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Grillen oder Grillen hassen? Ein Fall für Zwei

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Gegen Grillen: philipp-mattheis mag keine Tupperware

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Natürlich ist Grillen ganz wunderbar. Sich über Grillen aufzuregen, ist ungefähr so sinnvoll, wie den Islam blöd zu finden. Der Islam ist mit Sicherheit keine schlechte Religion. Dafür, dass ihn die Taliban toll finden, kann er nichts. Genauso kann das Grillen nichts für seine Popularität. Wieso sollte man sich über eine Tätigkeit echauffieren, die im Freien stattfindet und ihn, den entfremdeten Großstädter, wieder in Einklang mit der Natur bringt? Was ist schlimm an der ursprünglichsten Fleischzubereitungsmethode der Menschheit? Wo ist das Problem, Essen gemeinschaftlich zuzubereiten? Es sind die Fanatiker. Meine erste Begegnung in dieser Saison mit einem Grillfanatiker, war Anfang April. Es waren die ersten warmen Tage, Krokusse und Schneeglöckchen sprossen und mit viel Glück konnte man sich tatsächlich mit T-Shirt an den Fluss setzen und sich zum ersten Mal in diesem Jahr sonnen. Der Grillfanatiker rief mich gegen Mittag an und fragte, ob wir uns, anstatt uns wie ursprünglich vereinbart in einer Bar zu treffen, nicht lieber an Fluss setzen sollten, um zu grillen. Besagter Grillfanatiker war nicht, wie man angesichts dieser totalen Ignoranz der Wetterlage vielleicht vermuten könne, ein 6-Jähriger, er war ein erwachsener Mann Ende 20. Der Grillgedanken hatte sein Denkvermögen dermaßen vernebelt, dass es ihm nicht mehr möglich war, die Wetterlage richtig einzuschätzen. Den Grillfanatiker übertrumpft nur noch der Grillfundamentalist. Mit Mühe kann man ihn gerade noch davon abhalten, den Grill in seiner Stadtwohnung aufzustellen. Aber auf dem Balkon ist schließlich Platz und Luft. Von Grillfundis bekommt man vom Frühsommer bis zum Spätherbst wöchentlich Einladungen, ob man nicht den Samstagabend auf seinem 2,5-Quadratmeter-Balkon mit fünf anderen Personen verbringen möchte. Er ignoriert mit seiner Einladung sämtliche Standards, die seine Mitmenschen an Platz, Komfort und Frischluft haben, und pfercht sie stattdessen unter minimalen Erfüllung ihrer Grundbedürfnisse in Form von Bier und Fleisch auf einen knappen Zwei-Quadratmeter-Balkon: Grillen, Grillen, Grillen über alles. Nicht, dass moderne junge Menschen nicht hin und wieder mal in alte Geschlechterrollen zurückfallen dürfen. So etwas kann unter Umständen die Anziehungskraft zwischen Mann und Frau wiederbeleben. Sollen Frauen also den Salat in Tupper-Plastikschüsseln bereitstellen und sich im Hintergrund halten. Männer, deren koordinatorischen Fähigkeiten sonst nicht ausreichen, ein Spiegelei zu braten, sitzen dann am Feuer und kümmern sich ums Fleisch, als sei genau dies ihre evolutionäre Bestimmung. So sieht unsere Vergangenheit aus, von dort kommen wir her, so haben wir Jahrtausende gelebt. Nur gab es vor Jahrtausenden noch keine Billigsupermärkte, die dem Mensch glitschig-mariniertes Fleisch in Plastik eingeschweißt zu Billigpreisen verkaufen. Was auf deutschen Grills landet, ist zu 90 Prozent, zähes, nur durch Unmengen von Marinade halbwegs genießbar gemachtes Billigfleisch. Der Käse aus dem Käsekrainer landet entweder auf dem T-Shirt des Nachbarn oder an der Decke des eigenen Gaumens, wo er eine Verbrennung zweiten Grades hinterlässt. Den kulinarischen Todesstoß versetzt dann der eigene Kiefer mahlend, knirschend auf zu Asche verbranntem Fleisch. Für all das kann das Grillen nichts, es ist schließlich nichts als eine Zubereitungsmethode von Essen und Essen ist gut, wie Religion auch gut sein will. Doch mäßigt euch bitte in eurem Eifer! Nächste Seite: Quatsch, Grillen ist ein Ausbruch und deswegen super!


Für Grillen - max-scharnigg besetzt gerne neue Räume Natürlich geht es beim Grillen nicht um das Essen, da müssen wir nicht drüber reden. Es gibt wesentlich gesündere, sorgfältigere und bequemere Möglichkeiten, ein Stück Fleisch zu braten. Das Essen interessiert mich beim Grillen eigentlich am wenigsten.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Was ich beim Grillen gut finde, ist dieses Extraordinäre, das es im Alltag darstellt. Das hat man ja schon als Kind irgendwie so besonders empfunden, obwohl das Wort extraordinär damals noch weit weg war. Aber wenn Papa schon am Nachmittag im Schuppen polterte und schwitzend mit Kohle und Heißluftföhn hantierte, wenn auf einmal die Nachbarn (samt Nachbarskinder) vor der Tür standen, beladen mit Schüsseln und Flaschen, wenn man eintausendmal wie irre raus- und reinrennen konnte und bis es stockdunkel war im Garten herumkugeln und dabei die Erwachsenen immer lustiger und lauter wurden, das war schon etwas Besonderes. Ziemlich nah an dem, was man im Rückblick mit dem Wort Sommer verbunden hat. Mit Glühwürmchen und so. Heute ist, scheint mir, immer noch ein Hauch davon übrig, egal wie terrassig die Terrasse ist, auf die man eingeladen wird oder wie eng der Balkon und ungemütlich das Flussufer. Das finde ich theoretisch auch alles blöd. Aber ich finde es praktisch im Gegenzug auch wirklich sehr, sehr gut mit einer Flasche Bier in der Hand neben einem Grill zu stehen und ein bisschen Glut und Feuer zu riechen und zuzuschauen, wie lange der Tag noch gegen die Nacht durchhält, wie Leute ihr Fahrrad einfach ins Gras werfen und Mädchen barfuss Fußball spielen, solange bis der Ball in den Fluss fällt. Irgendeiner lässt die Würstchen verbrennen, ein anderer findet das Bier nicht kalt genug und bald wird jemand von „irgendwas gestochen“. Komm schon, das ist auch ein bisschen nett. Man erobert sich für kurze Zeit einen neuen Raum in der Stadt und nutzt ihn für etwas Grundgutes: Gemeinsam zu essen. Nie würde man sich doch einfach so auf die schlimme Hinterhofgrasfläche setzen, aber man macht es selbstverständlich, sobald ein wackliger Grill dabei ist und selbst der größte Muffel lädt dazu auch noch ein paar Mitmenschen ein. Grillen schafft auch inhaltlich einen neuen Raum, es ist ausreichende Unterhaltung für den ganzen Abend. Wenn man erzählt, dass man „Grillen“ war, dann ist klar, dass neben Essen auch Trinken, Frisbee spielen, Leute treffen, Versacken und melancholisch werden dabei war. Alle Sachen, die man an einem normalen Abend mühsam einzeln abhaken müsste, sind in „Grillen“ also schon enthalten – und das entlastet auch den Gastgeber. Natürlich sind die Fanatiker – wie bei übrigens allem – anstrengend und doof. Aber ein paar mal im Sommer - es gibt ja ohnehin nur zwei Handvoll perfekte Abende dafür - ist dieses kleine DoitYourself-Abenteuer doch toll. Ein Abenteur, bei dem alle mitmachen und sich ausnahmsweise auch alle auf ein Steak vom Pappteller und Knorr-Feurige Mexico-Sauce einigen können. Wenn man dann wieder die restlichen 300 Tage auf dem dem Sofa vor dem Fernseher isst und an den Sommer denkt und wie schnell er vergangen ist, dann wird einem doch bald dieser eine Grillabend einfallen, an dem man doch sogar eine Sternschnuppe gesehen hat. Oder war es nur ein Funken?

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