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Ramona und Stephane - Schwarzwälder Kirschtorte

Text: klinsmaus
Ramona seufzte. Sie hatte vier Stunden und fünfundfünzig Minuten mit der Deutschen Bahn hinter sich, war fünfmal in ganz Bayern umgestiegen. Und Schluckas schaffte es nicht einmal, sie halbwegs pünktlich am Bahnhof abzuholen.



Vermutlich hatte ihr doofer Bruder die ganze Nacht mit seinen beknackten Kumpels im Stall gesessen, Death Metal gehört und mit Wodka Red Bull experimentiert. (Mit einem Ghettoblaster war es ein Leichtes, das Brüllen der gestressten Kälbchen zu übertönen. Nur wenn die Deppen dann auch noch den Milchkühen Äpfel vom Horn schießen mussten, wurde es grenzwertig. Zum Glück hatte Papa da ein Machtwort gesprochen.) Jetzt lag die Bande sicher im Heu und ratzte, was das Zeug hielt.



Dabei war es schon halb drei!



Ramona wurde langsam ungeduldig. Dass ihr kleiner Bruder so sein Abi nicht schaffen würde, war ihr ziemlich egal. Er würde eh den Hof erben. Ihre Füße dagegen froren schon langsam am Bahnsteig fest. Mit dem Winter im Allgäu war nicht zu spaßen. Vor zwanzig Minuten hatte sie sich noch auf Daheim gefreut.



Sie hatte an Apfelküchle gedacht, und an die Schwarzwälder Kirschtorte, die ihre Mutter immer machte, wenn d' Tochter nach Kempten kam. An Dschieeses, ihren Lieblingsbock, den sie mit der Pfarrjugend spaßeshalber mit echtem Weihwasser getauft hatte (wobei ein Exorzismus wohl mehr gebracht hätte – das Vieh war ganz wild drauf, jeden Passanten aufzuspießen oder es zumindest nachdrücklichst zu versuchen). An die kleine Hanfpflanzung, die Schluckas und sie im Maislabyrinth vom Huberbauern angelegt hatten (wie gerne hätte Ramona jetzt darauf zurückgegriffen). Und an Fonsi, ihren Verehrer seit der siebten Klasse, den Ramona diesen Winter endlich einmal erhören wollte (sie musste schließlich dringend für das wilde Studentenleben üben).



Von der ganzen Vorfreude war nun nichts mehr übrig. Ramona, die noch nicht einmal Zigaretten dabeihatte, spürte ihre Finger absterben und wie eine Blasenzündung von ihrem Unterleib Besitz ergriff.



Als Schluckas schließlich kam, grinste er so debil, dass Ramona instinktiv sein Gesicht packte. Seine Pupillen waren groß. Ramona schlug ihn ins Gesicht. Schluckas grinste immer noch.



„Gib mir die Autoschlüssel! SOFORT!“



Schluckas kramte so langsam in seiner Hosentasche, dass Ramona ihn hätte schütteln mögen. Tatsächlich atmete sie tief durch, packte ihren nichtsnutzigen Bruder in das Auto, schnallte ihn an und hielt ihn davon ab, sie zu umarmen. Sie setzte ihm eine sehr dunkle Sonnenbrille auf und bugsierte ihn auf Schleichwegen durch Kempten. Dann atmete sie noch einmal tief durch, trug ihren Bruder, der ihr erzählte, dass er sich wie ein Plüschtier fühle, aus dem Auto und sperrte ihn in den Getränkekeller. Anders ging es nicht. Schluckas würde sonst alles kaputtmachen.



Ramona ging ins Haupthaus. Sie umarmte ihre Eltern, knuddelte den Kater und half beim Kochen. Sie machte ihre Post auf, rief bei der Pfarrjugend durch und aß ein großes Stück Schwarzwälder Kirschtorte.



Endlich fühlte sie sich wie daheim.

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