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Huldiger des MeltingPot. Im Gespräch mit der Band Oi Va Voi

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Ihr kommt alle aus London und habt familiäre Wurzeln in den verschiedensten Ländern. Habt ihr euch verpflichtet gefühlt, diese in eure Musik einfließen zu lassen? Josh: Es ist nicht nur die Familie, die wir repräsentieren. Wir alle sind sehr angetan von Musik aus Osteuropa. Für eine Rock’n’Roll-Band aus London sind wir ziemlich ungewöhnlich, denn während alle anderen Gruppen sich eher am amerikanischen Blues orientieren, spielen wir Violine, Klarinette und Trompete.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Aber finden die Londoner euch noch exotisch - nachdem Shantel und Beirut osteuropäische Musik so Club-tauglich gemacht haben? Josh:Vielleicht tun sie das noch, aber darauf kommt es uns nicht an. Wir würden gerne als Mainstream-Band verstanden werden. Ich finde es auch nicht schlimm, kommerziell erfolgreich zu sein. Unser Ziel ist es nicht, ein exotischer, kleiner Act zu sein. Bridgette: Wir hätten gerne den kommerziellen Erfolg einer Mainstream-Band, ohne dabei Kompromisse eingehen zu müssen. Ich persönlich bin nicht jüdisch und habe keine osteuropäischen Wurzeln. Aber als ich vor vier Jahren das erste Mal die Musik von Oi Va Voi hörte, hat deren Schönheit mich total umgehauen. Ich war fast ein bisschen sauer auf mich selbst, dass ich vorher noch keinen Draht zu diesem Stilmix hatte. Ich finde, dass es Musik ist, die viele mögen würden, wenn sie damit nur mal in Kontakt kämen. Könnt ihr den beständigen Hype um diese Musik erklären? Brauchte osteuropäische Musik einfach nur einen modernen Untersatz aus HipHop und programmierten Beats, damit die Leute dazu tanzen? Josh: Ja, das war auf jeden Fall wichtig. Es ist trotzdem schwierig zu beschreiben, wie sich dieser Mix etablierte. Bands wie Basement Jaxx haben dabei sicher eine Rolle gespielt. Die Ohren der Leute sind jetzt wieder bereit, sich auf die Leidenschaft einzulassen, die zum Beispiel durch osteuropäische Blechbläser transportiert wird. England ist vor allem für Indierock bekannt. Sind die hippen jungen Gitarrenbands nicht offen genug für ein musikalisches Abenteuer? Josh: Man könnte wirklich denken, bei uns laufen alle in engen Jeans rum und spielen Gitarre. Aber wenn man mal mit den einzelnen Musikern spricht, merkt man schnell, dass sie viel mehr drauf haben als einfach nur massentauglichen Indierock zu spielen. Sie können mehr als das, was auf „Radio 1“ läuft, oder was im „NME“ steht. Die Medien bestimmen den Trend und verdrehen dabei das Bild. London ist ein unglaublicher Schmelztiegel aus osteuropäischen, afrikanischen und indischen Gemeinden. Bridgette: Die Leute wollen ja auch die Alternative zu den Radiohits – sie wissen nur nicht, wie sie daran kommen können. Josh: Das Internet hilft dabei. Vor allem Internetradios erzeugen ein bisschen Demokratie auf dem Musikmarkt. Plötzlich dürfen die Leute wieder hören, was sie auch hören wollen. Die gängigen Radiostationen sind nur Teile der großen Plattenfirmen, die den Leuten einfach etwas vorsetzen und ihnen nicht erlauben, mehr als das Vorgesetzte zu erleben. Mehr als Gitarren- und Pop-Bands sind da einfach nicht erwünscht.


Oi Va Voi "Everytime" from Katarzyna Kijek on Vimeo. Bis vor einigen Jahren hat KT Tunstall noch bei euch gesungen. Sie hat die Band wegen ihrer Solokarriere verlassen und macht seitdem Radiopop. Hat sie sich verkauft? Josh: KT war nie wirklich in der Band, sie war Gastsängerin, und wir sind immer noch sehr gut befreundet. Wir hatten sie nur gebeten, ein paar Songs für unser damaliges Album einzusingen, und dann ist sie noch für eine Weile mit uns auf Tour gegangen. Aber es stand nie zur Debatte, dass sie ein festes Mitglied der Band wird. Während sie bei uns war, hat sie schon an einem eigenen Album gearbeitet und damit später viel Erfolg gehabt. Ihr selbst sagt, ihr hättet eine „Refugee“-Mentalität verinnerlicht, was ihr mit eurem Song „Refugee“ (2004) unterstrichen habt. Josh, du sagtest damals, du wärest wütend über den Umgang der Briten mit Flüchtlingen. Wie wichtig ist euch ein politisches Statement in eurer Musik? Josh: Wir sind keine politische Band, aber betrachten bewusst die Gesellschaft, in der wir leben. Die meisten Briten hatten Vorfahren, die aus verschiedenen Gründen flüchten und schwierige Zeiten durchmachen mussten. Man kann sich das kaum vorstellen. Wir leben in einer Welt, deren Bevölkerungszahl immer größer wird, und deren Rohstoffe immer weniger werden. Den Song „Refugee“ haben wir geschrieben, als die Zeitungen jeden Tag neue Schlagzeilen über Flüchtlinge brachten. Wir wollten dieses große Thema kleiner und persönlicher gestalten. „Refugee“ war ein Lovesong. Ist es nicht schwierig, gefühlvoll zu werden, wenn man gerade doch so wütend ist? Bridgette: Wenn mehr Leute das könnten, würde es bestimmt weniger Probleme auf der Welt geben. Josh: Songwriter benutzen einfach ganz unterschiedliche Techniken, ihre Message rüberzubringen. Politische Songs sind okay, aber sie funktionieren nur, wenn nicht nur der Text, sondern auch die Musik dazu gut ist. Viele neigen dazu, laut zu werden, wenn sie etwas Wichtiges loswerden wollen. Überall schreien alle ihre Ansichten heraus, bis keiner mehr den anderen hört. Das bekommt man doch auch ruhiger hin. Ich erinnere mich nicht an ihre Namen, aber in Russland gab es mal ein paar Autoren, die mit wunderschönen und ganz einfachen Kindergeschichten eine klare politische Message verbreiteten. Diese Geschichten waren so süß, dass die kommunistische Regierung nicht bemerkte, was eigentlich dahinter steckte. Bridgette: Der letzte Song auf unserem neuen Album „Photograph“ ist damit vergleichbar. Es geht um den französischen Schriftsteller Émile Zola, der Ende des 19. Jahrhunderts einen unheimlich gefühlvollen offenen Brief an die französische Regierung geschrieben hat, weil ein jüdischer Hauptmann zu unrecht angeklagt und inhaftiert worden war (ist: Dreyfus-Affäre; Anm. d. Verf.). Zola ist damals nicht herumgelaufen und hat seine Meinung dazu heraus posaunt. Sein Brief reichte, um ein ganzes Land zu berühren. Josh: Es geht darum, wichtige soziale Angelegenheiten besonnen und vernünftig zu vermitteln. Und genau das machen wir mit Oi Va Voi.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

„Travelling The Face Of The Globe“ von Oi Va Voi erscheint am 15. Mai auf Oi Va Voi/AL!VE.

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