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Das Prinzip Käse-Igel

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"Schwätzer im Treibhaus“ nennt uns Europäer ein kürzlich erschienener Buchtitel von Marcel Hänggi. Stimmt. Wir sind große „Klima-Talker“, unser reales Klima-Handeln ist aber unverändert lau. Wir Europäer stoßen immer noch mehr als das Zwanzigfache dessen an Treibhausgasen aus, was Afrikaner in die Luft pusten. Aber wie könnte eine echte Klimawende gelingen? Zu diesem Thema bin ich seit einigen Jahren auf Reisen durch Deutschland, Europa und China, mit Vorträgen vor Wissenschaftlern, Politikern oder Laien, auch in Talkshows und Radiosendungen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Eigentlich ist Klimaschutz einfach. Es geht schlicht darum, viel weniger Treibhausgase auszustoßen. Also viel weniger Öl, Kohle und Gas zu verbrauchen. Diese fossilen Brennstoffe stecken überall drin. Fleischkonsum, Autofahren, Fernurlaube, überheizte Wohnungen und auch Unterhaltungselektronik gehören also auf den Prüfstand. Die Lösung: verbindliche globale Reduktionsziele für Treibhausgase und Ressourcenverbrauch plus Ausgleichszahlungen für die Entwicklungsländer, denen wir die von uns gemachten Klimaschäden zumuten. Dann würde fossile, klimaschädliche Energie teurer. Und wir bemühen uns stattdessen massiv um Energieeffizienz, greifen auf erneuerbare Energien zu und verzichten vielleicht auf manchen Schnickschnack. Und nebenbei wird noch das globale Armutsproblem angegangen. Der Typus „nüchterner Wirtschaftsfachmann“ unter meinen Zuhörern sagt dann aber: ein Öko-Lebensstil sei zu teuer und koste außerdem Arbeitsplätze. Stimmt nicht. Richtiger Klimaschutz wäre ein gigantischer Jobmotor, gerade die erneuerbaren Energien sind es schon heute. Wie viele Arbeitsplätze dagegen die hoch gelobte deutsche Autoindustrie „sichert“ mit immer mehr Rationalisierung und Auslandsproduktion, danach fragt keiner. Und dass ein Kohle-Großkraftwerk für Investoren irgendwie spannender und handfester aussieht als ein Windpark (und die von ihren Aktionären abhängigen Unternehmen deshalb gern mit der überholten Technologie weitermachen), ist schlicht irrational. Übrigens: Selbst laut ADAC ist Autofahren schon lange viel teurer als Bahnfahren. Was Klimaschutz mit dem Prinzip Käse-Igel zu tun hat: auf der nächsten Seite.


Klimaschutz spart oft auch massiv Kosten, etwa bei der Wärmedämmung – und nicht erst langfristig wegen der vermiedenen drastischen Klimaschäden. Zudem droht eine Welt des „Weiter so“ eine Welt der Klimakriege um Öl, Wasser und andere Ressourcen zu werden. Was nicht nur, aber auch massiv Geld kostet – letztlich schon heute im Irak und in Darfur. Vor allem aber stößt unser Traum vom ewigen Wirtschaftswachstum in einer physikalisch endlichen Welt auf unüberwindbare Grenzen, auch wenn in der Finanzkrise mal wieder alle nach Wachstum lechzen. Deshalb geht es neben mehr Effizienz nicht ohne mehr Verzicht. Im Moment schädigen wir aus Gewohnheit, Bequemlichkeit und Konsumfixierung massiv die Menschen künftiger Generationen und in anderen Erdteilen. Viele von ihnen wird unser Lebensstil schlicht umbringen. Ein moralischer Skandal, gegen den Abhöraffären oder US-Armeeskandale plötzlich ziemlich klein erscheinen. Aber da kostet uns unsere moralische Empörung ja auch nichts. Dieser Vergleich bringt manche Zuhörer in Rage. „Identität und Anerkennung durch immer mehr Konsum“, egal ob es um das neue Handy oder die Teneriffa-Reise mit den netten Fotos zum Vorzeigen geht: genau davon werden wir wohl wegkommen müssen. Statistisch sind Menschen in Brasilien oder Afrika übrigens nicht unglücklicher als wir, solange die Grundbedürfnisse gesichert sind. Lebensfreude hängt vielmehr ab von den Relationen „was möchte ich vs. was habe ich“ und „was habe ich in Relation zu den anderen in meiner Umgebung“. Prinz Marcus, Multimillionär, Freund von Paris Hilton, lag also leicht daneben mit seiner Frage an mich in einer Talkshow: ,Haben Sie denn gar keinen Spaß am Leben?‘ Ich frage zurück: Ist unser heutiger Konsumdruck nicht viel lustfeindlicher und diktatorischer? Als ob Konsum die wichtigste Lustquelle wäre. Die schönsten Dinge im Leben sind doch umsonst. Globales Handeln ist also angesagt, aus moralischen Gründen und aus Eigennutzen. Der Nationalstaat, den wir immer noch für die Hauptsache halten, kann kein globales Problem lösen. Und lasche Reduktionsziele (und gar keine Ziele für Entwicklungsländer) führen leicht dazu, dass unser eingespartes Öl schlicht im Süden verbrannt wird. Doch das Klimaproblem drängt, und unser Zögern reizt die Ölbarone, noch rasch möglichst viele fossile Brennstoffe auf den Markt zu werfen. Unsere Aufgabe als Bürger ist deshalb, Druck zu machen und den neuen Lebensstil zu erproben. Warum das nicht klappt? Die Ursachen sind so banal wie hartnäckig: - Gefangensein in gewohnt-bequemen kulturellen und wirtschaftlichen Mustern (Autos sind eben „üblich“), - Fixierung auf kurzfristigen ökonomischen Fortschritt, - fehlender emotionaler Zugang zum durch uns verursachten Leid in fernen Ländern und, bei der Frage nach dem Wohl der künftigen Generationen, - Egoismus. Und natürlich der Teufelskreis, in dem Politiker und Bürger – und Unternehmen und Kunden – sich wechselseitig in dieser Grundeinstellung bestätigen. Kommen wir da irgendwie raus? Dazu erzähle ich immer folgende Geschichte: Lege ich auf meiner Geburtstagsparty ein Stück Käse hin, bleibt es liegen. Schneide ich es in Würfel, wird alles aufgegessen. Obwohl der Käse genau der gleiche ist. Bequemlichkeit erklärt’s zum Teil. Aber nicht nur das: An sich weiß im Wellness-Zeitalter jeder, dass größere Mengen cholesterinhaltiger Lebensmittel am späten Abend nicht gerade gesund sind. Doch die Grenze zwischen „dick werden“ und „nicht dick werden“ verschwimmt mit den offerierten Häppchen. Einer solchen Salamitaktik des Schrittchen-für-Schrittchen halten auch gute Vorsätze kaum stand. Muss man sich dagegen für einen „großen Schritt“ entscheiden, und sei es nur das Abschneiden einer Käsescheibe, kann man sich offenbar schlechter selbst vormachen, man tue ja gar nichts und esse eigentlich gar nicht („nur das kleine Stückchen Käse noch . . . “). Salamitaktik verschleiert also Brüche zwischen Denken und Handeln, aber auch zwischen einem Handeln X und einem gegensätzlichen Handeln Y. Dementsprechend eignet sich Salamitaktik hervorragend für Politiker und Unternehmen, um Reformen trotz unser aller Neigung, am Gewohnten festzuhalten und Veränderungen unbequem zu finden, auf den Weg zu bringen. Unsere Neigung zum Gewohnten ist manchmal hilfreich, um nicht vor jedem Handgriff erst Grundsatzanalysen anstellen zu müssen. Große Reformen wie die Klimawende werden dadurch aber schwierig, trotz klarer Einsichten. Zumal bei den vielen scheinbar so kleinen klimaschädlichen Handlungen der Widerspruch zu den „richtigen Einsichten“ kaum auffällt und die Grenzziehung zu den „richtigen Handlungen“ nicht leicht fällt. Aber manchmal siegt die Einsicht dann doch: nämlich genau dann, wenn der Eigennutzen für eine Änderung spricht und die Änderung selbst scheibchenweise daherkommt. Nur: Eigentlich ist es für eine solche Salamitaktik beim Klima schon zu spät. Felix Ekardt, geboren 1972, ist Jurist, Philosoph, Soziologe und Professor – bisher in Bremen und künftig in Rostock. Er arbeitet zur Klimapolitik und zur Nachhaltigkeitstheorie. Er hat zum Thema das Taschenbuch „Wird die Demokratie ungerecht?“ veröffentlicht (C.H.Beck 2007).

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