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Neues Leben Mit Kleinen Helden - Winter Wonderland

Text: cerealmom
Winter Wondeland



Weihnachten steht vor der Tür! Mein Ehegatte und Herr Papa kommt aus Hongkong, um mit seiner Familie besinnliche Tage zu erleben.

Die Besinnlichkeit begann bei mir schon heute. Mit Logistik für Fortgeschrittene. Ich muss ja zwecks Treffen und Feiern aus dem Asyl wieder nach Hause.

Hat jemand da draußen eine Vorstellung, was es bedeutet für eine Mutter mit zwei Kindern die Koffer zu packen? Un-be-schreib-lich.

Nachdem ich den ganzen unverzichtbaren Krempel endlich verstaut habe, ist unsere Familienkutsche randvoll und ich völlig bedient. Dabei bin ich noch nicht einmal losgefahren!

Fröhliche Weihnachten…



Anfang Januar, der Herr Gemahl ist abgereist, ich bin mit Sack und Pack und Fix und Foxi wieder im Asyl. Auf dem Weg dorthin habe ich einen Freundinnenbesuch und zwei Arztbesuche geplant, die anders schlecht erledigt werden können. 12.30 Uhr Frauenarzt, gucken ob die Rückbildung schon befriedigend fortgeschritten ist oder ob man immer noch eine Salami in den Hausflur schmeißen kann, 14.30 Uhr U3 für den kleinen Super-Ivi.



OK, nun begab es sich jedoch in der Nacht zuvor, dass Frau Holle ihre Plümos über unserer schönen Mutter Erde ausgeschüttelt und uns 15 cm Neuschnee beschert hat. Herrlich! Ich bin ja nicht so eine Wetter-Motzerin, der keine Witterung recht ist. Und Neuschnee, der liegen bleibt und unter strahlend blauem Himmel in der Sonne glitzert…das ist schon was sehr, sehr Feines.

Wo hingegen dabei ein Auto einzuladen etwas sehr, sehr Unfeines ist. Zum Glück ist Vitos Perle von einer Kinderfrau da und beschäftigt jenen, während mein anderer Knilch schlummert. So kann ich mich erfreulicher Weise ohne Kind am Hals oder Bein sechs mal durch den Schnee kämpfen, bis der Karren voll ist. Puh Hu, geschafft! Jetzt nur noch Ivan gewickelt und ins Tragetuch gepackt, denke ich bei mir, während ich meine Rekordzeit bewundere, in der ich uns Reisefertig gemacht habe. Als ich Ivan hochnehme, offenbart sich ein großer Fleck da wo eben noch das Kindlein lag. Vollgestrullert bis zum Anschlag! Haha, aus ist es mit der Rekordzeit. Also Kind ausziehen, Klamotten irgendwoher zusammenklauben, schließlich ist ja eigentlich schon alles im Koffer, aber uneigentlich hat eine gute Butter immer noch das eine oder andere Outfit in petto. Kind wieder angezogen und fertig. Zum Glück ist Vito in der Küche bei Silvia und auch von eben dieser angekleidet worden, sonst wäre langsam Schluss mit lustig.

End-lich im Auto… über die Schneedecke kriechen wir zu Silke, die sich schon nicht mehr wundert, dass aus unserem Kurzbesuch nur noch so eine Art Pinkelpause übrig geblieben ist, wir müssen nach 15 min. schon wieder los, da der Onkel Doktor wartet.



Nach dem Termin haben wir eine Stunde, die ich zur Nahrungsaufnahme nutzen will. Vor der Tür türmen sich Schneeberge, die Bürgersteige sind nur teilweise geräumt, Vito an meiner Hand lässt sich immer wieder mit Wonne in den Schnee fallen und ich versuche derweil mit Ivan im Tragetuch das Gleichgewicht zu halten und uns einen Weg durch Sibirien zu bahnen.

Die einzige Gastronomie in der Nähe, so eine Art Kneipen-Bistro, heißt “Klarsicht” und schon beim Eintreten hätte ich stutzig werden können und sollen. Die griesgrämige Omi hinter der Bar beäugt mich und meine Karawane misstrauisch, während ich uns einen Platz suche. Auf dem Weg dorthin schnappt Vito sich so ein unscharfes Besteckmesser von einem Tisch und hantiert damit herum. Völlig unbedenklich in meinen Augen. Omi sieht das anders und entwendet ihm das Messer, während sie uns die Karte an den Tisch bringt. Ich fühle mich in meiner Autorität untergraben, nehme wiederum ihr das Messer ab und händige es meinem Sohn aus. “Der kann damit umgehen!”, sage ich lächelnd. Verdutzt guckt sie, verkneift sich aber einen Kommentar. Der kalte Krieg ist dennoch ausgebrochen. Wir nehmen den Vorspeisenteller auf dem sich laut Karte exotisches, wie Steinpilzpolenta, Garnelen im Teigmantel mit Preisselbeersauce, Käse-Hackbällchen und Wildschweinsalami-Crostini versammeln sollen. Die Omi sieht zwar mehr nach Erbsensuppe und Eisbein aus, trotzdem denke ich mir nichts bei meiner Bestellung. Der Teller kommt, ich schneide Vito was auf seinem Teller klein, er probiert und spuckt es aus. Ich probiere und spucke es aus. So ein ekelerregender, liebloser Fraß ist mir lange nicht unter gekommen. Zum Glück habe ich noch einen Fruchtriegel für Vito. Damit und mit Butterbrot halte ich ihn über Wasser und stille unterdessen Ivan. Zwischendurch kommt Omi und wundert sich. “Hat es nicht geschmeckt?”, “Nein!”, “Da sind Sie die Erste!”. Den Ekel-Teller lässt sie, als könne sie nicht glauben, dass “Nein!” mein letztes Wort ist, stehen, bis ich sie fünfzehn Minuten später auffordern muss, ihn doch bittschön zu entfernen, bevor Viti-Boy die Reste zu einer bizarren Skulptur verarbeitet hat. Ich mache Ivi noch eine neue Windel. Ganz unauffällig auf der Bank an unserem Tisch, keiner hat es gesehen, sind ja eh nur zwei weitere Personen im Raum. Die Windel rolle ich zusammen, riecht nicht, tropft nicht, eine saubere Sache. Finde jedenfalls ich. Mit meiner Kreditkarte gehe ich zum Zahlen an den Tresen und will dabei die Windel im Mülleimer entsorgen. Da kommt Omi theatralisch mit drei Lagen Zewa bewaffnet und angewidertem Gesichtsausdruck hinter dem Tresen hervor geschossen. “Eigentlich geht das nicht! Aber ich mache das! Ausnahmsweise! Und überhaupt dürfen sie das nicht! Wir sind ein Speiserestaurant!” Ob sie mit “das”, Stillen oder Wickeln oder Windeln in ihren Mülleimer schmeißen oder alles zusammen meint, weiß ich nicht, aber diese Kaschemme Restaurant zu nennen halte ich für reichlich übertrieben.

Die Omi hat so ein Glück! Wäre die mir vor zwei Jahren begegnet, hätte ich vermutlich ihre Hütte abgefackelt vor Wut. Aber jetzt? Jetzt schicke ich meinen großen kleinen Süßen mit zwei Euro Tipp an die Theke, bedanke mich und verabschiede mich freundlich. Nerven wie Litfaßsäulen…



Beim Kinderarzt kommen wir sofort dran und werden ins Behandlungszimmer geschickt. Ivan soll schon mal frei gemacht werden, die Frau Doktor käme gleich, erfahren wir von der Sprechstundenhilfe. Gleich heißt hier 40 Minuten!

Auf ca. acht Quadratmetern halte ich also meine beiden Mäuse in Schach. Der eine ist zum Glück nackig unter der Wärmelampe ziemlich lange zufrieden und pinkelt lediglich einmal den Untersuchungstisch voll. Der andere probiert die Wachsmalstifte aus. Auf dem Papier, aber auch als Wurfgeschoße. Es gibt ein Puppenhaus, welches von ihm erst gut behandelt und dann doch etwas zu temperamentvoll umgestaltet wird. Es gibt einen Arzneimittelschrank, den es gilt vor unbefugtem Zugriff zu bewahren. Es gibt zwei Türen, vor denen besser kein Kleinkind kauern sollte, das keine Tür von herein Schneienden an den Kopf kriegen will. Und es gibt einen Buggy, der sich quer im Raum auf dem Fußboden liegend in Vitos Augen sehr gut macht. Auch der Mülleimer gefällt ihm ohne Deckel besser und sein Inhalt landet nur Dank meines ambitionierten Einsatzes nicht auf dem Boden. Man sieht also, ich habe alle Hände voll zu tun.

Und wieder kommt mir der versteckte-Kamera-Gedanke in den Kopf. Es muss doch das Publikum sehr belustigen, mich bei meinem Gehüpfe, Gehechte, Gebücke, Gedrehe und auch mal Herumgestehe zu beobachten. Vielleicht steht ja auch Frau Doktor am Schlüsselloch und studiert die Bemühungen einer Zweifach-Mutter alleine mit ihrer Brut auf schwierigem Gelände den Schaden gering zu halten. Als sie endlich kommt, atme ich auf.



Der Tag war lang, auf dem Zahnfleisch komme ich im Asyl an, lade das Auto aus, räume entleere die Koffer, füttere meine Kinder und mich, bringe die Bagage ins Bett und falle selbst in eben jenes…

Und seit dieser Nacht schläft Ivan quasi durch. Mit sieben Wochen! Der Held!



Immer noch liegt der Schnee. Es ist kalt und sonnig. Herrlich. Nichts wie raus! Karina verlässt mit ihren Kindern das Haus schon um vierzehn Uhr. Für mich unmöglich, denn ich muss noch wickeln, stillen, wickeln, Vito anziehen, noch mal wickeln, Ivan anziehen und mich anziehen. *Hechel Hechel*

90 Minuten später sind auch wir soweit. Alle Kinder im Auto verstaut und los geht’s.



Unser Treffpunkt ist fantastisch! Wie einem Astrid Lindgren Märchen entsprungen, liegen die sanften, schneebedeckten Hügel vor uns. Gesäumt von kahlen Laubbäumen, aus denen ab und an der Schnee rieselt. Die niedrig stehende Sonne bricht sich in den Schneekristallen, als wären es Diamanten. Ein verzauberter Nachmittag. Ich freue mich riesig aus dem Auto zu kommen und Vito bei seinem ersten Schlittenerlebnis zu zusehen. Doch als ich mich umdrehe und ihm voller Tatendrang zu lächle, schläft der. *Grrrmmpf*.

Tja, und nun? Mal wieder fällt mir auf, dass ich als Mutter erstaunlich oft überfragt bin… Ich warte dann mal zehn Minuten ab. Danach versuche ich ihn zu wecken. Keine Chance. Und überhaupt, vielleicht will er ja wirklich lieber schlafen, statt rodeln und quengelt dann rum. Also lasse ich ihn weiter pofen, setzte mich ins Auto, lasse es und somit die Heizung laufen. Wir wollen ja nicht erfrieren. Mit Kindern nimmt mein ökologischer Fußabdruck ohnehin langsam aber sicher Bigfoot-Dimensionen an: Windeln, sehr warme Räume, warme Autos, Vitos stundenlange Wasserhahn-Experimente…usw…und so fort…



In der nächsten Stunde habe ich viel Zeit zum Nachdenken. Karina ruft irgendwann an, um mir mitzuteilen, man sei wieder auf dem Nachhauseweg. Ich fahre also los und meine kleine Penn-Eule wacht exaktemeng auf dem Parkplatz vor dem Haus wieder auf. Ich habe mir den Nachmittag irgendwie anders vorgestellt. War das jetzt eine Zen-Übung, um mein Ego loszulassen? Habe ich überhaupt noch ein Ego?? Gibt es mich noch??? Also was zu wollen habe ich definitiv im Moment nicht…



Naechster Tag - bei minus zehn Grad mit zwei Kindern, die sich nicht selbst anziehen können und dabei auch noch unkooperativ sind, rauszuwollen, kann mutig genannt werden. Oder fleißig, denn ich benötige in der Tat mindestens vierzig Minuten um uns alle mehrlagig und Wetter-kompatibel anzuziehen. Und es stellt sich die Frage, wer zuerst dick eingemummelt wird und auf die anderen warten muss. Ich werde es nicht sein, denn ich bewege mich am meisten, aber Vito mit Woll-Unterwäsche, Langarm-Shirt, Hoodie, dickem Wollpullover, Jacke, Mütze und Schal in der warmen Stube stehen zu lassen, geht auch nicht. Ich entscheide mich, reihum jedem abwechselnd ein Teil anzuziehen. Das sieht bestimmt ein bisschen nach “Dalli Dalli” aus, wie ich da vom einen zum anderen spurte und dazwischen auch mir eine weitere Lage Kleidung anlege. Als wir endlich alle Michelin-Männchen-mäßig vor der Türe stehen, Vito in seinem Buggy, Ivan an meinem Bauch im Tuch, offenbart sich eine weitere Tücke dieser Witterung. Ich komme nämlich mit dem Buggy nicht durch den Schnee, der hier überall liegt. Oookaaay… kriege ich JETZT meinen Nervenzusammenbruch? Macht sich da einer ganz gehörig lustig über mich?? In einem Moment wahren Grames entscheide ich, auch aus dieser Situation das Beste heraus zu holen. Ich lasse mich nicht unterkriegen und pflüge den Karren mit aller Kraft durch den Schnee. Dabei spanne ich meine Oberschenkel- Po- und Beckenbodenmuskulatur an und betreibe Rückbildung. Mit grimmiger Genugtuung sehe ich mir selbst bei der schlagartigen Verbesserung meiner Laune zu. Geht doch! Ivan schläft derweil und Vito geht es ohnehin dufte in seinem Daunensack. Nach einer Stunde im Schnee sind wir wieder zu Hause und bei mir hat sich etwas Entscheidendes geändert. Ich weiß nun, ich werde diese Prüfung meistern und sehr bald wieder wie Phoenix aus der Asche steigen. Immerhin habe ich die aller wunderbarsten Jungs der Welt, wer braucht da noch ein eigenes Ego?













Eure Cereal Mom

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