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Wer heute eine Weile ins Ausland geht, um zu studieren, zu arbeiten oder einfach nur um vor sich hin zu leben, kommt nicht selten mit mehr Fernweh heim. Viele finden in der Ferne nicht nur Freunde sondern die Liebe. Der Beginn einer Fernbeziehung. Nun gehen immer mehr junge Menschen ins Ausland und suchen sich für ihre Reisen und Aufenthalte teils sehr entfernte Ziele. Das führt dazu, dass man als frisch verliebtes Paar nicht mehr „nur“ die Kilometer zwischen Paris und Barcelona überbrücken muss (wie zum Beispiel in der als Kinofilm getarnten Erasmus-Ode "L'Auberge Espagnole"), sondern immer häufiger vor Entfernungen in der Größenordnung von München-San Francisco steht. Kann Liebe so funktionieren?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Nach Angaben des statistischen Bundesamtes gibt es 2,5 Millionen binationale Ehen in Deutschland und rund 180.000 so genannte „Lebensgemeinschaften“, in denen nur ein Partner deutsch ist. Das war es dann aber auch mit Zahlen zum Stichwort „Fernbeziehung“. Keine Statistik erfasst die unverheirateten jungen Paare, die für längere Zeit räumlich getrennt voneinander leben und sich nur alle paar Monate sehen. Forscher sind sich aber sicher, dass die Zahl stark zugenommen hat – auch wenn diese Partnerschaften ziemlich viel Leidenspotential bergen. Meist tritt nach der ersten Euphorie die Ernüchterung ein. „Solche Beziehungen sind am stärksten von Trennungen betroffen“, sagt Klaus Schneewind, Professor für Familienpsychologie an der LMU in München. Immerhin sind Beziehungen auf Distanz heute lebenswerter als früher. Das Reisen ist einfacher und günstiger geworden, zudem sorgt die vergleichsweise junge Videotelefonie dafür, dass die Partner leichter den Kontakt aufrechterhalten können. Und Skype fungiert als Liebeskitt zwischen Menschen auf verschiedenen Kontinenten. Das Internet kann bis zu einem gewissen Grad fehlende Nähe kompensieren, sagt Nicola Döring, Professorin für Medienpsychologie an der TU Ilmenau. „Wenn man räumlich getrennt ist und sich aber über das Internet viel zu sagen hat, kann man durchaus mehr Nähe erleben als ein Paar, das gemeinsam auf dem Sofa sitzt, aber schweigend fernsieht.“ Oder kann es vielleicht auch sein, dass gerade die ständig vorhandene Sehnsucht, das Gefühl der Unerreichbarkeit den Reiz einer Fernbeziehung aufrecht erhält? Drei Paare erzählen, wie es ist, in der Liebe zusammen und gleichzeitig getrennt zu sein.


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Berit und Victor Berit, 27 „Ich habe Victor seit genau einem Jahr nicht mehr gesehen. Unsere Tochter ist fünf Monate alt. Sie heißt Ayo Marie. Kennengelernt habe ich Victor im März 2007, in Freetown. Ich studiere Afrikanistik und habe damals ein studienbegleitendes Praktikum in Sierra Leone gemacht, bei einem Leipziger Verein, der in Afrika Schulen baut. Ich war an einem Tag mit meinen Kollegen auf dem Heimweg. Wir fuhren mit der Fähre in Richtung Freetown. Victor saß mit seiner Mutter neben mir und schaute die ganze Zeit rüber. Dann sprach er mich an, wir redeten ein bisschen. Später gab er einem meiner Kollegen seine Telefonnummer. Er war wohl zu schüchtern, um sie mir direkt zu geben. Zwei Tage später habe ich mich bei ihm gemeldet. Mich hat es überrascht, dass ein Mann mich so offen auf der Straße anspricht. Sierra Leone ist ein muslimisches Land. Ich wusste überhaupt nicht, was dort für eine Frau erlaubt ist und was nicht. Als ich Wochen später wieder in Deutschland war, dachte ich, die Gefühle würden nach ein paar Tagen wieder abflauen. War aber nicht so. Ein halbes Jahr später hab ich also erneut ein Flugticket nach Freetown gebucht. Zwei Monate danach, wieder in Deutschland, war ich mit einem Mal schwanger. Die Beziehung zwischen Victor und mir ist wie ein Gewöhnungsprozess gewesen. Als ich mich gerade dran gewöhnt hatte, einen Freund in Sierra Leone zu haben, war ich schon schwanger. Als ich mich gerade an die Schwangerschaft gewohnt hatte, war das Kind plötzlich da. Aber Victor hat Ayo noch nie in echt gesehen. Nur über die Webcam. Victor geht in Freetown meistens in Internetcafés, damit wir chatten können. Manchmal funktioniert die Verbindung nicht. Man verliert nach so langer Zeit den Bezug zueinander. Ich weiß nicht, wann Victor endlich nach Deutschland kommen kann. Victors Visumantrag wurde schon einmal abgelehnt. Ich hoffe, dass wir bald gemeinsam hier leben können. Aber ich möchte auch nicht, dass er nur wegen mir hier bleibt. Wenn ich nach Afrika fahre, bin ich vorbereitet. Ich kenne Sierra Leone, ich weiß, wie das Leben dort ist. So einfach wird es in Deutschland wahrscheinlich nicht für uns.“ Victor, 27 „Ich bin seit zehn Tagen in Ghana, um ein Visum nach Deutschland zu beantragen. Leider kann man das nicht in Sierra Leone machen, dort gibt es zwar eine deutsche Botschaft, aber kein Konsulat. Vor einem Jahr habe ich schon mal versucht, ein Visum zu bekommen. Da sind Berit und ich zusammen mit dem Sammeltaxi nach Guinea gefahren. Damals wurde es abgelehnt. Jetzt ist das Konsulat in Ghana für Sierra Leone zuständig. Mein Flug nach Accra hat 670 Dollar gekostet. Von meinen 30 Dollar Monatslohn hätte ich mir das nie leisten können. Mein ganzes Erspartes musste dafür herhalten, meine Familie und Berit haben auch geholfen. Berit hat mir über Couchsurfing einen netten Typen gesucht, bei dem ich die Tage über in Accra übernachten kann. Ich muss hier in Ghana außerdem meine Vaterschaft für Ayo bestätigen – so bekomme ich hoffentlich das Visum. Ich habe Angst, dass sie es mir wieder nicht geben. Die Mitarbeiterin von der deutschen Botschaft war gestern sehr unfreundlich zu mir. Ich glaube nicht, dass sie noch mehr Afrikaner in Deutschland wollen. Das Warten auf das Visum dauert. Währenddessen schaue ich mir die Stadt an. Mein Gastgeber hat mir eine Kamera ausgeliehen, damit ich ein paar Fotos machen kann. Ich finde Accra gut, es gibt hier Strom. Bei uns in Freetown haben wir nur alle paar Tage für ein paar Stunden Strom. Ich hoffe, dass ich Berit und Ayo endlich bald sehen kann. Es war sehr schwer für mich, dass ich während Berits Schwangerschaft und der Geburt nicht für sie da sein konnte. Ich freue mich sehr auf Deutschland, aber ich kann mir noch nicht vorstellen, wie man dort lebt. Auf jeden Fall werde ich sobald wie möglich einen Sprachkurs machen. Ich bin gelernter Maschinenbauer, vielleicht finde ich ja sogar einen guten Job.“


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Tristan und Mayumi Tristan, 23 „Ich bin Halbjapaner, aber in Deutschland aufgewachsen. Im März 2007 bin ich das erste Mal in meinem Leben nach Japan geflogen, für ein halbes Jahr, um in Kyoto zur Sprachschule zu gehen. Mayumi hab ich in einem traditionellen Aikido-Kurs getroffen. Sie wohnte in Osaka, eine dreiviertel Stunde entfernt. Ich hatte nicht viel zu tun, hab’ den Unterricht geschwänzt und bin oft mit dem Zug zu ihr gefahren. Nachdem ich wieder in München war, haben wir den Kontakt aufrecht gehalten, bis sie mich über Weihnachten und Neujahr besuchen kam. Danach war uns klar, dass wir zusammen bleiben würden und Mayumi wollte im April für ein Jahr nach Deutschland ziehen. Ich hab ihr trotzdem gleich gesagt: ,Hör’ zu, ich kann dir nicht versprechen, dass es klappt.‘ Wir haben uns um ein Jahresvisum für sie gekümmert, Mayumi hat in Tokio zwei, drei Jobs gleichzeitig angekommen, um Geld zu sparen. Der Einsatz war auf jeden Fall höher für sie als für mich. Im Nachhinein waren wir beide sehr naiv. In manchen Situationen sogar dumm. Mayumi ist bei mir in die WG eingezogen, und wenn man sich davor monatelang nicht gesehen hat, ist das ein Schritt von null auf hundert. Wir hatten wenig Auszeit voneinander, mir war das oft zuviel. Ich habe außerdem nie daran gedacht, dass Mayumi mit meinen Freunden nicht so viel anfangen können würde. Ich ging davon aus, dass meine Freunde auch ihre Freunde werden, aber so war es nicht. Mayumi hat sich nie richtig eingelebt und war schnell sauer, wenn ich mich nicht um sie gekümmert habe. Für sie war ich der Anker in einem fremden Land und mit dieser Rolle war ich ziemlich überfordert. Heute würde ich vieles anders machen, zum Beispiel auf jeden Fall getrennt wohnen. Im Juli fliege ich wieder für zwei Monate nach Japan. Aber eigentlich ist dieses monatelange Warten aufs Wiedersehen kein Zustand, den man auf Dauer aushält. Wir wissen beide nicht, wie es weitergehen soll.“ Mayumi, 25 „Ich hatte früher schon mal eine Fernbeziehung von Japan in die USA. Eigentlich habe ich mir danach geschworen, mich nie wieder auf so eine Entfernung einzulassen. Dann kam Tristan. Nachdem er im Herbst wieder nach Deutschland zurückgekehrt ist, habe ich mich in meine Arbeit bei einer Modefirma geflüchtet. Meine Familie hat sich Sorgen gemacht. Sie haben es nicht verstanden. ,Du kannst doch jeden Japaner haben!‘, sagten sie. Aber wenn dir jemand soviel bedeutet – was willst du schon dagegen tun? Als wir getrennt waren, wurde mir Skype irgendwann zur Obsession. Man baut sich eine virtuelle Traumwelt auf, eine Computerbeziehung, in der es nur zwei Menschen gibt. Danach war es für mich immer noch viel härter, zurück ins normale Leben zurückzukehren; Tokio ist kalt und leer, die Menschen dort sind gestresst und unnahbar. Ich war sehr unglücklich. Tristan anzurufen, bedeutete für mich Nähe, auch wenn er am anderen Ende der Welt war. Man verklärt vieles. Wenn man sich nicht sieht, bleiben ja nur die guten Erinnerungen. Ich wollte unbedingt nach Deutschland. Als ich dann im letzten April für ein Jahr nach München gekommen bin, habe ich mich oft überflüssig gefühlt. Ich bin in Deutschland nie richtig zurechtgekommen. Mittlerweile finde ich Fernbeziehungen egoistisch. Natürlich ist es mutig, sich darauf einzulassen. Aber: Man fordert voneinander, dass der Partner sein Leben danach richtet, mit einem sein zu können. Man gibt füreinander seine eigenen Ziele auf. Zusammen zu sein und das eigene Leben weiterzuleben, seine Arbeit und seine Freunde zu behalten, geht in so einer Beziehung wohl nicht. Jetzt lebe ich wieder in Osaka.“


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Christoph und Lucia Christoph, 28 „Lucia und ich kennen uns seit zwei Jahren. Ich habe Ethnologie studiert, 2007 war ich für ein Auslandssemester in Argentinien. Ein paar Wochen vor meinem Rückflug fuhr ich mit dem Bus nach Peru. Lucia saß zwei Reihen vor mir. Sie hat mich gefragt, ob sie mal kurz in meine Landkarte schauen kann. Ein paar Stunden später waren wir auf einer Party in einem Andendorf und haben miteinander rumgeknutscht. Als ich dann am Tag meines Abflugs an der Sicherheitskontrolle stand, ließ man mich nicht durch. Ich hatte zuviel Gepäck. Also musste ich noch mal zurück zum Check-In. Dann war das Flugzeug weg. Ich war quasi gezwungen, zwei Wochen länger in Argentinien zu bleiben. Das war ein glücklicher Zufall, denn in diesen zwei Wochen habe ich erst gemerkt, wie viel sie mir eigentlich bedeutet. Irgendwie glaube ich, dass es typisch ist, dass man sich in den letzten Wochen während eines Auslandssemesters verliebt. Klar verliebt man sich in die Person. Aber ein bisschen geht es auch um das Land. Das Fremde ist immer aufregender und interessanter. Und in gewisser Weise bindet Lucia mich bis heute an Argentinien.“ Lucia, 27 „Christoph macht gerade eine Redakteursausbildung, ich bin seit längerem schon fertig mit meinem Studium. Ich lebe in Buenos Aires und arbeite hier als freie Graphikdesignerin. Da ich keinen 9to5-Job habe, kann ich mir auch die Auszeit nehmen, um Christoph zu besuchen. Zweimal war ich jetzt schon für einige Monate in München. Christoph und ich haben einen Deal geschlossen: Bis er fertig mit der Ausbildung ist, komme ich ihn in Deutschland besuchen, so oft es mir möglich ist. Sobald er dann fertig ist, wollen wir aber zusammen in Buenos Aires leben. München gefällt mir zwar sehr gut, aber ich bin ein viel größerer Familienmensch als Christoph. Dauerhaft weit weg von meinen Eltern und Geschwistern zu leben, könnte ich mir nicht vorstellen. Das ist, glaube ich, etwas typisch Südamerikanisches. Wenn Christoph und ich getrennt sind, versuchen wir jeden Tag miteinander zu reden. Ich mache gerade eine neue Designkampagne für eine argentinische Snackfirma und muss Tag und Nacht arbeiten. Oft bin ich müde und kann dann nur I love you, I miss you sagen. Manchmal habe ich auch überhaupt keine Lust auf Reden. Ich bin diese „Was hast du heute gemacht“-Gespräche etwas satt. Eigentlich will ich einfach nur neben Christoph im Bett liegen oder schweigend mit ihm zusammen kochen oder so etwas.“

Text: xifan-yang - Illustration: Katharina Bitzl; Fotos: privat

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