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Denn sie wissen nicht was sie sehen.

Text: Streetlight
Puh noch einmal geschafft. Die Dame an der Kasse drückt mir die letzte noch freie Karte in die Hand und während der Kartenabreisser mir noch hastig viel Glück wünscht betrete ich das Kino und stelle mich der allwöchentlichen Gefahr. Gefahr? Im Kino? Und überhaupt: Warum sollte man jemandem hier „Viel Glück“ wünschen?



Bei dieser Art von Kino braucht einen das nicht zu wundern. Jeden Mittwoch drückt sich im Erdinger Kino ein ganzer Saal zeitgleich selbst die Daumen. In den nächsten Minuten entscheidet sich ob man in den Genuss eines tollen Films kommt, oder wieder einmal lediglich seine Zeit verschwendet hat. In der SNEAK-Preview im Erdinger Lichtspielberg Kino wird dem experimentierfreudigen Kinobesucher wöchentlich zu moderaten Preisen ein cineastisches Überraschungspaket geboten. Oft sieht man hier Filme lange bevor sie regulär ins Kino kommen, falls sie das überhaupt tun. Insbesondere kleinere Independent-Streifen oder Kunstfilme werden gerne gezeigt. Auf diese Art wir man auch oft auch von Filmen überrascht, in die man sich sonst nicht im Traum gewagt hätte.



Als ich an meinen Platz angelangt bin fängt die Verlosung gerade an. Zu gewinnen gibt es die verschiedensten Arten von Filmmerchandise, hauptsächlich Poster. André, der Moderator, schnappt sich gerade jemanden aus der ersten Reihe und verdonnert ihn dazu Losgnom zu spielen, während ich es mir in meinem Stuhl gemütlich mache.



Nacheinander werden die Gewinner anhand der abgerissen Kartenstreifen aus einem Popcorn-Becher gezogen. Leider habe ich wie immer kein Glück, aber das ist nicht allzu tragisch. Ich hätte sowieso keine Verwendung für ein drei auf drei Meter Poster von diesem kleinen, blechernen Hausmeister-Roboter namens Wall-E. Anschließend werden die Kommentare zum Film der letzten Woche vorgelesen. Das ganze reicht von Beschwerden über inhaltslose Dialoge, Lob für die Kameraführung bis hin zu „Film war scheiße, keine Ninjas, aber wenigstens war die Losfee sexy“.



Nachdem die Lichter ausgehen wird es ruhig im Saal. Was jetzt kommt weis noch keiner so genau. Als der Film anfängt, und in großen, pinkfarbenen Lettern „Shopaholic“ auf der Leinwand prangt, jauchzen zwei wasserstoffblonde Teenies zwei Reihen hinter mir entzückt auf. Der Kerl in der Lederjacke neben mir öffnet nach einem tiefen Seufzer sein Dosenbier, das er unbemerkt in seinem Motorradhelm mit herein geschmuggelt hat, und genehmigt sich einen tiefen Schluck daraus. Na toll denke ich mir, eigentlich ein Film der mehr als untypisch ist für die Sneak-Preview. Einige verlassen zwar sofort das Kino, aber daran ist für mich erst gar nicht zu denken. Jetzt sofort zu gehen würde einer Fahnenflucht gleich kommen.



Eine Jumbopackung Popcorn später steht der ganze Saal draußen und füllt die Bewertungsbögen aus. Es wird heftig über die Qualität von „Shopaholic“ diskutiert. Dabei spaltet sich die Menge auf in die Kritiker, für die der Film lediglich einmal wieder die typische Klischeehaftigkeit, Banalität und Einfallslosigkeit eines 0815 Hollywoodstreifens zeigt, während die Befürworter dem zwar zustimmen, allerdings den Humor des Films beschützend entgegenhalten.



Letzten Endes sehen sich jedoch alle nächste Woche wieder. Die Suchtgefahr bei der Sneak-Preview ist groß.




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