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Was muss ich über Japan wissen, David Schumann?

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Du konntest schon Japanisch, bevor du dein Austauschjahr in Tokio begonnen hat – warum? Ich habe an der Universität in Köln Japanologie studiert und jeden Tag drei Stunden vier Semester lang die Sprache gelernt. Irgendwie war ich schon als Kind Fan von fernöstlichen Filmen und Serien, also damals war das noch Bruce Lee und so. Ist Japanisch so schwer zu lernen, wie man sich das vorstellt? Die Sprache ist eigentlich sehr regelmäßig, man muss eben vor allem die Schriftzeichen lernen, das ist die erste große Hürde. Aber wenn man das packt und mal die Regeln kennt, dann geht es irgendwann ziemlich einfach, aber klar, davor steht schon viel Lernerei. Am Anfang waren in meinem Kurs 80 Leute am Ende nur noch 30, das waren nur noch richtige Nerds – und ich. Die Typen, die wie ich wegen der japanischen Subkultur angefangen hatten, die waren alle weg. Ich glaube, ich habe das nur durchgehalten, weil ich schon ein wenig älter war, als ich mit dem Studium begonnen habe. Mir war auch von Anfang an klar, dass ich mal nach Tokio möchte und weil ich aus einer armen Familie komme, wusste ich, dass ich dazu gute Noten für ein Stipendium brauchte.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Das hat ja geklappt und du bist vor drei Jahren zum Studieren nach Tokio. Wie wurdest du aufgenommen? Ich habe anfangs nicht sehr schnell Fuß gefasst, sondern auch viel Zeit alleine und mit meinem Tagebuch verbracht. Das ist auch eines der großen Probleme, die ich mit Japan habe: Obwohl ich heute dort fest lebe, arbeite und fließend Japanisch spreche, bin ich nicht integriert. Meine Bekannten und Freunde sagen immer noch „Mein Ausländerfreund David“ wenn sie mich vorstellen. Insgesamt ist die Gesellschaft ziemlich abgeschottet, typisch für einen Inselstaat. Es gibt auch einen eigenen Begriff dafür, ein Schriftzeichen das ungefähr „Land“ und „Verschließen“ bedeutet. Eines deiner Lieblingsthemen im Tagebuch sind die japanischen Mädchen, das war irgendwie schwierig, oder? Ja, mit den Frauen hatte ich ziemlich lange Pech. Ich habe mich ja wirklich oft verliebt, aber es war jedes Mal wie verhext. Wir hatten ein paar nette Dates und dann verschwanden die Mädchen oder wurden total unnahbar oder hatten auf einmal schon einen festen Freund. Irgendwas habe ich falsch gemacht, ich bin jedenfalls das erste Jahr fast nie über den Kumpel-Status rausgekommen. Sind japanische Mädchen vielleicht einfach sehr vorsichtig und zurückhaltend? Das ist so ein seltsam zweigeteiltes Thema. Einerseits wird in der japanischen Gesellschaft so gut wie nie über Sex gesprochen, es ist in der Öffentlichkeit immer noch ein ziemliches Tabu und es gibt eben auch sehr schüchterne Mädchen, die fest daraufhin erzogen wurden, mit 25 zu heiraten. Und dann hat man auf der anderen Seite diese Schulmädchen, die sich mit Geschäftsleuten einlassen, übrigens muss es dabei gar nicht immer um Sex gehen. Außerdem wird sehr locker mit käuflicher Liebe umgegangen, jeder meiner japanischen Freunde zum Beispiel war schon mal in einem Bordell, das gehört für die Männer dort dazu und viele machen es regelmäßig, sogar wenn sie in Beziehungen sind. Ziemlich üblich ist es auch, sich Frauen für einen Abend zum Weggehen zu mieten, die haben dann schöne Kleider an und gehen nur so mit zum Trinken. Über das Trinken und Feiern in Japan lernt man in deinem Buch am meisten, du warst ja fast jeden Abend unterwegs, oder? Alkohol und Ausgehen habe ich tatsächlich ziemlich bald als wesentliche Bestandteile der japanischen Kultur erlebt. Man wird sehr selten zu jemandem nach Hause eingeladen, stattdessen trifft man sich abends irgendwo und trinkt dann zusammen. Fast überall gibt es dabei das All-you-can-drink-Prinzip, was natürlich verheerend ist. Das habe ich dann irgendwann jeden Abend gemacht. In vielen Firmen wird auch kollektiv nach der Arbeit zum Saufen gegangen, so richtig Chef und Angestellte miteinander, das hat nicht Ehrenrühriges. Du hast ja in Köln schon in einer Hardcore-Band gespielt und auch in Tokio bald Bands gehabt, wie hast du die Musikszene dort erlebt? Also, Japaner waren schon immer sehr gut im Assimilieren. Zum Beispiel R’n’B ist ja wirklich nichts japanisches, der Style wird dort aber sehr breitflächig kopiert, nur eben nicht zu 100 Prozent sondern irgendwie so, dass auch noch etwas Eigenes dabei entsteht. Diese Mischstyles sind so eine Art originärer Ansatz der Musikszene. Viele Japaner orientieren sich in Richtung USA, gerade was Musik angeht. Das ist schon lustig, die lernen dann einfach erstmal alles auswendig und haben ein wirklich perfektes Wissen. Meine Freunde aus der Punk- und Hardcore-Szene kannten zum Beispiel jede Platte die auf Epitaph erschienen ist in der richtigen Reihenfolge. Bei Punk ist das auch so eine Sache, sie verstehen die äußere Form und beherschen die Posen, aber sie interessieren sich überhaupt nicht für das, wofür Punk eigentlich steht. Sondern covern einfach nur? Genau. In jeder Uni gibt es so eine Art AG, in der sich alle Leute tummeln, die Lust auf Bandmusik haben. Einmal im Monat veranstalten sie ein sogenanntes „minikon“, das sind dann Konzertabende, wo die Leute in verschiedenen Gruppen nur Coversongs spielen. Die einen machen auf Green Day, die anderen auf Linkin Park, jede Band spielt die drei Lieder, die sie einstudiert hat, dann kommt die nächste. Das ist irgendwie auch unheimlich lustig. Eine eigene japanische Avantgarde findet man eher bei der elektronischen Musik.


Zum Saufen gehörte bei dir auch immer Karaoke. Das Singen macht einfach wahninnig viel Spaß, es ist ein sehr guter Stressabbau und die perfekte Abendgestaltung: Du betrinkst dich mit deinen Kumpels in einer eigenen Karaoke-Box, kannst dich gehen lassen wie du willst und für jede Situation und Stimmung gibt es den passenden Song. Diese Geräte da haben 100.000 Songs zur Auswahl, jede Woche werden sie aktualisiert. Viele Japaner sind beim Singen verteufelt gut. Wer gar nicht singen kann, sollte es am Anfang mal mit Beastie Boys probieren, Rappen geht immer. An einer Stelle schreibst du, dass dir der Film „Lost in Translation“ überhaupt nicht gefallen hat. Dabei wirken manche deiner Erlebnisse, gerade die Model-Shootings, sehr ähnlich. Mich hat daran gestört, dass Sophia Coppola die Japaner nur sehr stereotyp präsentiert und sich mit der Oberfläche vollkommen begnügt. Irgendwie hatte ich von ihr mehr erwartet und diese Einseitigkeit wurde in keiner Rezension erwähnt. Klar, ist das ein netter Film, genau wie „Breakfast at Tiffany's“ nett ist, wo der asiatische Mieter eben auch ziemlich rassistisch dargestellt ist, mit seinen aufgeklebten Hasenzähnen. Die eine Hälfte der Japaner lehnt „Lost in Translation“ genau deswegen ab, die andere findet es toll, dass überhaupt ein Hollywood-Hit in Japan spielt. Was gefällt dir in Japan nicht so gut? Es gibt dort nur ein sehr geringes Level an politischem Diskurs, es findet kein gesellschaftlicher Dialog statt, wie man ihn aus Deutschland einfach gewohnt ist. Es gibt keine richtigen Gewerkschaften und wenn man die Menschen fragt, sagen sie immer, die Regierung macht alles richtig. Die Wahlbeteiligung ist auch sehr niedrig. Sind die Japaner stolz auf ihr Land? Insgesamt geht es einigermaßen nationalistisch zu. Manchmal ersetze ich auf den Plakaten und Slogans das Wort Japan durch Deutschland, das klingt dann schon ziemlich grauenvoll. Gleichzeitig gibt es dort einen Komplex, der Zweite Weltkrieg wurde nie richtig aufgearbeitet. Wenn ich mit meinen Studentenkollegen darüber gesprochen habe, dass Japan auch einen Angriffskrieg geführt hat und für fürchterliche Kriegsverbrechen verantwortlich war, dann wissen sie das einfach nicht. Sie sehen sich nur als Opfer der Amerikaner. Journalisten sind in Japan übrigens in den meisten Fällen bei den Firmen angestellt, über die sie schreiben, also ein Autojournalist kriegt sein Geld von Toyota. Das ist auch etwas beunruhigend. Trotzdem bist du nach deinem Studienjahr dort geblieben und arbeitest weiterhin als Model. Warum? Ich mag meine Freunde und vor allem die Frauen, die sind etwas ganz Besonderes. Das ist irgendwie meine Prägung, das habe ich schon vor meinem Aufenthalt gewusst. Und ehrlich gesagt mag ich dieses Lotterleben, das ich dort führen kann, weil man einfach jeden Abend unproblematisch feiern gehen kann, das Partymachen ist wirklich um Längen exzessiver. Du modelst dort jetzt schon seit einigen Jahren sehr erfolgreich und für die großen Firmen, stimmt es, dass deine Tattoos und die hellen Haare die Gründe dafür sind? Im Gegenteil, die Tattoos kosten mich oft gute Jobs, weil gerade die Luxusfirmen eben keine tätowierten Arme haben wollen. Ich glaube, ich schlage mich ganz gut, weil ich ziemlich viele Typen darstellen kann, Emo-Look genauso wie Erwachsen und sogar seriös. Du hast auf den Laufstegen Sachen von Gucci und Prada vorgeführt, auf deinen Fotos sieht man dich aber immer nur mit Kapuzenpulli oder Band-T-Shirt. Das mit der Haute Couture lässt dich völlig kalt oder? Total, ich identifiziere mich gar nicht über meine Anziehsachen. Und was ich da zum Teil bei den Shootings für Zeug anziehen muss, ist echt unfassbar bescheuert. Wie geht es denn jetzt für dich weiter? Momentan läuft es noch recht perfekt, ich habe so drei bis vier Jobs im Monat, das Geld ist nicht höllisch viel, aber ich kann davon in Tokio leben und mich weiterhin ein bisschen durch die Tage treiben lassen. Das ist für mich schon ein ziemlich idealer Zustand. Ich hoffe, dass ich das noch zwei bis drei Jahre machen kann und dann könnte ich mir zum Beispiel eine Stelle als Übersetzer gut vorstellen. Und ein weiteres Japan-Buch würde ich auch gerne machen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

"The Tokyo Diaries" von David Schumann ist im Rockbuch Verlag erschienen.

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