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Schach-Großmeister Jan Gustafsson: "Ich will ja auch noch leben!"

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In Stellenanzeigen wird von Bewerbern einiges verlangt: Teamfähig sollen sie sein, flexibel und zuverlässig. Doch wie wichtig sind Schlüsselqualifikationen im Job wirklich? Wir fragen bekannte Persönlichkeiten. Folge 14: Jan Gustafsson über Konzentrationsfähigkeit. jetzt.de: Als wir dich für die Jobkolumne angefragt haben, hast du zuerst gesagt: 'Jobkolumne? Ich arbeite doch gar nicht`. Ist Schachprofi etwa kein Beruf? Jan Gustafsson: Es ist keine Arbeit im klassischen Sinne, weil der geregelte Tagesablauf fehlt. Erst seit kurzer Zeit kommt es mir vor, wie ein echter Job. Ich trainiere im Moment einen ungarischen Weltklassespieler, bereite nächtelang seine Strategien vor und bin viel auf Achse. Eine Woche bin ich daheim in Hamburg und dann wieder drei, vier Wochen unterwegs. Wenn ich zuhause bin, kann ich mich aber nur selten überwinden, mich mit Schach zu beschäftigen und an meiner eigenen Karriere zu arbeiten. Hinter deinem Erfolg muss doch auch harte Arbeit stecken? Ich möchte ja gar nicht damit kokettieren, dass ich nicht arbeite. Meine Faulheit bezieht sich eher auf die Zeit, in der ich zuhause bin. Wenn ich keinen unmittelbaren Druck habe, dann kann ich mich einfach nicht überwinden, mich hinzusetzen und selbständig zu trainieren. Die Weltklasseleute trainieren zehn Stunden am Tag, ich bringe es nicht mal auf eine Stunde. Wie das dann eben so ist: Wenn man keinen Grund hat, früh ins Bett zu gehen, dann kann der Tag hinten raus ziemlich lang werden. Aber ich will ja auch noch ein bisschen leben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Jan Gustafsson, 29, ist Schachprofi, Großmeister und Mitglied der deutschen Nationalmannschaft. Derzeit trainiert er außerdem den Ungarn Peter Leko, Fünfter der Schach-Weltrangliste. Du scheinst ein Naturtalent zu sein. Nein. Viele Leute denken, dass Schachspieler einfach nur begabt oder sogar Genies sind. Aber das stimmt nicht. Zur Zeit erlebe ich die Weltklassespieler hautnah und stelle eindeutig fest, dass schon sehr viel Arbeit dahintersteckt. Wenn ich auch so hart arbeiten würde, dann hätte ich sicher noch mehr Erfolg. Wie viel Anstrengung kostet es, sich mehrere Stunden auf ein Schachspiel zu konzentrieren? Das ist sauanstrengend, leider. Es kann sich der kleinste Fehler rächen und schon gibt es kein Zurück mehr. Mich sechs Stunden am Stück zu konzentrieren ist da schwierig und auch eine Fitnessfrage. Es ist meistens so, dass ich nach vier, fünf Stunden Kopfschmerzen kriege und nicht mehr auf dem ganz hohen Niveau spielen kann. Aber ich arbeite an meiner Konzentrationsfähigkeit. Karriereberater raten viel beschäftigten Büroangestellten zu Yoga oder Autogenem Training, um die Konzentrationsfähigkeit zu steigern. Welche sind deine Strategien? Ich werde ja bald dreißig und stecke in meiner ersten Midlife-Crisis (lacht), also mache ich nun für meine Verhältnisse sehr viel Sport. Gerade Ausdauersport ist schon sehr nützlich, um sich im Schach länger konzentrieren zu können. Aber das ist wohl in jedem Beruf so. Jemand, der im Büro arbeitet, kann mir auch nicht erzählen, dass er acht oder zehn Stunden unter Vollstrom arbeitet. Welche Rolle spielt ausreichender Schlaf für die Konzentration? Ausreichend Schlaf spielt eine große Rolle. Aber wichtiger als viel zu schlafen, ist es für mich, meinen Schlafrhythmus dem Turnierrhythmus anzupassen. Wann bist du denn das letzte Mal völlig unausgeschlafen vor dem Schachbrett gesessen? Das passiert mir eigentlich ständig, vor allem bei Bundesligaspielen, weil die an zwei aufeinander folgenden Tagen zu unterschiedlichen Zeiten stattfinden. Da ist es schwer, einen Rhythmus zu finden. Aber da muss ich durch. Kaffee steht ja nicht mehr auf der Dopingliste, den darf ich also trinken. Und ich glaube daran, dass mir viel Kaffee kurzfristig bei der Konzentration hilft. Ist ein Kneipenbesuch am Tag vor dem Wettkampf tabu? Nicht völlig. Für mich ist es eben wichtig, dass ich mir am Abend Zeit nehme, um den Kopf frei zu kriegen. Ich trinke dann natürlich nicht exzessiv, aber ich gehe schon häufig mit Freunden essen und danach noch zwei, drei Stunden in die Kneipe. Für meine Konzentrationsfähigkeit ist diese Abwechslung sehr förderlich. Wenn ich stattdessen nur auf dem Hotelzimmer rumliege, drehe ich durch. Außerdem ist es ja auch wichtig, dass man den Kopf vor dem Wettkampf von zuviel privatem Quatsch freimacht. Konntest du dich in der Schule auch schon gut konzentrieren? Ich hatte durch das Schach sicherlich den Vorteil, dass ich früh logisch denken konnte und gut darin trainiert war, mir Dinge schnell anzueignen. Ich war auch in der Schule schon sehr faul, habe aber gelernt, dass ich durchkomme, ohne mich groß anzustrengen. Du studierst parallel zu deiner Schachkarriere Jura. Ich bin immer noch eingeschrieben, ja. Aber ehrlich gesagt läuft das schon so lange auf Sparflamme, dass ich gar nicht mehr so recht daran glaube, dass ich das Studium irgendwann mal zu Ende machen werde. Jura finde ich zwar sehr interessant, aber es ist auch nicht mein Traumjob. Momentan stecke ich viel tiefer im Schach drin und das macht mir großen Spaß. Ist Konzentrationsfähigkeit die wichtigste Eigenschaft als Schachprofi? Klar ist Konzentrationsfähigkeit wichtig, aber es gibt im Schach so viele Facetten, so viele Strukturen im Kopf, auf die man immer wieder zurückgreifen muss. Da muss das Gesamtpaket stimmen. Was ist denn noch wichtig, um im Job erfolgreich zu sein? Ich glaube an die These, dass sich harte Arbeit immer gegen das größte Talent durchsetzt. Außerdem ist es nicht schlecht, sich ruhig ein bisschen zu überschätzen und ein gesundes Selbstbewusstsein zu haben. Ich denke eben, dass Optimismus sehr wichtig ist. Aber leider habe auch ich oft meine Selbstzweifel. Welche positive Eigenschaft würdest du nennen, wenn dich ein Personalchef im Vorstellungsgespräch danach fragen würde? Keine Ahnung, bisher hatte ich noch kein Vorstellungsgespräch und war auch immer in der glücklichen Situation, dass andere Leute in mir positive Eigenschaften gesehen haben. Meine Selbsteinschätzung ist da nicht so gut, also überlasse ich das anderen. Ich bin ein bescheidener, junger Mann. *** Alle bisher veröffentlichten Folgen der Jobkolumne findest du hier.

Text: andreas-glas - Foto: privat

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