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Und führe mich nicht in die Irre: Ulrich ehrt fragwürdige Lobbyisten

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[b]jetzt.de: Herr Müller, was ist Lobbyismus eigentlich genau?[/b] Ulrich Müller: Wir verwenden bei LobbyControl einen relativ weiten Lobbying-Begriff. Im Kern geht es um die gezielte Beeinflussung von Politik. Gesetze sollen schon bei ihrer Entstehung und auch bei ihrer Umsetzung beeinflusst werden. Dafür werden die Beziehungen zu Politikern und Beamten auf EU-Ebene intensiv gepflegt. Wir fassen auch die Beeinflussung der öffentlichen Meinung unter Lobbying, wenn damit bestimmte politische Maßnahmen populär gemacht werden sollen. [b]Was ist an Lobbying so schlimm? Selbst Greenpeace hat ein Lobby-Büro in Brüssel.[/b] Wir sagen nicht, dass Interessenvertretung per se schlecht ist. Einerseits geht es uns um irreführende Lobby-Methoden, die demokratische Entscheidungsprozesse unterlaufen und um problematische Interessenverflechtungen. Andererseits geht es um strukturelle Faktoren, wie den großen Ressourcen-Unterschied im Lobbying. Die Politik müsste eigentlich darauf achten, dass alle gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen zu Wort kommen können.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

[b]Dienstagabend werden die "Worst EU Lobbying Awards" verliehen. Im Internet konnte abgestimmt werden, organisiert wird die Veranstaltung von mehreren Nichtregierungsorgansationen. Wer hat gewonnen?[/b] Gewonnen hat die Agro-Sprit-Lobby in der Kategorie „Worst Lobbying“. Sie bekommt die Auszeichnung für ihre irreführenden Kampagnen und das Greenwashing ihrer Agro-Treibstoffe. Die Öffentlichkeit sollte beeinflusst werden, ebenso die europäischen Zielmarken für die Verwendung von Agro-Sprit. Die Schäden für Umwelt oder die Lebensgrundlagen der Bevölkerung vor Ort durch Agrotreibstoffe werden ignoriert. In der Kategorie „Worst Conflict of Interest“ hat Piia-Noora Kauppi gewonnen. Sie hat ihre Funktion als Abgeordnete des Europäischen Parlaments missbraucht, um für die Interessen ihres zukünftigen Arbeitgebers, einer Banken-Lobbygruppe, zu werben. [b]Wie reagieren die „Gewinner“? Kommen die zur Preisverleihung?[/b] Es ist eher unwahrscheinlich, dass jemand von den Nominierten kommt. Es gab allerdings schon eine Reaktion von Frau Kauppi. Sie sieht ihren beruflichen Wechsel als unproblematisch an und hat erklärt, sie habe dem Europäischen Parlament ihren Wechsel in die Banken-Lobby auch angezeigt. Auch, wenn sich das in den Protokollen nicht nachzeichnen lässt. Ansonsten halten sich aber alle Kandidaten bedeckt.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ulrich Müller [b]Was wollen Sie mit den Awards erreichen?[/b] Wir wollen darauf hinweisen, dass in Brüssel problematische Lobby-Arbeit stattfindet. Es geht um die Verhinderung einseitiger Einflussnahme, beispielsweise das „Drehtür-Phänomen“: Lobby-Gruppen kaufen ehemalige Politiker oder Beamte aus der EU-Kommission für ihre Zwecke ein. Wir fordern eine Karenz-Zeit, damit Geld nicht so schnell in politischen Einfluss umgesetzt werden kann. Auch Nebenaktivitäten von Abgeordneten, die schon in den Lobby-Bereich fallen, sind schlecht geregelt. Zudem sind Beratungsgremien der EU-Kommission oft einseitig besetzt und von der Industrie dominiert. [i]Auf der nächsten Seite: Ulrich Müller über "anarcho-kapitalistische Denkfabriken", das Agenten-Image der Lobbyisten und die Verflechtungen von Wirtschaft und Politik[/i]


[b]Auf Ihrer Webseite liest man von Lobbyisten, die „verdeckt anarcho-kapitalistische Denkfabriken finanzieren“. Das klingt ja gefährlich.[/b] Es gibt in Brüssel eine Reihe marktradikaler Denkfabriken, die versuchen, auf politische Debatten Einfluss zu nehmen. Häufig weiß man gar nicht, wie diese Organisationen finanziert werden. Die Industrie spannt sie für Kampagnen ein. Das macht die Pharma-Industrie, aber auch der große Öl-Konzern ExxonMobil. Diese Denkfabriken haben dann den Klimawandel in Frage gestellt. Die Strategie war, dadurch Klimaschutzmaßnahmen zu torpedieren. [b]Die Lobbyisten selbst sagen, an ihrem agentenhaften „Schlapphut-Image“ sei nichts dran. Es seien die richtigen und guten Argumente, die am Ende gewinnen würden.[/b] Das ist natürlich das Idealbild, das die Lobbyisten vor sich hertragen. Es ist allerdings eine sehr realitätsferne Selbstdarstellung. Dass es sich bei Lobbyisten nicht um Agenten mit Schlapphut handelt, das würde ich zugestehen. Aber Lobbyismus hat mit Macht und Einfluss zu tun. Lobby-Informationen werden „interessengeleitet aufbereitet“ – sie sind dann so, wie man sie eben politisch gerne hätte. Zusätzlich wird über öffentliche Kampagnen Druck erzeugt, die persönlichen und politischen Netzwerke werden gepflegt. Das ist alles ziemlich aufwendig. Da spielen am Ende eben doch die finanziellen Ressourcen eine große Rolle. [b]Wer sind die Lobbyisten? Haben die eine klassische Karriere?[/b] Es gibt da verschiedene Wege. Teilweise sind es Leute, die vorher selbst Politik gemacht haben. Oft auch Personen, die aus den Mitarbeiterstäben von Politikern kommen. Zudem schulen Firmen ihre Mitarbeiter für das Lobbying, diese werden dann in die Vertretungen nach Berlin oder Brüssel geschickt. Es gibt auch immer mehr Ausbildungsangebote für Lobbyisten, der Sektor professionalisiert sich. [b]Fragwürdige Verstrickungen zwischen Politik und Wirtschaft gab es auch schon in der Vergangenheit. Oder ist das schlimmer geworden?[/b] Ich glaube schon, dass das in den letzten Jahren schlimmer geworden ist. Die wichtigen wirtschaftspolitischen Entscheidungen werden meist in Brüssel getroffen. In Brüssel gibt es aber leider keine ausgeprägte europäische Öffentlichkeit. Daher fehlt das Korrektiv, die Aufmerksamkeit einer großen kritischen Öffentlichkeit. [b]Die EU begrüßt Lobbying, weil die Politik so besser Einblick in die vielfältigen und komplexen Interessen gesellschaftlicher Gruppen bekommt. Für mehr Transparenz wurde ein Lobby-Register eingeführt. Das ist doch prinzipiell eine gute Sache?[/b] Das Lobby-Register ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, aber in seiner jetzigen Form unzureichend. Es ist auf freiwilliger Basis, daher können alle Lobbyisten, die lieber im Dunklen arbeiten, das auch weiterhin tun. Auch die Angaben, die Lobbyisten für das Register machen müssen, sind zu grob gefasst. Gerade die Budgets sind unklar. Da sehen wir dringenden Verbesserungsbedarf. *** Hier die Links zu LobbyControl und zur Website des Preises, den Worst EU Lobbying Awards.

Text: johannes-graupner - Foto: Screenshot, LobbyControl

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