Tage. Miss Oktober trug bei der Verrichtung der Arbeit einen roten Bikini. Wir nannten sie der Rote Oktober und Miss November einen pinken. Theodora musste sie dabei fotografieren.



Als Rosegart, Diana, Ilse, Sophie, Maria, Elsbeth, Stefanie, Inge, Roswitha, Thekla, Diana 2 und Tomata (die Eltern waren Hippies) in unser Haus zogen, wurde es recht eng. Theodora und Miss Oktober rasierten sich etwas weiter unten und auch an den Beinen und unter den Achseln. In der Gruppenzeit Mittwoch Abend um 21.00 Uhr, wurde ausführlich darüber diskutiert, ob eine Rasur, weiter unten, natürlich war oder gegen die Gesetzte der Natur verstieß. Theodora mochte die haarige Badewanne danach, die nie gesäubert wurde, bis eine andere ein Bad nahm. Sie machte Fotos und verkaufte sie an eine Galerie.



Von dem Geld konnten wir einen Ausbau des Hauses finanzieren und Nina, die nette Belgierin mit den großen Hupen zog ein. Ich saugte wochenlang an ihnen. Ihre Mutter schickte sehr viel Schokolade und wir wurden alle recht dick. Nur Thekla nicht, aber sie hatte eine künstlichen Darmausgang und vermied Essen derzeit.



So zogen die Tage ins Land. Wir fuhren viel Fahrrad. Im Sommer recht gerne nackt, wenn es nicht zu windig war. Maria hatte Kissen hergestellt, die man sich mit einem Gurt um den Bauch binden konnte, so dass unsere Hinterteile nicht schmerzten, wenn wir singend und lachend durch die umherliegenden Wälder und Wiesen radelten, obgleich sie von der belgischen Schokolade recht wuchtig und butterkäseweich waren. Wir strichen die Fassade des Hauses rosa und hingen ein Schild mit der ''Villa Gay'' auf, obleich Inge und Rosegart protestieren, dass rosa eine Farbe der Unterdrückung für Frauen war, da man von uns,beginnend in der Wiege, erwartete, rosa zu mögen und man nur als homosexueller Mann mit rosa signalisieren konnte, dass man ein Recht hat rosa und schwul und glücklich sein hat.



Theodora und Inge boten sonntags Töpferkurse an, sowieso Lehrgänge, die Namen trugen wie ''Entdecke deinen Orgasmus.'' Frauen lagen auf Isomatten in unserem geräumigem Wohnzimmer, während Inge Räucherstäbchen anzündete, indische Musik abspielte und Theodora Atem- und Reibtechniken vorführte. Einmal betrat ein Mann unser Grundstück, aber Ilse erschoss ihn aus Versehen mit der alten Schrotflinte. ''Erschoss'' mag nicht ganz richtig sein, denn aus schicksalsbedingten Gründen überlebte er und wurde unser neuer Gärnter. Ich behalte unsere Golden Girls Abende recht gerne in Erinnerung. Gemütlich im Sportraum Popcorn essen und danach über Simone de Beauvoir und die Pussy Cat Dolls reden.



Leider fand Tamara Schnarchwitz-Hubfried, 41 eine keifige Rechtsanwaltsfachgehilfin aus der Blumenstraße die mit Hubert Hubfried, 49 dem Schuldirektor verheiratet war, ein altes Dokument in einem kleinen Raum in der düsteren Kneipe neben der Kirche. Es besagte, dass unser fröhliches Haus ihrem Urgroßvater gehört hatte und nie in Achims Besitz gegangen war. Vielmehr war Achim ein Hausbesetzer gewesen, den man posthum gewissermaßen die Wohnrechte und somit Vererbrechte entzogen hatte. Mein Erbe war hin.



Tamara war bei der CDU und so wurde ein CDU-Gemeindehaus daraus. Man strich es schwarz, hängte graue Vorhänge und ein Bild von Ralph Morgenstern auf, damit man nicht anti-homo rüberkam.



Ich zog nach Berlin und wurde Künstler.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: