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„Man braucht irgendeine Bewusstlosigkeit“

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Sophie, studierst du noch Germanistik und Anglistik? Ja. Ich studiere so, wie ich schon immer studiert habe: Ich gehe ab und zu da hin. Aber ich kann das Studium nicht wirklich verfolgen und werde wohl nie einen Abschluss machen. Ich kann auch keine Prüfungen schreiben. Aber ich besuche manchmal Kurse. Es ist einfach Interesse, mich befriedigt das auch. Es ist ein Teil meines Lebens, den ich nicht so einfach aufgeben möchte. Das Studieren bedeutet mir genauso viel wie Lieder zu spielen. Du studierst Sprachen und singst auf Franzsösisch, Englisch und Schweizerdeutsch. Wenn du Lieder schreibst, gibt es eine Sprache, mit der dir das am leichtesten fällt? Nein. Beim Schreiben auf Schweitzerdeutsch bin ich mir am meisten darüber bewusst, was ich tue. Ich habe eine sehr präzise Vorstellung davon, wie ich die Sprache benutzen möchte. Im Englischen gehe ich viel naiver ran, und im Französischen bin ich fast ein bisschen blind. Damit kann ich nicht dasselbe sagen wie auf Schweitzerdeutsch, auch nicht mit dem selben Effekt. Im Französischen lege ich viel mehr in den Gesang als in die Worte, also eher in den Klang der Worte. Was ich auf Französisch zum Beispiel oft singe ist von Jacques Brel „Ne Me Quitte Pas“. Wenn man solch einen Text ins Englische übersetzen würde, wäre das absolut affektiert und nicht mehr poetisch. Das wäre zu künstlich. Aber auf Französisch funktioniert das, weil der Umgang mit dieser Art von Sprache innerhalb von Musik traditionell ist, das war schon immer so. Gibt es denn bestimmte Gefühlslagen, in denen du eine dieser Sprachen zum Schreiben bevorzugst? Alle Gefühle vertrete ich in allen Sprachen gleichermaßen. Sie finden dann nur immer wieder einen anderen Ausdruck. Es ist wirklich etwas so Wunderschönes, alle diese Sprachen benutzen zu können. Deine Songs klingen manchmal, als ob du dir den Wecker bewusst auf vier Uhr morgens gestellt hättest, um dann noch halb im Traum mit dem Schreiben zu beginnen. So etwas mache ich nicht. Aber was ich an diesem Beispiel verstehen kann, ist dass man irgendeine Bewusstlosigkeit braucht, um etwas zu machen. Das ist bei mir sicherlich so. Meine Musik hat viel mit Bewusstlosigkeit zu tun, es gibt nichts Rationales darin. Ich brauche dazu aber keinen Wein zu trinken oder so. Ich kann mich einfach hinsetzen und anfangen, wenn ich mich danach fühle. Trennst du in deinen schwer gefühlsbetonten, melancholischen Texten zwischen Leben und Kunst? Diese Frage zeigt schon, wie du denkst – dass es offenbar ein Leben gibt und daneben die Kunst. Ich sehe das ganz anders. Ich würde sagen, dass ein Lied, das man schreibt, weder das eine noch das andere ist. Es ist eine eigene Realität. Musik ist auch eine eigene, neue Sprache, die für sich steht. Und ein Lied ist keine Kopie oder Imitation von etwas anderem. In Deutschland gibt es Bands wie Tocotronic, deren Ziel war es immer, strikt zwischen Leben und Kunst zu trennen. Tomte oder Kettcar hingegen versuchen, dem Hörer zu vermitteln, dass sie das, worüber sie singen, selbst mindestens einmal schon erlebt haben. Sie setzen also voll auf Authentizität. Ich glaube, schlussendlich ist es auch bei Tocotronic eine dritte Welt. Deren Einstellung drückt ja aus, dass sie es offenbar nicht aushalten – und das geht mir ähnlich -, dass die Leute immer denken, dass alles so persönlich und autobiographisch gemeint ist. Das ist zur Zeit scheinbar so eine Mode. Ich würde auch keinen großen Unterschied machen zwischen dem, was wahr ist, und was nicht. Diese dauernde Aufdringlichkeit, dass Songs irgendwelche Illustrationen von wirklich Gelebtem sind, finde ich anmaßend. Ich verstehe da Tocotronic, das ist eine Befreiungsaktion. Ich würde allerdings nicht so radikal sein und sagen: „Es ist entweder Kunst oder Leben.“ Das, was ich mache, ist vor allem Musik. Natürlich hat das nichts mit mir zu tun – und natürlich hat das was mit mir zu tun. Weil ich es ja mache. "Leaving The Moon":

Dein neues Album „Monday’s Ghost“ scheint mir wie gemacht für einen kleinen, intimen Clubgig. Du kennst aber auch das Riesenpublikum wie das beim Jazz-Festival in Montreux. Was magst du lieber? Ich mag das Große viel lieber! Weil es viel einfacher ist. Diese Konzerte im kleinen Rahmen sind anstrengend. Die Nähe zwischen den Leuten, mir und den anderen Musikern ist so groß, dass es sehr viel Energie kostet, sich zu konzentrieren und bei sich zu bleiben. Bei einem großen Konzert habe ich direkt vor mir niemanden stehen. Es kann natürlich auch passieren, dass mir bei einem großen Konzert genau diese beschriebene Nähe fehlt. Du hast den Soundtrack für Micha Lewinskys Film „Der Freund“ geschrieben und sogar eine kleine Rolle im Film übernommen. Es heißt, du hättest nur geschauspielert, weil das Teil eines Deals mit dem Regisseur war. Ich hatte meine erste CD noch gar nicht raus gebracht, und dann kommt dieser Regisseur und sagt: „Guck mal, ich habe hier diesen Film und möchte, dass du diese Rolle spielst.“ Ich habe geantwortet: „Nein, dass mache ich nicht.“ Er war ziemlich hartnäckig. Ich sagte ihm, dass das Einzige, was mich an diesem Film interessieren könnte, die Musik dafür zu schreiben wäre. Die haben mir dann einfach zugestanden, für einen Kinofilm den ganzen Soundtrack zu schreiben. Das war super! Es war schon klar, dass ich diese zweiminütige Rolle auch noch spielen muss, das habe ich dann auch gemacht. Wenn man Musik macht, fragt man sich immer: „Soll ich auf die Bühne – oder soll ich komponieren? Und was ist mit Filmmusik? Ist es das, was ich am liebsten machen würde?“ Aber man muss erst die Musik für einen Film machen, um das rauszukriegen. Ganz viele Musiker, die ich kenne, würden so gerne mal Musik für Filme schreiben. Das Problem ist, dass es dafür nur ganz, ganz selten die Möglichkeit gibt. Ich war sehr jung, 22, hatte diese Möglichkeit und habe das abgecheckt. Und damit hat es sich auch erledigt. „Monday’s Ghost“ von Sophie Hunger erscheint im Februar auf Universal Jazz.

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