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Sehnsuchtsland ist abgebrannt

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Sehnsucht: Supernette Menschen Als ich noch jung und schwach war, kam alles Gute aus den USA. Hart aber herzlich, Ein Colt für alle Fälle, Baywatch, Beverly Hills mit Postleitzahl. So glotzte ich meine Kindheit hindurch die synchronisierten Sendungen aus dem Land der guten Möglichkeiten und gab mich nachts den ersten eskapistischen Gedanken hin. Ich malte mir ein besseres Leben hinter dem Teich aus, hollywoodig, golden-gate-bridgig, je nach Bedarf. Ein Leben, in dem man in Malibu braun wird oder seine Ordner unter dem Arm durch den High School-Alltag in einen Spind trägt und im Frühjahr die schönste Frau der Schule fragt, ob sie mit zum Abschlussball gehen würde. In meiner Lokalzeitung las ich irgendwann von einem Jungen, der über das Parlamentarische Patenschaftsprogramm (PPP) des Bundestags nach Amerika gekommen war. Er erzählte von der High School, von den Ordnern, von riesigen Bäumen in noch größeren Nationalparks. Ich legte den Artikel aufgeregt zur Seite und schickte nach dem Prospekt für das PPP. (Damals war ein Auslandsjahr noch nicht ganz so normal, wie es das heute ist). Leider war ich noch ein Jahr zu jung für eine Bewerbung. Mir blieb das Warten und meine Phantasie. In wochenlanger Arbeit sammelte ich aus Reisebüros die tollsten USA-Kataloge. Ich schnitt Malibu-Strände und Grand Canyon-Perspektiven aus den Magazinen und klebte sie in mein Zimmer. Meist handelte es sich um Bilder aus Kalifornien oder mindestens kalifornienartige Bilder, auf denen die Sonne knallte oder supernette Menschen schlenderten. Die Collage meiner kalifornischen Sehnsucht nahm bald eine ganze Wand ein. Abends schlief ich neben Kalifornien ein und morgens wachte ich neben Kalifornien auf. Wir lernten uns ganz gut kennen in dieser Zeit. Als ich mich dann für das Auslandsjahr hätte bewerben können, war ich zu feige. Ich bekam allein beim Gedanken an meine Abreise prophylaktisches Fernweh und entsetzliche Angst, soviele Monate ohne meine Eltern und meine Freunde auskommen zu müssen. Heute ärgere ich mich manchmal über diese Feigheit. Hin und wieder lache ich aber auch darüber, weil ich ein bisschen mehr über Sehnsucht weiß. Manchmal bleiben Dinge schön, weil sie Sehnsucht geblieben sind. peter-wagner


Sehnsucht: Surfen Mein Kumpel hat irgendwann angefangen zu reden wie ein Idiot. Schuld daran war Kalifornien. Er hatte dort eine Tante besucht, und wenn kalifornische Tanten ihre Neffen ruhig stellen wollen, spendieren sie ihnen einen Surfkurs. Nach seinem Kurs redete mein Kumpel kalifornisches Surflehrer-Kauderwelsch. „Barrels gibt’s hier nur, wenn der Swell fett genug is und die Tide nich so hoch.“ Heute spreche ich in bestimmten Situationen selbst so, und es klingt für mich völlig selbstverständlich. Mein Kumpel brachte mich zum Surfen und ich fand Gefallen daran. Kalifornien ist für jeden Surfer ein Mythos. Hätten in den Fünfzigern dort nicht ein paar Jungs medienwirksam die Rebellen gespielt und in seltsam geschnittenen Badehosen ein geregeltes Arbeitsleben gegen Rumhängen am Strand eingetauscht, wäre der Sport vielleicht nie so groß geworden, dass sogar deutsche Landratten sich davon begeistern ließen. In Kalifornien gibt es großartige Wellen, darunter legendäre Big-Wave-Spots wie Mavericks. Trotzdem reizt es mich nicht im Geringsten, dort hinzufahren. Denn all die Rebellen aus den Fünfzigern sitzen immer noch auf ihren Longboards im Wasser und schnappen einem jede Welle weg, zusammen mit einem Haufen junger Surfer, die alle dreimal besser sind, als ein Deutscher es je werden könnte. In Kalifornien hat Surfen in etwa den Stellenwert wie bei uns Fußball – jeder macht es die Wellen sind überfüllt. Zum Glück können wir einfach neue Fußballplätze bauen, wenn es zu voll wird. christian-helten
Sehnsucht: Surfen 2.0 Wer auf die Website der kalifornischen Stadt Menlo Park surft, dem präsentiert sich eine freundliche, grüne Gemeinde, die sich als Baumstadt versteht und ihrer zentrale Lage wegen rühmt (der Ort liegt zwischen San Francisco und Oakland im Norden und San Jose im Süden). Dass Menlo Park aber Sehnsuchtsort für Internet-Freaks aus aller Welt ist, liegt an der vermutlich bekanntesten Garage der Welt, die hier steht; und zwar in der Santa Margarita Avenue , Hausnummer 232. Sie gehört zum Anwesen von Susan Wojcicki, die die Garage im Jahr 1998 für 1,700 Dollar an zwei Studenten der nahen Stanford-Uni vermietete. Eine kluge Entscheidung, denn die jungen Mieter vermittelten Susan Wojcicki nicht nur einen Job, einer der beiden heiratete auch ihre jüngere Schwester Anne. Susan Wojcicki ist Mitarbeiterin bei Google und Schwägerin von Google-Gründer Sergey Brin. Dieser mietete sich 1998 gemeinsam mit Larry Page in der Santa Margarita Avenue ein und begründete damit den sehnsuchtsvollen Blick, den Start-Upper aus aller Welt auf Kalifornien werfen. So macht man das in Kalifornien: aus einer kleinen Idee den ganz großen Umsatz entwickeln. Sergey und Larry (Google) haben es so gemacht, Chad Hurley und Steve Chen haben es so gemacht (YouTube, San Bruno) und auch Biz Stone und Evan Williams (Twitter, San Francisco) machen es so. Kein Wunder also, dass jeder, der mit einer Web-Idee groß rauskommen will, neidisch nach Kalifornien schaut. dirk-vongehlen
Sehnsucht: Totale Overflächlichkeit Ein echter Kalifornien-Anhänger wurde ich, als die Reality-TV-Formate in den Musiksendern immer bizarrere Züge annahmen. Die langweiligen Dating-Shows und „Herzblatt“-Abklatsche mit den Normalos dieser Welt waren endlich ausgestanden und es ging wieder um die wirklich wichtigen Dinge des Lebens: Die dicksten Karren („Pimp My Ride“), die dekadentesten Villen („Cribs“), die hohlsten Hohlköpfe des Showbusiness („Hills“) und natürlich: die Suche der oberen Zehntausend nach der einzigen, der ganz großen und wahren Liebe („Flavor of Love“, „Rock of Love“, „I Want To Date A Millionaire“, etc.). Dank des intensiven Studiums all dieser Sendungen bildete ich mir ein ziemlich genaues, wenn auch möglicherweise leicht von der Realität abweichendes Bild von Kalifornien. Nach meinem Dafürhalten leben dort viele Menschen mit blendend weißen und Grabsteingroßen Zähnen in zu großen Villen mit zahllosen Erker-Ausbuchtungen und Whirl-, sowie Pools, die sie so einrichten, wie man sich das Innere einer sehr unsympathischen Burschenschafts-WGs vorstellt: Saufzimmer, Spielzimmer, großzügig verspiegelte Schlafzimmer, Kühlschrankzimmer. An den Wänden hängen ausschließlich Zeugnisse ihres Erfolges und Fotos von ihnen mit anderen bekannten Menschen. Die Häuser sind umgeben von Rasen, der immerfort von lächelnden Immigranten gepflegt werden, die ab und an verschmitzt in die Kamera lächeln dürfen, wenn die Protagonisten mal wieder in den Pflanzenkübel gereihert haben. Wenn diese nicht gerade durch ihre Häuser marodieren, fahren sie mit riesigen schwarzen Limousinen in Restaurants, in die man offensichtlich nur hineinkommt, wenn man von mehr als einem Paparazzo verfolgt wird. Dort essen sie dann Salat und trinken „Crystal“ – das offizielle Getränk des Bundesstaates. Kurz: Kalifornien wurde durch diese Dokumentationen zum Synomym für Oberflächlichkeit in ihrer pursten Form – jegliches Drama immer sorgfältig für die Kamera inszeniert, die völlige Abwesenheit von Emotionen jedweder Art. Ein echter Sehnsuchtsort also, an dem die Menschen so ganz anders sind, als man es im langweiligen Europa gewöhnt ist. christina-waechter
Sehnsucht: Sonne Die Reihenfolge geht so: Die Ahnungslosen wissen, dass Baywatch mit Bikinis und Pamela Anderson zu tun hatte. Die Halbwissenden können sich noch an deren Rolle und vor allem ihren Namen erinnern (C. J. Parker). Diejenigen aber, die sich wirklich auskennen, müssen bei Baywatch nicht an Anderson oder Mitch Buchannon (David Hasselhoff) denken, sondern an Shauni McClain, so hieß jedenfalls die Rolle, die Erika Eleniak spielte. Und in Shauni verliebten sich alle klugen Baywatch-Zuschauer - also zumindest ich tat es. Und ich muss auch heute noch sofort an sie denken, wenn ich den

zur kalifornischen Sonnen-Strand-und-Meer-Serie sehe. Sie prägte mein Bild vom Leben als Rettungsschwimmer am Strand nachhaltiger als die roten Rettungsbojen, die die Malibu-Retter immer bei sich trugen. Natürlich wollte ich nicht wie sie schwierige Rettungsaktionen im rauen Meer bewältigen müssen, aber an ihrer Seite in der Sonne am Strand liegen – das war eine durchaus erstrebenswerte Vorstellung; im sonnigen Kalifornien. stefan-winter


Sehnsucht: Lotterleben Meine Pubertät verbrachte ich in einem von altlinken Idealen genährten Antiamerikanismus. USA, das war Konsumismus, Kapitalismus, Imperialismus. Von diesem verbohrten Feindbild konnten mich weder intensiver Konsum amerikanischer Popkulturerzeugnisse noch eine dreiwöchige USA-Rundreise mit Rumpffamilie (Mama, Bruder) abbringen. USA war blöd, Europa war gut. So einfach sah die Welt im Hirn eines dauerrenitenten 17-Jährigen aus. Mit Kalifornien verband ich höchstens Westcoast-Rap: NWA, Dr. Dre und ein bisschen Nirvana (Tupac übrigens nie). Mit der Zeit wurde die Welt komplexer, und die USA immer besser. Dem Kalifornien-Mythos konnte ich allerdings erst ziemlich spät etwas abgewinnen. Ausschlaggebend war diese eine Fernsehserie: Californication. In den USA wurden ja in letzter Zeit haufenweise guter Serien gedreht, aber keine ist so unterhaltsam wie diese: Der New Yorker Schriftsteller zieht mit seiner Kleinfamilie nach Los Angeles, verliert seine Frau und tröstet über den Verlust seiner Frau Karin und dem heimeligen Familienleben mit skurrilen Affären hinweg. „Californication“ ist voller Klischees: Sonne, Hollywood, Porno, Strand, Surfen, Skaten, Körperkult und Autos. Gleichzeitig lauert hinter der Fassade tragisches Lotterleben: Protagonist Hank will trotz all der schönen Frauen nur seine Karin zurück, sein Agent Runkels verliert wegen eines Fetischs seinen gut bezahlten Job, dessen Frau „Coca-Smurf“ hat ein Problem mit der Nase und ein cooler Rockstar stirbt an einem epileptischen Anfall nach zu viel Drogenkonsum. Warum das trotzdem alles so sympathisch ist? „Californication“ (das übrigens eine Verballhornung des Begriff „Fornication“ ist, auf Deutsch Unzucht), zeigt, wie frei Menschen zwischen Sierra Nevada und Pazifik leben können. Und auch wenn diese Freiheit hin und wieder ins Selbstzerstörerische abdriftet, steht doch das Liebenswürdige im Vordergrund. philipp-mattheis

Text: jetzt-redaktion - Illustration: Katharina Bitzl

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