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RapRendezvous. Heute: Neue Platten hören mit Curse

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Kaum ein Rapper aus Deutschland hat den Gedankenaustausch auch auf musikalischer Ebene in so hörenswerte Formen gegossen wie der Wahl-Kölner Curse. Seine Platten waren immer schon von einer intensiven Auseinandersetzung mit sich selbst und seiner Umwelt geprägt, wie nicht nur auf seinem aktuellen Album „Freiheit“, sondern auch auf seiner neuen Single „Wenn ich die Welt aus dir erschaffen könnte“ nachzuhören ist. „Wenn ich die Welt aus dir erschaffen könnte“:

Jetzt geht es los mit dem Rap Review Rendezvous und:

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Samy Deluxe - "Dis wo ich herkomm" jetzt.de: Wie ist denn deine allgemeine Einschätzung zum Album? Curse: Ich habe bereits hinter den Kulissen mitbekommen, in welche Richtung es sich bei ihm in letzter Zeit entwickelt hat, aber eingefleischte Samy-Fans dürfte die Platte sicherlich überraschen. Es sind sehr viele persönliche Geschichten drauf wie „Vatertag“ oder „Superheld“, auf denen er sich Schwächen eingesteht und Verletzlichkeit zeigt. Bisher hat er so etwas gemieden wie der Teufel das Weihwasser. Dennoch scheint die Platte auch darauf abzuzielen, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, weil sehr viele eingängige Hooks zu hören sind und viel gesungen wird. Insofern hat er auf der einen Seite das persönlichste Album seiner Karriere abgeliefert, auf der anderen Seite aber auch versucht, eine sehr kommerzielle Platte zu machen. Meiner Meinung nach hatte Samy in den letzten Jahren sehr an Relevanz eingebüßt. Zum einen fand ich ihn lyrisch nicht mehr so zwingend wie zu seinen Anfangszeiten, zum anderen war mir auch seine Attitüde zu oberflächlich. Wie beurteilst du denn seinen Wandel? Ich finde seine Entwicklung sehr positiv. Früher standen Samy und ich immer in direkter Konkurrenz zueinander, weil ich mir damals schon viele Gedanken um mich und die Welt gemacht habe, während Samy auf vielen Songs nur gebattlet hat. Meine Sachen waren ihm immer zu kopflastig. Mittlerweile hat bei ihm jedoch offensichtlich eine Annäherung stattgefunden, und das finde ich natürlich geil. Dieser Wandlungsprozess wird bei ihm aber sicherlich auch schon vor einigen Jahren stattgefunden haben, er hat ihn bloß noch nicht nach außen getragen. Schließlich ist er ein intelligenter Typ, der über sich und seine Umwelt heute natürlich anders denkt als noch vor zehn Jahren. Ich wünsche ihm auf jeden Fall, dass er für diesen Schritt mit Erfolg und positiven Reviews belohnt wird. „Superheld“

Auf Stücken wie „Superheld“ hat er auf Autotune zurückgegriffen. Was hältst du davon? Allgemein stehe ich schon auf Autotune-, Talkbox- und Vocoder-Effekte, aber auf „Dis wo ich herkomm“ hat mich das nicht so vom Hocker gerissen. Bei ihm ist das ja auch kein durchgängiges Style-Element wie bei T-Pain oder dem letzten Kanye-Album, so dass es der Platte etwas von ihrer Sound-Homogenität genommen hat. Es wäre einfach nicht nötig gewesen, zumal Samy ja auch singen kann, wie er an vielen anderen Stellen des Albums bewiesen hat. Samy musste ja ziemlich viel Kritik einstecken wegen einer Zeile aus „Dis wo ich herkomm“, in der es heißt: „Und wir haben keinen Nationalstolz/und das alles bloß wegen Adolf, ja toll/Schöne Scheiße, der Typ war doch eigentlich ’n Österreicher/Ich frag mich, „Was soll das?“, als wär’ ich Herbert Grönemeyer“. Kannst du den Wirbel darum nachvollziehen? Jein. Natürlich ist das kontrovers und wahrscheinlich auch nicht die intelligenteste Zeile des Stücks. Ich kann schon verstehen, warum sich die Medien darauf stürzen. Dennoch finde ich den Song insgesamt sehr geil, denn man muss so ein Stück auch immer im Gesamtkontext sehen und darf es nicht bloß auf eine Zeile reduzieren. Ich habe das Video auch in meinem Blog gepostet und dazu geschrieben: „Man kann jeden Satz diskutieren, muss aber jeden Satz respektieren.“ „Dis wo ich herkomm“:

Es scheint überhaupt sehr schwierig zu sein, im populärkulturellen Bereich über die Nazizeit und/oder Deutschland zu sprechen, ohne dafür sogleich kritisiert zu werden. Klar, man begibt sich da immer auf sehr dünnes Eis. Dennoch sollte man nicht immer alles schwarz sehen und auch kommunizieren können, dass es viele positive Dinge in Deutschland gibt. Es gibt ja auch viele Ausländer, die hierher gekommen und durchaus zufrieden sind. Damit sind wir ja auch schon direkt beim nächsten Album, denn auf dem Massiv-Album gibt es ebenfalls so ein Stück. Nächste Seite: Harte Worte für die neue von Massiv


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Massiv - "Meine Zeit" Was hältst du denn vom Song „Deutschland“, auf dem sich Massiv sehr positiv über die Bundesrepublik äußert? Ich finde ihn nicht so stark wie den Samy-Song. Aber Samy ist eben auch eine Erstliga-Lyricist. „Deutschland“:

Woher kommt denn plötzlich diese Wohlwollen dem eigenen Land gegenüber? Vielleicht liegt es daran, dass den dunklen Teil der deutschen Geschichte immer weniger Menschen am eigenen Leib miterlebt haben. Da findet gerade ein demografischer Wandel statt. In den Leben der Leute von heute ist das einfach nicht mehr so präsent, so dass diese geschichtlich geprägte Ablehnungshaltung womöglich weniger wird. Gefällt dir das Massiv-Album denn generell? Nein, nicht besonders. Von seinem ersten Album war ich damals positiv überrascht, aber „Meine Zeit“ hat mich nicht sonderlich gefesselt. Ich würde es vermutlich nicht noch ein zweites Mal hören. Dann war der Hype um ihn für dich damals also nachvollziehbar? Ich fand ihn immer schon vollkommen überbewertet. Meine Erwartungshaltung war damals extrem niedrig. Der hatte zwar einen zweiseitigen Artikel in der FAZ, aber noch nie ein Album gemacht. Dafür fand ich es dann am Ende gar nicht so schlimm. Die Beats waren ganz cool, das hatte einen durchgängigen Sound und hat für mich irgendwie Sinn gemacht. Aber das neue Album? Ich weiß nicht. Das kickt mich weder vom Rhyme-Style noch von den Inhalten oder den Beats. Das sind eben nur sauber produzierte Beats und einfache, nachvollziehbare Inhalte. Zwar ohne Ecken und Kanten, aber dafür so was wie Bushido in grün. Mir ist das zuwenig individuell. Guck dir doch mal die Großen in Deutschland an: Sido, Bushido, Savas, Sam, mich – wir sind alle total eigenständig. Und das ist das allerwichtigste, wenn du langfristig Erfolg haben willst. „King Of Rap“:

Aber in „King Of Rap“ stellt sich Massiv doch auf eine Stufe mit den Szene-Größen. Das ist für dich also vollkommen unberechtigt? Es gibt in Deutschland wahrscheinlich hundert MCs, die von sich sagen, sie seien die geilsten und rappen besser als alle anderen. Savas hat damals einen Song gemacht namens „King Of Rap“, der war fresh, der war neu, der war innovativ. Aber so ein Statement von Massiv lässt mich vollkommen kalt. Du fehlst bei seiner Aufzählung. Beleidigt? Nein, überhaupt nicht. Mir ist es viel wichtiger, wenn mir die Leute ein positives Feedback geben, die ich selbst als große MCs in Deutschland bezeichnen würde. Und wenn du jemanden wie Savas nach den besten Rappern in Deutschland fragst, wird er garantiert auch meinen Namen nennen. Einer von Massivs Songs heißt „Ich bin deutscher HipHop“. Wie sehr siehst du ihn als dessen Repräsentant? Massiv ist auf jeden Fall einer von denen, die das Bild von deutschem HipHop in den letzten Jahren medial sehr stark geprägt haben. Gar keine Frage. Sein ganzer Hype und der traurige Zwischenfall mit der Schussverletzung – das hat alles so hohe Wellen geschlagen, dass er mit Fug und Recht behaupten kann, dass er im deutschen HipHop medial gesehen eine der herausstechendsten Figuren der letzten Jahre gewesen ist. Aber musikalisch und textlich ist er das für mich nicht. Nächste Seite: Verkopftes auf der neuen "Immo"-Platte


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Immo - "Immoment" Immo ist ja seit jeher eine Ausnahmeerscheinung gewesen und musikalisch, stilistisch und inhaltlich immer schon zwischen den Welten geschwebt. Was hältst du von seinem Werk bisher? F.A.B. fand ich früher super, aber danach habe ich seine Karriere nicht mehr sonderlich intensiv mitverfolgt. Auf der einen Seite ist Immo auf eine gewisse Art genial, mir auf der anderen Seite aber immer ein bisschen zu freaky. Und zwar leider so, dass es mich nicht mehr berührt. Einige Songs auf seinem Album finde ich musikalisch grandios, unglaublich gut produziert und von den Gesangslines und Backup-Chören richtig nice. Aber inhaltlich ist das oft so verschachtelt, dass ich mich zu intensiv auf die Texte konzentrieren muss. Ich bin heilfroh, dass es Typen wie ihn gibt, aber ich würde niemals Zuhause sitzen und denken: Man, jetzt hab ich mal wieder Bock auf ’ne Immo-Platte. Ist das für dich noch HipHop? Der HipHop-Begriff hat sich in den letzten Jahren ja eh extrem erweitert und ausgedehnt, zumal es momentan auch sehr viele MCs gibt, die intensiv daran arbeiten – man nehme als Beispiel nur mal Kanye West. Immo ist für mich auf jeden Fall HipHop, aber mehr als nur Rap. HipHop ist aber eben auch kein feststehendes Haus mit vier Wänden, bei dem du entweder drinnen oder draußen bist. Das ist ein lebender Organismus, der sich mal ausdehnt und mal wieder zusammenzieht. Die Grenzen sind da nicht so klar definiert, und das ist auch gut so. In „In bin Ichist“ bezeichnet sich Immo als „Erbe der Scherben“ und rappt: „Ich mach kaputt, was mich kaputt macht“, wobei er sich dabei auf das bezieht, was HipHop derzeit für viele Leute zu sein scheint. Wie stehst du zu diesem „Mach kaputt, was dich kaputt macht“-Ding? Ich sehe das überhaupt nicht so, dass Immo HipHop kaputt macht. Im Gegenteil: Er erweitert das Spektrum. Da gibt es ganz andere Kandidaten, die mit ihren beschissenen Platten daran arbeiten, HipHop kleinzukriegen. Aber schaffen werden sie es trotzdem nicht. Mit „Das Gift“ hat Immo auch einen alten Song in einer neuen Version aufs Album gepackt, auf dem es um das Übel des Geldes geht – im Zuge der Finanzkrise durchaus wieder ein aktuelles Thema. Macht es deiner Meinung nach Sinn, so einen Song dann auch mal wieder neu zu beleben? Auf jeden Fall. Ich finde es sowieso sehr schade, dass ein Album in der heutigen Zeit eine Halbwertszeit von maximal sechs Monaten hat. Denn das bedeutet, dass einige Songs komplett untergehen. Du kannst von einem Album ja auch immer nur drei oder vier Singles machen, wenn du nicht gerade Britney Spears bist. Das heißt aber wiederum, dass es zehn andere Songs gibt, die zumindest nicht diese mediale Aufmerksamkeit finden, obwohl sie es verdient hätten, weitaus exponierter wahrgenommen zu werden. Und wenn man aus aktuellem Anlass dann einen Song noch mal auf so ein Album packt, macht das für mich absolut Sinn. „Das Gift“

Ein Altmeister wird auf der nächsten Seite durchgekaut: Joe Budden


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Joe Budden - "Padded Room" Mochtest du das Joe Budden-Album? Ich fand es ja eher durchwachsen. Ich fand es super und halte Joe Budden auch für einen der meist unterschätzten MCs überhaupt. Als er damals mit

um die Ecke kam, hatte der ja auch einen riesigen Hype. Aber da er ungefähr zur selben Zeit auf der Bildfläche erschienen ist wie 50 Cent, war das für Joe Budden leider ein sehr ungünstiger Zeitpunkt. Aber er hat sich nicht unterkriegen lassen und konstant geile Mixtapes rausgehauen. Der Typ hat eine Menge zu sagen, einen Hammer-Flow und eine geile Stimme – ich finde den sehr gut! „I Couldn’t Help It“

Joe Budden ist ja vor allem für seine sehr persönlichen Lyrics bekannt, ähnlich wie du. Siehst du zwischen dir und ihm weitere künstlerische Parallelen? Es gibt sicherlich einige Überschneidungen in unserem Ansatz, Texte zu schreiben. Vielleicht gefällt er mir auch deshalb so gut. „I Couldn’t Help It“ ist gleich bei mir hängengeblieben, auf dem er von der ungewollten Schwangerschaft seiner Freundin erzählt – ich steh’ auf solche Stories. Er pickt auch die richtigen Beats, so dass das auch auf emotionaler Ebene sehr gut harmoniert. Meine persönliche musikalische Ausrichtung ist jedoch eine ganz andere als seine. Joe Budden war immer mal wieder wegen irgendwelcher Streitigkeiten mit anderen Rappern im Gespräch wie mit Saigon oder Ransom. Auf einem meiner Lieblingssongs auf der Platte namens „Blood On The Wall“ schießt er gegen Prodigy von Mobb Deep. Was hältst du generell von diesen ständigen Beefs? Früher fand ich so etwas auch spannend, aber heute interessiert mich das nicht mehr. Wenn ich Zuhause Musik höre, dann will ich keine merkwürdigen HipHop-Soap-Operas vorgetragen bekommen, nach denen in ein paar Monaten eh kein Hahn mehr kräht. Das hat für mich keine anhaltende Relevanz. Den von dir angesprochenen Prodigy-Diss habe ich noch nicht einmal gehört. „Blood On The Wall“

Nächste Seite: C-N-N nehmen ausnahmsweise nicht im Knast auf


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Capone-N-Noreaga - "Channel 10" Bei C-N-N hören wir auch auf der ersten Single wieder ein Autotune. Aber du weißt ja auch, wie das in New York abläuft: „Yo, son – dat shit is hot! We gotta do some shit just like dat ’cause dat is on Hot 97 24 hours a day!“ Und dann gehen alle ins Studio und machen genau so ein Ding, obwohl deren Platten erst sechs Monate später rauskommen und das Thema dann schon wieder komplett durch ist. Leider gibt es immer nur ganz wenige Leute, die sich trauen, sich mal gegen den Trend zu bewegen. „Rotate“

Findest du es trotzdem gut, dass die Jungs von C-N-N nach acht Jahren mal wieder eine Platte zusammen gemacht haben? Absolut. Als 1997 das erste C-N-N-Album rauskam, war ich gerade in New York und habe Songs wie „Illegal Life“ und „Stick You“ zum ersten Mal in der Pete Rock & Marley Marl-Show auf Hot 97 gehört. Das hat mir wirklich den Kopf weggeblasen! Allerdings finde ich, dass Nore auf dem neuen Album ganz anders klingt als früher – ein bisschen wie LL Cool J. Allen Alben, über die wir geredet haben, ist eins gemein: Sie stammen von Künstlern, die erwachsen geworden sind. Auch bei C-N-N hört man, dass die sich dieses Mal wirklich Gedanken gemacht haben über Songkonzepte. Das war ja jetzt auch das erste Mal, dass die beiden eine Platte komplett gemeinsam aufgenommen haben. Bei den Alben davor musste Capone seine Parts ja teilweise übers Telefon einrappen, weil er im Knast saß. Ja, stimmt. Aber diese neue Arbeitsweise hat sich durchaus ausgezahlt. Dabei hatten Capone-N-Noreaga als Zielrichtung eigentlich ausgegeben, ein Hardcore-Album machen zu wollen. Klar, da sind auch ein paar Banger drauf, aber im Vergleich zu den vorherigen Alben finde ich „Channel 10“ sehr ruhig und erwachsen. Da hätte ich eher das Gegenteil behauptet. Ein Banger: „Grand Royal“

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert
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