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Betrüger am Steuer

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Wie ein Zug fahre er mit seinem Auto, sagt Günther Brauner. Das bedeutet: Er fährt von München nach Berlin und hält seinen Wagen unterwegs an den Stadträndern von Nürnberg, Hof, Leipzig und Potsdam. Was er nicht sagt: Zur Imitation einer "Zugfahrt" samt Halt an bestimmten Stationen gehört auch, in Berlin sofort nach Ankunft wieder umzudrehen und zurück nach München zu fahren - um von dort noch am selben Tag wieder nach Berlin zu fahren. Günther Brauner sagt auch nicht, dass er eigentlich nicht Günther Brauner heißt. Wenn sein Handy klingelt, meldet er sich nur mit "Hallo?" und reagiert auf rund fünfzehn verschiedene Namen, unter denen er auf der Website www.mitfahrgelegenheit.de inseriert. Die Seite ist die größte deutsche Fahrtenvermittlung. Pro Tag finden dort bis zu 20 000 Leute einen Fahrer oder Mitfahrer. Monatlich werden nach Angaben der Betreiber gut 30 Millionen Seitenaufrufe und zwei Millionen Besuche auf der Website registriert. Natürlich gibt es noch weitere Seiten mit ähnlichen Angeboten, die aber nicht so populär sind. Der Vorteil der Idee mit den Fahrgemeinschaften ist klar: Die Spritkosten verteilen sich auf die Mitfahrer, alle kommen günstiger und häufig auch schneller an ihr Ziel. Schade nur, dass immer mehr Fahrer das System missbrauchen, und dadurch die schöne Grundidee in den Schmutz ziehen. Einer davon ist der Mann, der sich Günther Brauner nennt. 31 Euro verlangt er für die einfache Fahrt von Berlin nach München. Er sitzt am Steuer eines marode wirkenden Minibusses, in den er acht Menschen pferchen kann. Im besten Fall setzt Brauner also knapp 250 Euro pro Fahrt um. Bei drei Fahrten am Tag kommen gut 750 Euro zusammen; abzüglich großzügig gerechneten 300 Euro für Sprit und Handykosten bleiben immer noch 450 Euro, die sich, bei fünf ausgelasteten Arbeitstagen pro Woche auf 9 000 Euro im Monat summieren können. Sicher, von diesem Betrag muss eventuell ein weiterer Fahrer, müssen die Abnutzung des Autos, müssen also Reparaturen und neue Reifen bezahlt werden.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Allerdings sparen Menschen wie Brauner gerne mal an Reparaturen, Reifen und weiteren Fahrern. Er spart, erzählt er selbst nebenbei, auch beim Steuerzahlen und, vor allem, am Schlaf: Wer bei Tageskilometer 1 800 zusteigt, sollte als Beifahrer die Hand auf der Handbremse haben, oder direkt wieder aussteigen. Denn Fahrer, die die Fahrten zum Zweck des Geldverdienens durchführen, machen sich in mindestens dreifacher Hinsicht strafbar: Sie verstoßen gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Website. Sie sind selbständig tätig und leisten dabei vermutlich keine Sozialabgaben. Sie verstoßen gegen das Personenbeförderungsgesetz, demzufolge man für's Befördern von Menschen eine Genehmigung braucht. Bei mitfahrgelegenheit.de, wo das Problem bekannt ist, heißt es, dass ein Passagier, der wissentlich zu einem kommerziellen Fahrer in den Wagen gestiegen ist, im Fall eines Unfalles auf seinen Kosten sitzen bleiben könnte. Genaue Zahlen zum Missbrauch kennen die Seitenbetreiber aber nicht. Sicher ist nur: Auf einer "schwarzen Liste" sammeln sich jeden Tag auf's Neue Beschwerden über Fahrer, weshalb die Seitenbetreiber das Problem ernst nehmen. Stefan Weber ist einer der drei Gründer der Website. Er sagt, dass es bestimmte Mechanismen gebe, um zu prüfen, ob ein Fahrer kommerziell arbeite. Man arbeite außerdem "eng mit den Behörden zusammen", jedoch nicht direkt mit der Polizei. Stattdessen gebe es "einen Ansprechpartner in Berlin", dessen Daten man aber nicht herausgebe, um den Mann vor Presseanfragen zu schützen. Von der Wirkung dieser Maßnahmen ist wenig zu spüren. Das sieht, wer Freitagabend am Münchner Hauptbahnhof nach Fahrern nach Berlin Ausschau hält. Häufig gibt es Ärger: Damit die Touren auch voll sind, bestellen kommerzielle Fahrer gerne mehr Leute zum Abfahrtsort, als ins Auto passen. Treten wider Erwarten alle die Fahrt an, wird entweder gequetscht oder ein Kollege angerufen. Bei den Behörden ist das Problem kaum bekannt. Die Münchner Polizei verweist an den Zoll, der Schwarzarbeit verfolge. Die Beamten dort verweisen an das Finanzamt, doch ist es kaum vorstellbar, dass Finanzbeamte irgendwann am Hauptbahnhof Autos kontrollieren. Vermutlich braucht es erst den Unfall eines übermüdeten Fahrers in einem Kleintransporter irgendwo im fränkischen Wald - mit acht Fahrgästen an Bord.

Text: johannes-boie - Illustration: Katharina Bitzl

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