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„Kein Tag, an dem ich nicht streite“

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Lucy Aharish, 28, war die erste arabische Anchorwoman im israelischen Fernsehen und moderiert zurzeit eine Nachrichtensendung für Kinder auf einem öffentlich-rechtlichen Sender. Der israelische Außenminister Avigdor Lieberman glaubt nicht, dass man, wie Lucy, gleichzeitig Araberin und Israelin sein kann. Er fordert deshalb von Arabern einen Treueeid auf Israel – wer sich weigert, soll die Staatsbürgerschaft verlieren (mehr zur Situation der Araber in Israel findest du unter diesem Interview). jetzt.de: Lucy, was hältst du von dem Schwur aufs Vaterland? Lucy: Der Vorschlag ist eine Beleidigung, gerade wenn man sieht, wo er herkommt. Lieberman ist in Moldawien groß geworden. Was gibt ihm das Recht, einen Eid von mir zu fordern? Ich bin hier geboren. Das ist mein Land. Natürlich bin ich loyal zu diesem Staat. Aber allein die Forderung gibt den arabischen Israelis das Gefühl, dass man sie hier nicht haben will. jetzt.de: Das Gesetz soll es auch unter Strafe stellen, am Unabhängigkeitstag zu trauern. Lucy: Die Araber nennen den Tag der Staatsgründung „Nakba“, Katastrophe. Tausende wurden vertrieben und ermordet, das ist eine historische Tatsache, die man nicht tot schweigen darf – vor allem, weil viele bis heute behaupten, die Deportation habe nie stattgefunden. Wenn du Israelis fragst, was mit der Bevölkerung von vor 1948 passiert ist, sagen die meisten: ,Sie sind gegangen.‘ Als sei es ein freiwilliger Akt gewesen. Ich persönlich trauere nicht, weil es in meiner Familie keine Opfer gab. Aber man kann niemanden ins Gefängnis stecken, weil er um seinen toten Vater weint. jetzt.de: Hat das Gesetz denn eine Chance durchzukommen? Lucy: Am Ende wahrscheinlich nicht. Noch nicht. Zumindest, wenn Israel noch eine Demokratie sein will. Aber Lieberman würde es nicht vorschlagen, wenn er nicht wüsste, dass er in der Bevölkerung auf offene Ohren stößt. Die Stimmung hat sich gewandelt. Hätte man vor zehn Jahren einen Juden gefragt, ob es ihn stört, wenn ein Araber neben ihm lebt, hätte er gesagt: ,Kein Problem.‘ Vor einem Jahr gab es eine Umfrage, da haben 70 Prozent geantwortet, dass sie das nicht wollen. Viele denken, man kann Arabern nicht vertrauen. Dieses Gefühl, unerwünscht zu sein, kann umschlagen. Israel sollte sich weniger Sorgen um palästinensische Selbstmordattentäter machen. Wenn es eine dritte Intifada gibt, kommt sie vielleicht nicht aus dem Westjordanland, sondern aus ihrer Mitte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Lucy jetzt.de: Wie du das sagst, klingt das wie eine Drohung. Lucy: Nein, nein, gar nicht. Ich habe Angst davor. Aber ich glaube, dass sich die Regierung zu viel um die Menschen im Westjordanland und in Gaza kümmert und zu wenig um die Araber im Land. Der Konflikt mit den Palästinensern wird sich lösen lassen. Jeder weiß, dass die Zwei-Staaten-Lösung kommen wird, es ist nur die Frage, in welchen Grenzen. Aber das Problem mit den israelischen Arabern ist komplizierter. Wir stellen 20 Prozent der Bevölkerung. Trotzdem werden wir in der Öffentlichkeit wie eine Minderheit behandelt. In den Medien finden wir kaum statt. jetzt.de: Du bist TV- und Radio-Moderatorin. Kannst du daran etwas ändern? Lucy: Ich versuche es. Bei allem, woüber ich berichte, bemühe ich mich, beide Seiten zu zeigen. Aber es gibt kaum Araber in den israelischen Medien. Die meisten sprechen nicht gut genug hebräisch. Ich bin da eine Ausnahme, weil ich in beiden Welten groß geworden bin. jetzt.de: Wie das? Lucy: Ich bin in Dimona aufgewachsen, einer Stadt, die durch und durch jüdisch ist. Wir waren die einzige arabische Familie weit und breit. Alle meine Freunde waren Juden. Wenn wir unsere Verwandtschaft in Nazareth besucht haben, mussten meine Eltern sich Vorwürfe anhören, sie würden uns verkommen lassen – wegen unseres losen Mundwerks und der Art, wie wir uns kleideten. Es hieß, wir würden zu jüdisch. jetzt.de: Hattest du dann überhaupt einen Bezug zu Palästinensern? Lucy: In Form von Hass. Hättest du mich vor zehn Jahren getroffen, hättest du ein ziemlich rechtes Mädchen kennen gelernt. Als Fünfjährige war ich selbst Opfer eines Anschlags. Wir waren zum Einkaufen in Gaza, als ein Palästinenser einen Molotowcocktail auf unser Auto geworfen hat. Wir hatten ein israelisches Nummernschild, wahrscheinlich hielt er uns für Juden. Ich musste zusehen, wie die Haut meines drei Jahre alten Cousins verglühte. Die Leute sind einfach weitergegangen. Bis zu meinem 18. Geburtstag war für mich „Palästinenser“ nur ein anderes Wort für „Terrorist“. jetzt.de: Wie hat sich das geändert? Lucy: Zum Studium bin ich nach Jerusalem gezogen. Da habe ich das erste Mal miterlebt, wie in diesem Staat mit Palästinensern umgegangen wird. Ich saß im Bus und draussen hat ein Soldat auf eine Gruppe Palästinenser gezielt. Sie mussten sich in einer Reihe aufstellen, Gesicht zur Wand, das T-Shirt nach oben gezogen. Ein anderes Mal war ich an einem Checkpoint und ein Soldat hat einen Palästinenser gezwungen, Geige für ihn zu spielen. Ich bin mit den Erzählungen vom Holocaust groß geworden, diese Szene hat mich viel zu sehr daran erinnert. Ich habe gesehen, wie Hass entsteht. Ein Bart oder ein Kopftuch genügen, und man gilt als potentieller Attentäter. jetzt.de: Erlebst du diese Vorurteile auch am eignen Leib? Lucy: Nicht jeder merkt mir an, dass ich Araberin bin, zum Teil nicht mal die Araber. Eine Zeit lang habe ich als Korrespondentin im Westjordanland gearbeitet. Da haben mich die Palästinenser gelobt, wie gut mein Arabisch sei. Es gibt eben dieses Klischee, wie eine Araberin aussieht, wie sie sich bewegt. Da passe ich nicht rein. Ich werde also auf der Straße nicht angepöbelt. Aber es gibt keinen Tag, an dem ich nicht mit meinen Freunden streite – Freundschaften zwischen Arabern und Juden sind anstrengend. jetzt.de: Wie ist das in der Liebe? Lucy: Du meinst, ob ich mit einem Juden ausgehen würde? Das könnte ich meinen Eltern nicht antun. Sie haben ohnehin schon genug mit der Kritik der arabischen Gemeinschaft zu kämpfen. Das Problem sind nur . . . die arabischen Männer. jetzt.de: Was stört dich an denen? Lucy: Am Anfang sind sie immer begeistert. Da heisst es dann: ,Du bist ja so selbstbewusst, so erfolgreich, blablabla.‘ Aber das hört auf. Plötzlich wollen sie doch nur ein schüchternes, langweiliges Mäuschen. jetzt.de: Das heißt für deine Zukunft? Lucy: Keine Ahnung. Meine Eltern machen sich schon Sorgen. Ich bin 28 und noch unverheiratet. In Israel ist das ungewöhnlich. Bei der letzten Familienfeier kam eine Frau zu mir und versuchte, mir ihren Neffen anzudrehen. Ein Arzt, sie hatte sogar ein Foto dabei. Aber will ich einen Mann, der für ein Date seine Tante vorschickt? Ich sitze zwischen den Stühlen. Manchmal ist das eine Bereicherung. Es ist aber eben auch ziemlich frustrierend. *** Araber in Israel Es gibt rund 1,45 Millionen Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft. 70 Prozent von ihnen sagen von sich, dass sie in ihrer Lebensart eher den jüdischen Israelis als den Palästinensern in Gaza und im Westjordanland ähneln. Aus den Pässen lässt sich ablesen, dass sie Araber sind. Deshalb werden sie am Flughafen erkannt und fast immer durchsucht. Dass die Ablehnung in der jüdischen Gesellschaft in den letzten Jahren gewachsen ist, hängt auch damit zusammen, dass der Araberanteil schneller wächst, als der der Juden. So war 2007 der beliebteste Vorname in Israel "Mohammad".

Text: sarah-stricker - Foto: privat

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