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„Die meisten werden geblendet vom schnellen Geld und Ruhm“

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Für seinen Dokumentarfilm „9to5-Days in Porn“ hat der Münchner Regisseur Jens Hoffmann eineinhalb Jahre lang im San Fernando Valley gedreht, dem Epizentrum der amerikanischen Pornoindustrie. Über 200 Studios drängen sich in dem Tal westlich von Los Angeles. Im Schnitt produziert jedes von ihnen einen Film pro Woche, das macht mehr als 10 000 pro Jahr, der Umsatz übersteigt mittlerweile den der Musikindustrie. Etwa 6000 Menschen leben im Valley von der Pornoproduktion, nur ein Viertel davon sind die tatsächlichen Darsteller. Ein kleines Universum, mit eigenen Regeln, in dem jeder jeden kennt.

jetzt.de: Jens, du hast bisher vor allem Extremsportfilme gedreht. Wie kam es dazu, dass du einen Film über die Pornoindustrie im San Fernando Valley gemacht hast?

Jens Hoffmann: Vor fünf Jahren hat ein Pornoproduzent in München einen Raum gesucht, um seine Bänder zu sichten. Ein Freund hat ihn in meinen Schneideraum geschickt. Erstaunlicherweise entsprach er überhaupt nicht den Klischees, die ich damals von einem Pornoproduzenten hatte. Er war sympathisch, studierte Theologie und sagte Dinge, die mich beeindruckten. Er lud mich nach Prag zu einem Porno-Dreh ein. Dort habe ich einige Darsteller kennengelernt und gemerkt, dass sie sehr interessante Geschichten haben.

Wie war es, bei einem Porno-Dreh zu sein?

Die ersten fünf Minuten sind komisch, danach ist es eigentlich egal, ob du in einem Zirkus drehst oder an einem Porno-Set. Du achtest auf deine Kamera und das Bild, irgendwann nimmt man gar nicht mehr wahr, dass jemand mit dir redet und währenddessen mit sich selbst spielt.

War es schwierig, an die Darsteller heranzukommen?

Die meisten waren erstmal misstrauisch, da viele von ihnen schlechte Erfahrungen mit Fernsehsendern gemacht hatten. Also haben wir ihnen erklärt, dass wir eine Film- und keine Fernsehcrew sind und dass wir ihnen wirklich zuhören wollen. Wir haben sehr viel Zeit mit ihnen verbracht, um ihr Vertrauen zu gewinnen.

Wie war es, so engen Kontakt mit den Darstellern zu haben und sie am nächsten Tag beim Sex zu beobachten?

Es war ein Teil des Jobs. Oder anders gesagt: Pornofilme würden bei mir nicht mehr funktionieren. Es wäre gelogen, wenn ich sagen würde, dass ich noch nie einen Porno geschaut habe. Heute war ich aber an allen Drehorten und ich kenne die meisten Darsteller persönlich. Sie beim Sex zu sehen, ist weder erotisch noch erregend.

Bei den Protagonisten deines Filmes gibt es nur einen einzigen männlichen und aktiven Pornodarsteller. Warum?

Dafür gibt es zwei Gründe, eigentlich drei. Erstens gibt es viel mehr Frauen in der Pornoindustrie. Zweitens haben wir mit ein paar Männern gefilmt. Deren Geschichten waren aber nicht so spannend, wie die der anderen Protagonisten. Und drittens sind Männer in Pornos eigentlich nur Kulisse, die die Frauen benutzen. Man sieht in einem normalen Pornofilm so gut wie nie das Gesicht der männlichen Darsteller, für sie interessiert sich kein Mensch.

Gibt es Bilder, die du nicht mehr aus dem Kopf bekommst, weil sie dich verstört haben?

Es gab schon Sachen, die ich nicht gedreht habe und die ich auch nicht sehen wollte – die passieren aber auch hier in München.

Es gibt also auch in München eine Szene?

Eine Szene nicht, aber eine Produktionsfirma, die ziemlich berühmt ist. Als wir an unserem ersten Set in L.A. erzählt haben, woher wir kommen, sind alle ausgeflippt. Denn aus München kommen Filme, die wirklich hart sind, Dinge, die in Amerika verboten sind. Viele Darsteller geben sich deshalb deutsche Namen, um dieses Hardcore-Image zu transportieren.

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Seid ihr denn auch zu der Münchner Pornofirma gegangen?

Nein. Unser Film beschäftigt sich mit Mainstream-Porno. Die Sachen aus München sind viel härter. Bei der Nachbearbeitung kamen wir aber ständig in Kontakt mit der Branche. Viele Postproduktionsstudios aus München haben früher auch für Pornofirmen gearbeitet, das gleiche gilt für Synchronsprecher und Schauspieler.

Meinst du, dass die Menschen aufhören würden, Pornos zu sehen, wenn sie mal bei einem Dreh gewesen wären?

Es gibt Leute, die viel Geld ausgeben, um genau das zu tun. Eine amerikanische Agentur bringt Leute für 2000 Dollar ein Wochenende lang nach Prag zu einem Porno-Dreh. Es gibt aber bestimmt viele Menschen, auf die es abschreckend wirken würde.

Wie siehst du die Branche, nachdem du sie so nah mitbekommen hast?

Früher habe ich mir nicht wirklich Gedanken über sie gemacht. Ich hatte dieses feste Bild im Kopf, von dem Gebrauchtwarenhändler, der irgendwann eine Videokamera nimmt und seine Freundin auf der Waschmaschine dreht. Jetzt sehe ich das differenzierter. Es gibt nicht nur eine Pornobranche, sondern viele verschiedene. Hier in Deutschland, Frankreich und England entspricht die Szene am ehesten noch dem Klischee, das ich vorher hatte. In Osteuropa gibt es dagegen eine dunkle Welt, während es in Amerika ein extrem professionelles Business ist.

Siehst du Pornos kritischer als vorher?

80 Prozent der Menschen in Deutschland konsumieren irgendwann einmal Pornografie, 25 Prozent haben einen Film zu Hause. Es ist ein gesellschaftliches Phänomen. Ich hatte am Anfang Bedenken, dass die Branche menschenverachtend ist. Jetzt weiß ich: Manchmal ist sie es tatsächlich, manchmal aber eben auch nicht.

Den meisten Darstellern in deinem Film geht es am Schluss schlechter als vorher.

Einige der Protagonisten schaffen es aber auch, sie machen Karriere und führen ein geregeltes Leben. Aber ich gebe dir recht: Die meisten werden geblendet vom schnellen Geld und Ruhm. Ich denke, es kommt auf den Charakter an. Nicht jeder ist geeignet, Fernsehmoderator oder Notarzt zu werden. Genauso gibt es Leute, die mit der Pornoszene gut umgehen können.

Welche Rolle spielt dabei das Internet?

Das ist einer der Trends, der das Geschäft immer härter macht. Als wir unsere Dreharbeiten beendet hatten, fingen die Webcompanies gerade an, den Markt zu übernehmen. Anfangs haben sie nur kleine Filme fürs Internet gemacht, die wurden enorm oft angeklickt. Mittlerweile haben sie mehr Budget als die Filmproduktionen im Valley. Die haben das Internetgeschäft verpasst und sind jetzt in extremen Schwierigkeiten. Das verändert das Business enorm. Zudem wird das Netz weniger stark überwacht vom amerikanischen Staat, deshalb ist dort mehr möglich.

Larry Flint, der Herausgeber des Hustler, und Joe Francis, der Chef der Firma „Girls Go Wild“, sehen die Branche durch die Wirtschaftkrise genauso bedroht wie die Banken oder die Autoindustrie. Sie haben deshalb von der US-Regierung eine Finanzspritze von fünf Milliarden Dollar gefordert.

Ja, das stand in Amerika in allen Zeitungen. Ich glaube aber nicht, dass ernst gemeint war. Passieren wird nichts, aber es war ein guter Weg, ins Gespräch zu kommen.

Wie waren die Reaktionen auf deinen Film?

Erstaunlicherweise sind die Jungs oft viel geschockter als die Mädchen. Die sind eher pragmatisch und stellen technische Fragen.

„9to5 - Days in Porn“ kommt Anfang Juli in die deutschen Kinos. Mehr unter: www.9to5daysinporn.com

Text: christoph-gurk - Fotos: www.9to5daysinporn.com

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