Süddeutsche Zeitung

Unsere Kernprodukte

Im Fokus

Partnerangebote

Möchten Sie in unseren Produkten und Services Anzeigen inserieren oder verwalten?

Anzeige inserieren

Möchten Sie unsere Texte nach­drucken, ver­vielfältigen oder öffent­lich zugänglich machen?

Nutzungsrechte erwerben
Aus der ehemaligen jetzt-Community: Du liest einen Nutzertext aus unserem Archiv.

Timo Korbjuwi. Detektivinnenassistent

Text: nachtdieb
Anne beschließt, dass wir Detektive sind, das heißt: sie ist Detektivin und ich bin ihr kleines Helferlein. „Detektivinnenassistent“ steht auf meiner handgeschriebenen Visitenkarte. Darunter „Ich helfe immer, wenn es möglich ist; unter der Woche gerne auch am Vormittag.“

Eigentlich habe ich dem Dasein als Helferlein nur zugestimmt, weil mir das Fernsehen beigebracht hat, dass Helden desöfteren amouröse Gefühle für ihre Assistenten entwickeln.

„Pass auf, dass du dir keinen amourösen Gefühle einfängst“, pflegte mein Vater zu meiner älteren Schwester zu sagen, bevor sie das Haus in Richtung einer Party verließ.

„Notfalls verbringe ich dann eben ein paar Wochen im Bett“, erwiderte sie, was bei meinem Vater eine Sorgenfalte über der Nasewurzel hervorrief, so tief, dass man darin problemlos eine ganze CD hätte versenken können.



Nun saß ich also neben Anne in unserem Garten und wartete darauf, dass sie von amourösen Gefühlen befallen würde. Ich musterte sie heimlich von der Seite; ihre Nase schien ein wenig gerötet…

„Timo!“, rief meine Mutter aus dem Haus.

„Ja“, brüllte ich zurück ohne mich ein Stückchen zu bewegen.

„Kommt her, ich habe einen Fall für euch!“

Wir sprangen auf so schnell wir konnten, Anne erreichte die Verandatür noch vor mir, wir stolperten geradewegs in die Küche, wo meine Mutter stand und tatsächlich opfer-mäßig-verzweifelt dreinblickte.

„Was ist denn passiert?“, fragte Anne, während sie gleichzeitig ihren Blick durch die Küche wandern ließ, auf der Suche nach Verdächtigem.

„Mein Joghurt“ Sie musste sich sehr zusammennehmen, sie war wohl recht aufgebracht.

„Mein Erdbeerjoghurt, den ich mir gestern gekauft habe und den ich extra bis HEUTE aufbewahrt habe-“

Meine Mutter ist süchtig nach Erdbeerjoghurt, der Werbespruch dazu ist zu ihrem Motto geworden: „Morgen schmeckt er auch nicht besser.“

„Ich bin froh“, erklärte sie mir einmal, „dass sie keinen besseren Spruch haben, so bleibt der Joghurt ein Geheimtipp“

„Hm“, sagte ich, der aufgrund des Spruches nie den Drang verspürt hatte, einen Löffel zu kosten.

„…ist weg“, beendete meine Mutter ihren Satz. „Ich meine: er wurde weggegessen, die Verpackung liegt im Müll.“

„Keine Angst“, sagte Anne, als handele es sich um einen gefährlichen alles essenden Serientäter, der sich noch in der Nähe aufhielte.

„Genau“, sagte ich.

„Viele kommen ja nicht als Täter in Frage“, begann Anne ihre Überlegungen. „Was ist denn mit Herrn Korbjuwi?“

Meine Mutter blickte zu Boden.

„Haben Sie ihn etwa im Verdacht?“, fragte Anne laut.

Meine Mutter nickte traurig.

„Gut“, Anne griff nach meiner Hand. „Keine Angst – wir lösen das.“ Mit diesen Worten zog sie mich aus der Küche und ins Wohnzimmer, wo mein Vater auf dem Sofa döste. Oder tat er nur so? Meine Realität hatte einen grausamen Sprung bekommen, seit ich mit diesem Fall betraut war.

„Herr Korbjuwi!“ Anne kannte kein Erbarmen. Bewundernd schaute ich sie an.

„Hmgpf“, machte mein Vater.

„Sie werden verdächtigt.“

„Ich bin unschuldig.“, murmelte mein Vater, ohne die Augen zu öffnen.

„Halt halt! Ich habe Ihnen noch gar nicht gesagt, in welchem Fall Sie verdächtigt werden.“

„Fall Erdbeerjoghurt“, platzte ich heraus.

„Oh nein…“

„Sind Sie also doch nicht unschuldig?“

„Doch.“

„Können Sie Ihre Unschuld beweisen?“

„Ich-“

„Haben Sie ein Alibi für die letzten paar Stunden?“

„Nein… ich habe hier nur herumgelegen.“

„Aber es gibt keine Zeugen?“

„Mama hat dich doch bestimmt gesehen.“, wollte ich meinem Vater zu Hilfe kommen.

„Höchstens kurz, wenn sie an der Tür vorbeigelaufen ist – aber ich war es nicht!“

„Es tut mir Leid, Herr Korbjuwi, aber wir müssen Ihnen noch einige Fragen stellen-“

Ich hatte meinen Vater noch nie so leidend gesehen, inzwischen waren seine Augen ein Stück weit geöffnet, wach war er allerdings noch lange nicht.

Aus der Küche ertönte Radiomusik… Anne ließ nicht locker, Frage folgte auf Frage, pfeilschnell, und die Antworten meines Vaters wurden immer vager, seine Stimme immer schwächer, und gewiss stand er kurz davor, alles zuzugeben, nur, um seine Ruhe zu haben…

Zwischendurch blinzelte er, es fiel ihm schwer, die Augen offen zu halten.

„Eigentlich wollte ich mit Timos Mama einen Ausflug machen“, erklärte mein Vater, „aber ich war zu müde – deine Mutter kann das bezeugen.“

„Wie lange lagen Sie also hier auf der Couch?“, fragte Anne, im selben Moment, in dem bei mir der Groschen fiel.

Aus der Küche schallte weiter die Musik, und ich war sicher, dass meine Mutter sich sehr zusammenreißen musste, um nicht laut mitzusingen.

„Es war Rache.“, sagte ich, für Anne unvermittelt.

Mein Vater schlug sich mit der Hand vor den Kopf.

„Sie hätte den Joghurt niemals einen Tag lang aufgehoben“, erläuterte ich.

Anne sah mich unsicher an, dann begriff sie. Ihr Lächeln (und das Eis, das uns meine Mutter reumütig schenkte) waren die Belohnung in meinem ersten erfolgreich gelösten Kriminalfall.

Mehr lesen — Aktuelles aus der jetzt-Redaktion: