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Dennis Ferrer ist ein blutiger Anfänger und zerbricht seine Platten

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Mein miesestes DJ-Erlebnis? Das umspannt nicht nur eine Nacht, sondern eine ganze Serie von Fehlschlägen, die sich immer am selben Ort zutrugen: Dem Roxy Blue in Toronto. Irgendwas muss an diesem Club verhext sein. Zumindest komme ich dort kaum einmal ungeschoren raus.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Es war im Jahr 1996, ich galt als aufstrebender House-Produzent, hatte aber bis dahin nur in einem Kellerloch in New York aufgelegt, als das Roxy Blue bei mir anfragte. Es würde mein erster größerer DJ-Gig sein - mit allem, was dazu gehört: Mein Name auf den Postern, mein Bild in der Tagespresse und einem Kollegen, der das Publikum für mich, den Star des Abends, in Fahrt bringen würde. Der Laden war schon um 11 Uhr gerammelt voll. Die Stimmung leicht hysterisch. Ideale Voraussetzungen für eine große Party-Nacht. Schon beim Warten an der Seite des Aufwärm-DJs fühle ich Gänsehaut, rinnt mir kalter Schweiß auf der Stirn. Diese verfluchte Nervosität! Meine Hände zittern, als ich die erste Platte aus dem Koffer ziehe: „Got To Be You”, eine selbstproduzierte Nummer. Wenn mich nur nicht so viele Augenpaare erwartungsvoll anstarren würden! Kein Armschlenker, keine Fingerbewegung, die ihnen entgehen. Klar, sie hatten dafür gezahlt, einen coolen Typen aus New York zu erleben, jetzt wollen sie sehen, was der angebliche House-Zauberer drauf hat. Der Tonarm in meiner Hand wackelt genauso wie meine Nerven. Jetzt einfach nicht mehr denken. Auf Automatik schalten. Die letzte Platte meines Vorgängers läuft der Auslaufrinne entgegen – ich ziehe den Fader zu meiner Seite und ”Chrrrrrrrrqrrrqrrrrrqrrrrr...“ Ein Blick nach unten. Die Nadel liegt nicht auf dem Vinyl sondern kratzt seitlich am Teller. „Chrrrrrr...“ Alles krümmt sich. Mir wird schwarz vor Augen. Warum hilft mir niemand? Hastig hebe ich noch mal neu an – aber wage keinen Blick mehr in Richtung Publikum. Aus Angst, dort meine eigene Scham gespiegelt zu sehen. Die ganzen Poster können nun nicht mehr darüber hinwegtäuschen: Dennis Ferrer ist ein blutiger Anfänger! Zu meiner Verwunderung lud mich das Roxy Blue jedes Jahr wieder ein: Um das Trauma zu erneuern. Ich war längst als DJ um die Welt gereist, hatte eine gewisse Routine entwickelt, aber nein, ausgerechnet in diesem Laden fiel mir das Cover auf die laufende Platte, schaltete ich mir versehentlich den Strom ab, verwechselte ich die Kanäle eines altbekannten Mixers. Ich ahnte es schon vorher: Etwas würde wieder schief gehen. Dann, es war wohl 1999 brannten mir die Sicherungen durch. Auf dem Plattenteller drehte sich eine meiner liebsten Househymnen, Indias „I Can’t Get No Sleep“. Okay, ich hatte sie. Euphorisierte, schweissnasse Gesichter schauten von der Tanzfläche zu mir hoch. Das DJ-Sein hat doch etwas Göttliches - man bewegt die Masse nach seinen Beats, dreht ihnen den Drogenhahn langsam auf und dirigiert sie stufenweise in die Ekstase. Jetzt sangen sie auch schon den Refrain mit: „I can’t get no chrr, no chrrr, no chrr, no chrrr, no..“ Verdammt! Schon wieder gedemütigt. Vom Gottesthron abgestürzt in die Grotte der Stümper. Die Hitze schießt mir ins Gesicht, in die Arme. Ich will Rache – und packe die laufende Platte, zerbreche sie, werfe die Vinyl-Scherben in hohem Bogen ins Publikum. Womit ich allerdings nicht gerechnet hatte: Der tosende Applaus auf der Tanzfläche. Ich hatte wohl gerade die ganz große Show geliefert – und wurde gleich für das nächste Jahr zurück gebucht.

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