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Lily Allen im Interview - erschreckend wie gleichgültig meine Generation ist

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Du hattest Anfang 2008 einige Schicksalsschläge zu verkraften. Du hast eine Fehlgeburt erlitten, kurz danach hat sich dein damaliger Freund Ed Simons von den Chemical Brothers von dir getrennt. Wie bist du damit umgegangen? Ich bin zur Therapie gerannt, immer wieder und immer noch. Ich meine, wie soll man sonst damit klarkommen? Eine Fehlgeburt ist schlimm und traurig, da gibt es keine konstruktive Weise, wie man sich damit auseinandersetzen kann. Glaubst du trotz der jüngsten Enttäuschung noch an die ewig haltende Liebe? Ach, ja, irgendwo schon. Auf jeden Fall glaube ich an Beziehungen. Eigentlich glaube ich auch daran, dass man nach der Trennung befreundet bleiben kann, aber dieser Wunsch entspricht dann wohl doch nicht so der Wirklichkeit. Wie sieht es im Moment mit den Männern aus? Habe ich gerade keinen Kopf für. Ich bin zur Zeit voll im Arbeitsmodus, Jungs würden da nur stören. Also kein neuer Freund? Nein. Kein Freund. In „Not fair“ klingst du, als hättest du sowieso erst mal genug von den Typen. Du beklagst dich in dem Song darüber, dass dein Freund im Bett eine große Enttäuschung ist. Das ist aber keine Abrechnung mit den Männern insgesamt. Sondern? Es geht nur um einen bestimmten Jungen. Eine Flasche. Aber um wen, das verrate ich dir natürlich nicht (lacht). Ihm habe ich es auch nicht gesagt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Macht die Karriere trotz des ganzen Medienrummels noch Spaß? Ich hätte gerne ein anonymes Leben, aber das kann ich mir bis auf weiteres abschminken. Ich glaube, wenn ich mich ernsthaft wieder verliebe, würde ich mit dem Mann gerne aufs Land ziehen. Dann ist mir die Karriere egal. Hätte ich die Chance, mein Leben um einen neuen Menschen herum aufzubauen, würde ich diese Chance ergreifen und nutzen. Aber zur Zeit gibt es halt niemanden. Und da meine Familie und alle meine Freunde in London leben, wohne ich eben auch dort und kenne gerade nichts anderes. Also nervt es dich, so viel Aufmerksamkeit zu bekommen? Die Leute machen sich ein bisschen zu viele Gedanken über mein Leben. Ich schreibe Songs und ich singe sie. Mehr mache ich eigentlich nicht (lacht). Deine neue Single „The Fear“ handelt von den Auswüchsten der Promikultur. Bist du so ungerne berühmt? Ich habe gerne Erfolg, aber dieses ständige Leben mit neugierigen, aufdringlichen Blicken von den Medien betrifft mich stark und macht mich nicht glücklich. Es macht mich sauer, verfolgt und angeglotzt zu werden. Du wirst als Journalist auch einigermaßen erfolgreich sein. Aber würdest du es mögen, wenn man dir vor deiner Haustür und vor jeder Kneipe auflauert, um dich zu fotografieren? Das ist vielleicht eine Woche lang witzig. Aber dann nicht mehr.

Wieso nicht? Weil diese ganze Kultur falsch ist. Ich mag sie nicht. Ich fühle mich häufig verloren innerhalb dieser Celebrity-Welt, zu der ich nun anscheinend zähle. Mir fällt es schwer, dieses Leben ernstzunehmen. Manchmal bin ich traurig, wenn ich mich umschaue und sehe, wie gleichgültig die meisten Leute gegenüber Kunst und Kultur geworden sind. Ganz speziell Leute in meiner Generation. Man sollte mal herumfragen, wie viele Frauen zwischen 18 und 30 im letzten Monat im Theater waren oder ein Buch gelesen haben. Das Ergebnis wäre erschreckend. Stattdessen dreht sich alles nur noch um Promis, Promis, Promis. Diese Entwicklung wird immer extremer, und das macht mich ängstlich und wütend. Wann hast du denn zuletzt ein Buch gelesen? Heute morgen. „In Cold Blood“ von Truman Capote. Außerde habe ich ein Geschichtsbuch über die gute, alte Monarchie in England dabei. Ich liebe das 18. und 19. Jahrhundert. Diese Kleider, die Opulenz und diese Juwelen, herrlich. Wie hast du dich gefühlt, als du zum ersten Mal ein Foto von dir in einem Hochglanz-Magazin gesehen hast? Ich habe mich erschrocken. Aber so ist mein Leben jetzt nun einmal. Auf der nächsten Seite: Lily spricht über Amy Winehouse, die Wut der Jugend und Drogen.


Hat das Leben in Öffentlichkeit auch dein neues Album „It’s not me, it’s you“ beeinflusst? Nein, das darf auch niemals passieren. An meiner ersten Platte haben die Leute speziell die Ehrlichkeit geschätzt. Ich könnte niemals Songs machen, die ich nicht fühle, die verlogen sind. Insofern hat mich das kreativ nicht beeinflusst. Ich bin höchtens ein bisschen vorsichtiger geworden. Ich würde zum Beispiel keinen Song mehr machen, den ich nach meinem Bruder benenne. Alfie“ heißt das Lied, und man munkelt, dass er aus Wut darüber deinen Computer aus dem Fenster geworfen hat ... Das hat er. Aber nicht wegen des Songs. Sondern weil wir Bruder und Schwester sind und einen Streit hatten. Er fand das Lied allerdings wirklich scheiße. Dein Bruder ist Schauspieler, dein Vater ein Komiker und deine Mutter eine Filmproduzentin. Ja, bei uns Allens hat niemand Lust, den ganzen Tag im Büro herumzusitzen und langweilige Sachen zu machen. Du bist auch sehr früh angefangen mit dem Musikmachen. Du warst 15, als du beschlossen hast, Sängerin zu werden. Ich bin immer schon ungeduldig gewesen. Was oft gut ist, denn ich mag es, Dinge schnell zu erledigen. Für die Menschen, mit denen ich arbeite, ist das ebenfalls hilfreich. Es kann jedoch sein, dass ich manchmal etwas intolerant und ungnädig mit Leuten bin, die mich langweilen. Im Stück „Everybody’s at it“ singst du über Drogen. Du behauptest, dass jeder welche nehme: Schüler, Politiker, Du selber ... Das Stück kritisiert die verbreitete Heuchelei beim Thema Drogen. Viele tun doch so, als wären Drogen nur ein Problem der Unterschicht. Als würden die Asis sich zudröhnen und sonst niemand. Als hätten Drogen immer mit Verbrechern und Banden und Prostituierten zu tun. Aber so ist das eben nicht. Drogen existieren überall. Und, ja, es gibt Menschen, die ihr Leben durch Drogen zugrunderichten. Aber ebenso kenne ich viele, die was nehmen und trotzdem jedem Morgen zur Arbeit gehen. Drogen sind sicherlich nicht gut oder hilfreich, aber das sind viele andere Genussmittel auch nicht. Wie sehen deine persönlichen Erfahrungen mit Drogen aus? Ich habe gesehen, wie Menschen an Drogen sterben. Ich habe gesehen, wie meine Mutter ihre Sucht nicht im Griff hatte und in den Entzug musste. Mum wäre fast vor die Hunde gegangen damals, das war furchtbar. Ihr Problem war in erster Linie der Alkohol, jahrelang ging es immer rauf und runter mit ihr. Auch mein Vater war abhängig in den Neunzigern. Andererseits erlebe ich es auch, dass Leute ausgezeichnet mit ihrem Drogenkonsum zurechtkommen. Ich zähle mich selbst dazu. Ich kann Kokain nehmen und fühle mich nicht schuldig. Aber ich muss es nicht jeden Tag haben. Was hältst du von Amy Winehouse? Mir steht kein Urteil zu. Amy ist ein lieber Mensch, ich wünsche ihr nur Gutes. Sie würde niemanden in Gefahr bringen, wenn sie unter Drogen steht, abgesehen von sich selbst leider. Aber sie würde zum Beispiel niemals ins Auto steigen. Da kenne ich ganz andere Kaliber: Männer und Frauen, die total dicht nachts um vier aus dem Club noch nach Hause fahren. Die könnten jemanden töten. Du selbst hast mit 14 Ecstasy geschluckt und später unter anderem auch Kokain ausprobiert. Ja. Stimmt. Es macht mich nicht stolz. Und als 15-Jährige bist bereits in stationärer Behandlung gewesen. Aber nicht wegen Drogensucht. Sondern wegen Depressionen. Du hast als junges Mädchen jedenfalls ziemliche Probleme gehabt. Bedeutet das, dass du mit 23 nun gefestigter und reifer bist als andere Frauen in deinem Alter? Das kann ich dir nicht sagen. Ich kenne kaum Leute, die so alt sind wie ich. Warum nicht? Ich habe keine Schulfreunde, weil ich nicht sehr lange zur Schule gegangen bin. Ich war in neun Jahren auf 13 verschiedenen Schulen. Mit 15 habe ich die Schule dann verlassen, um Sängerin zu werden. Im Musikgeschäft gibt es nicht besonders viele 23-Jährige und 15-Jährige schon gar nicht. Warum warst du auf so vielen Schulen? Naja, manche Schulen habe ich verlassen, eben weil ich dort keine Freunde fand. Ich hätte ja gerne. Aber ich bin mit Leuten in meinem Alter nie gut zurechtgekommen. Die waren alle so kindisch. Ich glaubte, dass es in meinem Leben größere und wichtigere Themen gab, seien es die Probleme in meiner Familie wie die Sauferei meiner Mutter oder meinen eigenen Probleme. Also hatte ich keinen Nerv auf die üblichen Schulmädchenspielereien. Ich hatte einfach andere Sorgen und fand die Schule unwichtig. Du bekommst viel Ärger von den Medien. Viele halten dich für ein schlechtes Vorbild für die Jugend. Was denkst du darüber? Mir ist es wirklich egal, was andere Leute für eine Meinung über mich haben. Wirklich. Ganz egal. Du giltst als Gallionsfigur für die saufende, vorlaute, pöbelnde, ungezogene Jugend. Warum haben Jugendliche und junge Menschen so einen schlechten Ruf, speziell in Großbritannien? Die Kids sind wütend. Nicht nur in England. Du siehst das ja auch in Frankreich oder jetzt in Griechenland. Jahrzehntelang wurden die Teenager und die jungen Menschen verarscht von den Älteren, den Etablierten. Sie werden übel bezahlt, wenn sie denn überhaupt einen Job bekommen. Es ist schwer, ein stabiles Leben aufzubauen, weil du nie weißt, ob das Geld reicht. Die Leute mit 40 oder 50 sitzen auf den fetten Konten. Seit den Achtzigern haben einige wenige Abzocker die Gesellschaft sehr gründlich ausgebeutet und gemolken. Nicht zuletzt auch die Kunst. Alles ist doch heute Kommerz. Es geht nur noch ums Geld verdienen. Und jetzt leben wir auch noch in einer Rezession, was alle Probleme noch verschärfen wird. Die Alten haben zurecht Angst vor der Jugend. Denn jetzt sind wir dran. Warum sind die Teenager in Großbritannien besonders gefürchtet? In England gibt es sonst nichts zu tun außer zu saufen und zu randalieren. Seit vielen Jahren wird doch alles gekürzt und gestrichen, es gibt keine Jugendzentren mehr, keine Freizeitprogramme, nichts. Was erwartet die Regierung denn? Das Bildungssystem bei uns ist total schrecklich. Alle gucken nur Fernsehen und saufen sich dicht. Weil es sonst keine Unterhaltung gibt. Du hast vor zwei Jahren gesagt, du willst ein Vorbild sein, aber ein ehrliches. Trifft der Wunsch heute noch zu? Nein, in dem Punkt habe ich meine Meinung geändert. Vorbild zu sein strebe ich nicht mehr an. Vorbilder sollten Eltern und Geschwister und Tanten und Onkel sein. Aber nicht ich. So wie ich mein Leben lebe, habe ich wenig mit dem Leben von anderen Menschen zu tun. Insofern wäre ich unglaubwürdig. Ich kann auch niemandem ernsthaft raten, eine Karriere im Musikbereich zu starten. Weil man auch dort praktisch kein Geld mehr verdienen kann. Das Album „It’s not me, it’s you“ erscheint am 6. Februar 2009. Mehr über Lily Allen auf jetzt.de

Text: steffen-rueth - Foto: AP

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