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Nina (19) Auszubildende Gesundheits- und Krankenpflegerin, Bamberg "Im Oktober 2009 werde ich meine Ausbildung zur Krankenschwester beenden. Die Aussichten auf eine Übernahme stehen für mich und die anderen 29 Azubis aber mehr als schlecht. Wir wissen derzeit nicht mal, ob überhaupt jemand bleiben kann. Letztes Jahr waren es gerade einmal fünf. Ich habe mich schon darauf eingestellt, dass ich meine erste Stelle woanders antreten werde. Jedenfalls bewerbe ich mich deutschlandweit, anders geht es nicht. Wenn alle Stricke reißen, würde ich auch ins Ausland gehen. Lieber hätte ich davor aber mindestens zwei Jahre Berufserfahrung in Deutschland gesammelt. Als Übergangslösung könnte ich es auch in Altenheimen oder Sozialstationen versuchen. Bis jetzt bin ich aber noch recht hoffnungsvoll und zuversichtlich, da ich gute Noten vorweisen kann und im Vergleich zu anderen auch bereit bin, in eine andere Stadt zu ziehen. Aber mal abwarten, wie's mir geht, wenn ich die erste Absage in Händen halte." Auf der nächsten Seite erzählt Simon, wie es sich anfühlt, wenn man gekündigt wird.


Simon (30) ehemaliger Teamleiter im Key-Account Management bei einem großen Mobilitätsdienstleister, München "Der Anfang vom beruflichen Ende war ein Montag im Juli mit einer Termineinladung vom Personalchef. Ich erhielt sie eine halbe Stunde vor Terminbeginn. Im Büro des Personalchefs saß bereits mein direkter Vorgesetzter. Nach einer knappen Begrüßung kam der Personalchef gleich zum Punkt und verkündete: "Wir müssen sie leider ab sofort freistellen." Er begründete dies mit Personalkosteneinsparungen und Unternehmensberatung. Es folgte ein Abfindungsangebot, mit der Bemerkung, dass dieses Angebot nur bis Ende der Woche gültig sei. Nach nicht einmal 30 Minuten fand ich mich in meinem Büro und am Ende meiner 8-jährigen Betriebszugehörigkeit wieder und begann meine persönlichen Sachen zu packen. Mein E-Mail-Account war bereits gesperrt. Parallel zu meinem Gespräch hatte man meine Abteilung über meine Freistellung informiert. Während ich aufräumte, kam mein Team in die Tür, einige hatten Tränen in den Augen - das war der schlimmste Moment in meinem bisherigen Berufsleben. Völlig durcheinander stieg in meinen erst vier Wochen alten Dienstwagen und fuhr nach Hause. Beim nächsten Termin mit dem Personalchef wurde noch einmal versucht, das Abfindungsangebot attraktiv zu verkaufen und mit einigen Paragraphen etwas Druck auf mich auszuüben. Da ich mit dem Anwalt bereits meine Verhaltensweise abgestimmt hatte, ließ ich mich davon nicht einschüchtern. Ich brachte meine Vorstellungen klar zu Ausdruck, es kam wie zu erwarten zu keiner Einigung. Ab diesem Zeitpunkt lief die Kommunikation mit meinem ehemaligen Arbeitgeber ausschließlich über meinen Anwalt. Innerhalb von sechs Wochen war alles geklärt, meine gewünschte Forderung durchgesetzt, ich wurde bis Ende des Jahres freigestellt und normal weiter bezahlt, zusätzlich habe ich eine Abfindung erhalten. Wir haben uns außergerichtlich geeinigt, dennoch habe ich rein formal geklagt, um keine Sperre für das Arbeitslosengeld zu erhalten. Nach einem langen Sommer mit viel Freizeit und gutem Wetter rief mich ein Freund an, der mir von einer Gelegenheit erzählte, sich selbstständig zu machen. Es geht um einen bereits gut laufenden Gastronomiebetrieb in guter Lage, den wir für einen fairen Preis übernehmen könnten. Ich war sofort von der Idee und Chance fasziniert, mich in einer neuen Branche selbstständig zu machen. Startschuss ist der 1. April. Ich freue mich auf die neue Herausforderung." Max arbeitete an der Wall Street. Bis die Krise kam. Mehr auf der nächsten Seite.
Max (32), arbeitete bis Ende Januar für einen Investmentfond in New York "Ende September 2008, mit dem Ende von Lehman Brothers habe ich gemerkt, dass die Krise auch mich treffen könnte. Wenn die Regierung so ein Haus Pleite gehen lässt, da weiß man, dass es schlimmer wird, als alles Bisherige. Meine Entlassung Ende Januar war sehr amerikanisch. Ich wurde um elf Uhr zum Gespräch gebeten, nach einer halben Stunde kam ich mit einem Aufhebungsvertrag raus. Da war mein Computer schon gesperrt, der Blackberry hatte sich rebootet und es standen Kisten auf meinem Schreibtisch; zum Packen hatte ich eine halbe Stunde Zeit. Die Entlassung kam für mich nicht wirklich überraschend. Und ich kann sie dem Unternehmen auch nicht verübeln. Wenn ich in ihrer Lage wäre, dann würde ich das auch tun. Angestellte verursachen Kosten und die muss man jetzt niedrig halten. In New York merkt man die Krise überall. In den Nachrichten ist es das Thema Nummer eins, alle reden darüber und die Leute schränken sich deutlich ein. Sie gehen nicht mehr essen, bringen ihre Kleider nicht mehr in die Wäscherei und bestellen nicht mehr so viel bei Bringdiensten. Und das ist das eigentliche Problem. Ein Banker hat ein finanzielles Polster und kann sich eine Weile einschränken, aber jemand, der jede Nacht Essen mit dem Fahrrad austrägt, ist viel direkter betroffen. Es gibt auch Befürchtungen, dass die Kriminalität in New York wieder stark anwachsen wird und dass Viertel, die sich gerade entwickelt hatten, wieder verkommen. Die Kündigung bedeutet für mich und meine Familie, dass wir zusehen müssen, die Kosten zu senken. Konkret heißt das: Wir ziehen von New York nach Deutschland, weil die Mieten hier so extrem hoch sind. Außerdem habe ich dort Ruhe, nach etwas Neuem zu suchen. Und ehrlich gesagt freue ich mich sogar. Ich kann endlich viel Zeit mit meinem Sohn verbringen, Wandern gehen, Zeit in der Natur verbringen. All die Dinge, die ich in New York vermisst habe. Seit wir beschlossen haben, zurückzugehen, haben wir extrem viel zu tun. Wir müssen packen, uns um die Post kümmern, in der Zwischenzeit muss ich meine Kontakte pflegen, damit ich den Anschluss nicht verliere. Insofern habe ich auch noch keine Zeit gehabt, mich mit der Situation auseinanderzusetzen. Für die Zukunft bin ich zuversichtlich. Aus jeder Krise ergeben sich Möglichkeiten. Allerdings glaube ich, dass die Talfahrt noch länger dauern wird, als die meisten denken. Wer jetzt sein Studium beendet, sieht eine Berufswelt vor sich, die nicht schön ist, wie Christian feststellt - auf der nächsten Seite.
Christian (27), hat gerade sein Studium beendet "Neulich während meines Praktikums beim Magazin einer großen Tageszeitung: Themenkonferenz, es geht um die Krise. Wer sind eigentlich die größten Verlierer, fragen wir uns. Ich hebe die Hand. "Ich", sage ich, und alle lachen, als hätte ich einen Witz gemacht. Habe ich aber nicht. Neben den Opfern des Stellenabbaus sind die Verlierer der Krise diejenigen, die jetzt ins Berufsleben einsteigen. Oder besser: gerne einsteigen würden. Denn man findet schwer einen Job, wenn überall nur entlassen wird. Ich habe im vergangenen Sommer mein Studium abgeschlossen. Danach wollte ich als freier Journalist arbeiten und nebenbei Bewerbungen für einen festen Job schreiben. Kein schlechter Plan eigentlich, nur der Zeitpunkt war denkbar schlecht. Nahezu täglich brachten die Medienseiten neue Hiobsschlagzeilen: Gruner & Jahr legt Wirtschaftsredaktionen zusammen. FAZ verhängt Einstellungsstopp. WAZ-Gruppe kürzt 300 Stellen. Mexikanischer Milliardär muss die New York Times retten. Vanity Fair Deutschland eingestellt. Wenn man sich zum Einstieg ins Berufsleben selbstständig macht, gibt es ohnehin genug Unwägbarkeiten, die eine latente Angst immer wieder an der Tür des eigenen Gemüts anklopfen lassen. Aber solche Schlagzeilen bitten die Angst herein und geben ihr eine Trillerpfeife, damit sie sich besser bemerkbar machen kann. Da ist dann auch nebensächlich, dass es mir objektiv betrachtet gut geht: Ich habe genug Aufträge, ich kann Miete und Essen zahlen, am Wochenende ausgehen und einen Urlaub planen. Aber wie lange wird das so bleiben, wenn immer mehr Journalisten auf der Straße stehen und als Freie um Aufträge konkurrieren? Triller, triller, da ist sie wieder, die Pfeife. Die Hoffnung, in absehbarer Zeit eine feste Anstellung zu bekommen, habe ich aufgegeben. Überhaupt sind meine Ansprüche den Aktienkursen gleich in den Keller gefolgt. Ich nehme jeden Auftrag an, den ich kriegen kann. Wir Berufseinsteiger werden in eine Arbeitswelt hineinsozialisiert, in der man über alles froh zu sein hat. Nach den Bedingungen fragt man kaum noch. Wenn ich Witze mache, klingt das anders." Wie fühlt sich die Krise an, wenn man noch zur Schule geht? Auf der nächsten Seite gibt die 15-jährige Alina eine Antwort.
Alina Schoenfeld, 15, besucht eine Münchner Realschule. Letzte Woche machte sie ein einwöchiges Schnupperpraktikum in der jetzt.de-Redaktion. Hier ihr Blick auf die Finanzkrise. Seit letztem Jahr hört man fast täglich Schreckensmeldungen über Menschen, die ihre Arbeitsstelle oder ihren Ausbildungsplatz verloren haben oder beurlaubt werden. Was die Medien allerdings herzlich wenig beachten, sind die Folgen für die nächste Generation. Schon Schüler bekommen heute immer mehr von den Arbeitslosenzahlen, den Quoten für das kommende Quartal und andere Hiobsbotschaften mit. Sie bekommen ständig zu hören, dass es immer schwieriger wird, eine Ausbildungsstelle zu bekommen. Das kann Angst machen und entmutigen. Man hat das Gefühl, nicht wirklich gebraucht zu werden. Ich selbst bin 15 Jahre alt und gehe auf eine Münchner Realschule. Ich mache mir zwar keine fürchterlichen Sorgen über die Wirtschaftkrise, aber ich denke häufig darüber nach, wie meine Zukunft aussehen soll. Ich überlege, wie mich die Krise beeinflussen wird und mache mir Gedanken darüber, was ich tun kann, um meine Chancen auf eine gesicherte Zukunft zu erhöhen. Ein paar von meinen Klassenkameradinnen und Klassenkameraden denken genauso, wenn nicht sogar noch mehr und noch schärfer über das alles nach. Eine Freundin von mir zum Beispiel hat seit Beginn der Wirtschaftkrise schon öfter ihren Berufswunsch geändert. Sie wollte zuerst eine Banklehre machen; dann wollte sie Autodesignerin werden; daraus wurde der Wunschberuf Mechatronikerin und jetzt ist sie bei „Elektronikerin für Betriebstechnik“ gelandet. Und das alles nur, weil sie hofft, dass sie dadurch nach ihrer Schulzeit auch tatsächlich einmal einen Ausbildungsplatz findet. Das ist meiner Meinung nach etwas übertrieben und ich weiß nicht, ob es richtig ist, sein Leben und seine Wünsche nur zu ändern, weil man sich Sorgen um die Zukunft macht. So sieht es aber ein Teil der Schüler: „Lieber jetzt noch mal schnell alles ändern, so dass man sich später nicht so sehr anstrengen muss um eine guten Arbeitsstelle zu bekommen.“ Ein anderer – der größere – Teil meiner Mitschüler wiederum geht genau ins andere Extrem. Die halten alles für einen Witz. Sie wissen zwar, dass ein guter Beruf eines der wichtigsten Dinge für die Zukunft ist und wollen das auch erreichen. Aber viele denken, dass sich das alles schon ergeben wird und dass sie noch Zeit haben. Das ist meiner Meinung nach eine falsche Ansicht! Ich glaube, man muss immer früher für sein Leben planen. Ich habe auch das Gefühl, dass wir immer mehr in Konkurrenz zueinander stehen. Mir kommt es so vor, als würden wir uns nicht mehr für andere freuen können. Dass wir immer nur darauf bedacht sind, besser als alle anderen zu sein. Das ist ja eigentlich nicht völlig verkehrt, wenn es dann aber zu extrem wird, ist es auch nicht mehr ganz richtig. Jetzt in der Wirtschaftkrise wird dieses Denken nur noch mehr bestärkt! Wir haben immer im Hinterkopf, dass, wenn die anderen irgendwo besser sind als wir selbst, gleich alles gelaufen ist. Aus meinem Bekanntenkreis ist bisher nur eine Familie von der Krise betroffen. Aber gerade die betroffenen Kinder wissen am wenigsten über die Wirtschaftskrise bescheid. Aber gerade sie sollten mit ihren Eltern, Lehrern oder wenigstens ihren Freunden darüber reden. Dann wüssten sie besser bescheid und andere könnten vielleicht besser verstehen, welche Folgen die Krise für die Betroffenen haben kann. Und ich denke, dass Kommunikation in Krisenzeiten am wichtigsten ist.

Text: jetzt-redaktion - Protokolle: Alice Peterhänsel, Christina Waechter, Christian Helten, Alina Schoenfelder; Illustration: Katharina Bitzl

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