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Meine Jagd nach dem Autogramm von Obama

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Er sagt „God bless you“, dann ist es soweit: Barack Obama geht die wenigen Stufen von der Bühne herunter und beginnt seinen Weg entlang der ersten Zuschauerreihe. Hände, Umarmungen, Fotos. Weinkrämpfe. Er kommt auf uns zu. Sarah ist eine von 4000 Zuhörern hier in New Hampshire und steht vor mir an der Absperrung. Sie tritt zur Seite und sagt: „Geh vor. Du bist so weit gefahren.“ Ich greife zur stern-Ausgabe vom 24. Juli, die in meiner linken hinteren Hosentasche steckt und ziehe sie hervor. Auf dem Titel lacht Obama. Meine Hände kleben an dem dünnen Papier, als ich die Seiten 32 und 33 aufschlage: Das doppelseitige Bild zeigt Obama und seine Familie, wie sie am 4. Juli auf einer grünen Wiese in Butte, Montana, sitzen. Ich knicke das Heft so, dass Seite 33 das Cover und Seite 32 die Rückseite des Heftes bildet. Auf dem Cover rechts oben ist nun der Himmel über Montana zu sehen. Da ist Platz. Da würde die Unterschrift hin passen. Obama und den vier Leibwächtern vom Secret Service geht ein junger Mann im Anzug voran. Er sammelt Bücher ein, die Obama geschrieben hat und die Autogrammsammler mitgebracht haben. Er sagt: „Er unterschreibt nur Bücher.“ Als er vor mir steht, reiche ich ihm dennoch mein Heft. Er schüttelt den Kopf. Auf diesen Moment hatte ich ein halbes Jahr gewartet. I. Die Autogrammsammlung Ich war zehn Jahre alt, als ich Post von Franz Josef Strauß bekam. Ich hatte unseren CSU-Landtagsabgeordneten angerufen und nach einer Unterschrift des Ministerpräsidenten gefragt. Tage später kam ein Kuvert für „Schüler Peter Wagner“ mit Strauß’ Autogrammbild und einer Karte, auf der die Bayerische Staatskanzlei Grüße ausrichtete. Ich war in den Kontakt mit meiner Regierung getreten und starken Willens, diese neue Brieffreundschaft zu pflegen. Ich bekam gerne Post und schrieb eifrig nach Autogrammen. Die Unterschrift von Jean-Marie Pfaff war eine der ersten, die mich erreichte. Er war Torwart des FC Bayern und schrieb schwungvoll seinen kompletten Namen mit dickem Filzstift auf sein Bild. Als ich seine Unterschrift sah, begann ich, meine eigene zu üben. Wichtig war mir das voluminöse „P“ und das mit Verve eingeleitete „W“, mit dem ich auch meine Anfragen an Franz Josef Strauß unterzeichnete. Nach der freundlichen Antwort, die sein Autogramm begleitet hatte, schrieb ich ihm häufiger. Meist fragte ich ihn um die Adressen Prominenter wie Carolin Reiber, Helmut Kohl oder Michail Gorbatschow („Der Ministerpräsident dankt dir für dein Schreiben. Wegen eines Autogramms von Michail Gorbatschow schreibst du am besten an den Generalsekretär der KPdSU, Kreml, Moskau, UdSSR“). Vom regen Schriftverkehr ermutigt, schrieb ich auch nach Bonn und bekam Antworten wie diese: „Der Bundeskanzler dankt dir für dein Schreiben. Leider liegen uns keine Farbbilder der NASA Voyager 2-Mission zum Neptun vor.“ Kohl verwies mich wegen Neptun und einer Unterschrift des US-Präsidenten an die amerikanische Botschaft. Von dort fand ein gedrucktes Autogramm von Bush Senior den Weg in unseren Briefkasten (damals hieß es, dass eine echte Unterschrift undenkbar sei, weil im Weißen Haus täglich 20 000 Briefe einträfen). Als Extra steckte im Brief ein Schwarzweiß-Bild von John F. Kennedy. Ich hängte es mit einer Reißzwecke über mein Bett. Vielleicht war das Sammeln der Versuch, meinem jungen Leben Bedeutung zu verleihen. Ich stellte mir vor, wie Außenminister Hans-Dietrich Genscher zwischen Reisen ins Weiße Haus und in den Kreml (Moskau, UdSSR) meinen Brief liest und dann sein Foto unterschreibt. Ich freute mich über die absurden Momente, in denen mir meine Mutter nicht ohne Stolz sagte: „Du hast Post vom Kanzler“. Nur als das Paket aus der DDR ankam, zweifelten meine Eltern an meinem Tun. Am Esstisch zog ich einen Ostberlin-Reiseführer und ein DIN-A 4 großes Bild von Erich Honecker aus dem Karton – zwar ohne Unterschrift, aber bunt. Ich ging in mein Zimmer und befestigte Honecker neben Kennedy, so dass Gegner und Fan des Kommunismus eine Nacht lang über meinen Schlaf wachten. Als ich am nächsten Tag aus der Schule kam, waren beide weg. Ich fragte meine Mutter und sie antwortete, dass das mit Honecker über dem Bett so nicht ginge. Kennedy, ja, den hätte sie noch verstanden. „Oder ein Bild deines Vaters.“ Irgendwann im Lauf der Pubertät, etwa mit 15, verlor mein Hobby plötzlich seine Faszination. Aber nicht für immer. 15 Jahre später entdeckte ich sie neu. II. Das Duell und der Sieger Im Mai 2008 zanken sich Hillary Clinton und Barack Obama bereits seit mehr als einem Jahr um die Nominierung für das Amt des US-Präsidenten. Clinton baut auf ihre Erfahrung als Frau neben Präsident Bill. Obama baut unter anderem auf eine Rede, die er 2004 auf dem Nominierungsparteitag seiner Partei gehalten hatte. Die Menschen weinten, noch während er sprach; später hieß es, der Mann könne den amerikanischen Traum neu erzählen. Die Republikaner schicken den eher liberalen John McCain in den Streit um die Nachfolge des Mannes, der sein Land in den Irak führte und der versuchte, die Welt in Gut und Böse zu teilen. Vielen Amerikanern scheint jeder wie ein Erlöser, der nach George W. Bush kommt. Wie anschaulich aber würde der Neustart einer Nation, wenn ihr eine Frau oder ein Schwarzer als Präsident vorstehen würde?

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Die Medien in den USA und auch in Deutschland sind von dem epischen Duell zwischen Clinton und Obama fasziniert und berichten ausdauernd von jeder Vorwahl. Obama gewinnt und ist schon im Frühjahr ein Teil der Geschichtsbücher: Er ist der erste schwarze Präsidentschaftskandidat. Selbst wenn er die Wahl verliert, wird er das Gesicht des Jahres, vielleicht des Jahrzehnts sein. Und weil Autogrammesammeln immer auch bedeutet, auf einfache Weise an der Geschichte teilzuhaben, die während des eigenen Lebens entsteht, fasse ich im Frühjahr einen Vorsatz: Ich will seine Unterschrift.


III. Erste Versuche „Wie komme ich an ein signiertes Foto von Barack?“ steht im Frage-Antwort-Bereich auf barackobama.com zu lesen und die Antwort lautet, dass Barack keine Zeit zum Signieren habe. Also fülle ich unter der Rubrik „Medien“ das Formular für Interview-Anfragen aus. Die Antwort von Obama persönlich kommt nach Sekunden. Ich bin nun einer von Millionen Empfängern seines Newsletters. Das letzte Wort lautet immer: „Donate“. Spende für den Wahlkampf! Ich frage John E. Schlimm, einen Kolumnisten des US-Magazins „Autograph“, was er tun würde. Er erzählt, dass er, noch ehe Obama im Februar 2007 seine Kandidatur bekannt gab, zwei Bücher mit der Bitte um Signatur in Obamas Büro geschickt hatte. „Nach einigen Monaten kamen sie zurück“, erinnert sich Schlimm. „Mit einer, wie ich glaube, Autopen-Unterschrift.“ Der Autopen ist eine Maschine, mit der man Unterschriften kopieren kann. John sagt, ich müsse zu einer Wahlveranstaltung gehen. Er gibt mir zwei Tipps: „Erstens früh da sein und vorne stehen. Zweitens am besten Bücher des Kandidaten oder Kampagnenposter zum Signieren mitbringen.“ Dann legt er mir noch sein eigenes Buch ans Herz: „The Ultimate Beer Lover’s Cookbook.“ Anfang Juli gibt es Gerüchte, nach denen Obama nach Berlin kommen soll. Ich suche den Kontakt zu den „Democrats Abroad Germany“ und lese in einem Zeitungsartikel von Shari Temple, der zweiten Vorsitzenden der Auslandsdemokraten und einzigen Delegierten aus Deutschland, die zum Nominierungskonvent im August nach Colorado reisen wird. Temple wohnt, stellt sich heraus, nur 800 Meter von meinem Haus entfernt. Doch sie ist auf Reisen und ihr Mann macht mir nur bescheidene Hoffnungen: „Mit Autogrammen kann sie dir sicher nicht helfen.“ IV. Obama in Berlin Donnerstag, 24. Juli, ich bin in Berlin. Es ist kurz vor halb elf Uhr am Morgen, der Himmel ist blau und vom Flughafen Tegel schwebt ein Hubschrauber Richtung Kanzleramt, wo Fotografen mächtige Objektive zwischen die Gitterstäbe des Zaunes halten, der den Weg zur Kanzlerin versperrt. Der Hubschrauber kommt näher und es scheint, als ziehe er an einem unsichtbaren Faden auf der Straße die Kolonne weißer Jeeps heran, die kurz vor elf Uhr durch das Tor auf das Gelände des Kanzleramtes fährt. Er ist da. Gegen 12 Uhr fährt die Abordnung zum Hintereingang des Hotel Adlon. Eine Stunde später sehe ich in den Nachrichten eine Eilmeldung: Adlon wegen eines verdächtigen Päckchens gesperrt. Wieder eine Stunde später stellt sich heraus, dass darin ein Buch von Obama steckte. Ein Sammler hatte es mit der Bitte um eine Unterschrift abgegeben.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Gegen 14 Uhr beobachte ich am Auswärtigen Amt ein vertrautes Bild: Hubschrauber, Jeeps, Obama winkt hinter getönten Scheiben und verschwindet. Er trifft Außenminister Steinmeier und noch jemanden, wie ich am nächsten Tag in der Zeitung lese: „Es gibt ja noch den überglücklichen Gert Weisskirchen. Der ist nicht nur SPD-Bundestagsabgeordneter. Er ist auch der Vater von Nicole. Weil die sich eine Widmung von Obama wünschte, ist Weisskirchen vorhin im Auswärtigen Amt zu ihm gegangen. Erfolgreich. Dream your dreams! steht jetzt im Buch der Tochter.“ Obamas Rede ist für 19 Uhr angekündigt. Als sich gegen 16 Uhr der Einlass öffnet, bin ich nicht dabei. Es gibt Gerüchte, Obama laufe mit Bürgermeister Klaus Wowereit durch das Brandenburger Tor. Deshalb warte ich gemeinsam mit gut 2 000 Menschen vor dem Adlon. Gegen halb vier kommt Klaus Wowereit zum Hotel, er bringt Obama das Goldene Buch der Stadt. Eine Stunde später kommt er wieder und flaniert lächelnd über den Pariser Platz. Ohne Obama, aber mit Autogramm im Goldenen Buch. In die erste Reihe vor der Siegessäule schaffe ich es nun nicht mehr. Mir bleibt, um meine Chance zu wahren, nur der Pressebereich, der lediglich 20 Meter vom Rednerpult entfernt ist. Mit einem befreundeten Kollegen vom Spiegel und Benjamin von Stuckrad-Barre, der für die BZ hier ist, stehe ich in der Schlange zur Sicherheitskontrolle. Innen sehen wir heute journal-Moderator Claus Kleber, der bis zur Orangefarbigkeit geschminkt ist. Stuckrad-Barre fragt sich, ob es wohl einen „Ich bin ein Berliner“-Satz geben werde? Wie der lauten könnte? Doch dann kommt der Hubschrauber. Obamas Rede vor 200 000 Menschen klingt wie eine Predigt. Er spricht von Berlin als der „City of all Cities“, er sagt: „This is the moment when we must come together to save this planet.“ Immer wieder leitet er Passagen mit „This is the moment“ ein und bald hat man das Gefühl, gerade sehr große Rhetorik zu hören.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

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Nach der Rede geht er von der Bühne und zur ersten Reihe. Ich bin irritiert, weil ich erwartet hatte, dass er zügig verschwinden würde. Ich steige über die Absperrung zum Zuschauerbereich, dränge mich nach vorne, ziehe einen Stift und den stern aus meiner Tasche, der am Morgen bei Freunden auf dem Sofa lag. Ich drücke mich zwischen den Menschen hindurch, rieche Schweiss und Urin (einige haben lange in der Hitze gewartet) und stoße schließlich auf eine vielleicht drei Meter dicke Wand aus Menschen. Ich lehne auf dieser Wand und strecke meinen Stift ins Nichts. Drei Meter, näher komme ich nicht heran. Ich kann seine Haare sehen und dann, wie entlang der ersten Reihe Menschen ihre Handys für Fotos in die Luft recken. Obama entfernt sich. Keine Chance. In der BZ schreibt Stuckrad-Barre am nächsten Tag: „Tatsächlich, wir hörten einem Politiker zu. Es ging ums so genannte große Ganze, und trotzdem hatte man nicht eine Sekunde das Gefühl, da labere einer.“ Auf der ersten Seite der Bild lächelt eine Reporterin neben Obama. Wowereit hat ein Autogramm. Nicole Weisskirchen auch. Ich nicht.


V. Die Reise durch Amerika Der Gedanke an ein Autogramm kann zur Obsession werden. Als 13-Jähriger hatte ich zum Beispiel einen Traum. Darin klingelt es an der Haustür und Michail Gorbatschow fragt nach einem Glas Wasser. Ohne Zögern laufe ich zum Telefontischchen mit den Zetteln und den Stiften und rolle einen Kugelschreiber nach dem anderen über das Papier, doch keine der Minen färbt ab. Die Kulis sind vertrocknet. Meine Mutter bringt Gorbatschow das Glas Wasser, er trinkt, sagt Danke und verabschiedet sich. Ich eile ihm nach, doch in der Tür gefriert meine Aktion zum Standbild und ich sehe Gorbatschow fahren. Gut 17 Jahre später träume ich Ähnliches. Ich treffe Barack Obama in Frankfurt am Main und frage nach einem Autogramm. Er ist freundlich und will signieren – aber alle meine Filzstifte sind vertrocknet. Anfang Oktober fliege ich in den Westen der USA, nach Idaho. Gemeinsam mit Freunden will ich nach Osten reisen, in der Hoffnung, unterwegs in die Nähe eines der Wahlkampfauftritte von Obama zu kommen, die meist nur drei Tage im Voraus auf seiner Website angekündigt werden. Wir fahren durch den frühen Schnee Montanas, durch den Nebel Wyomings und durch die Kälte South Dakotas, ehe wir im frühlingswarmen Minnesota ankommen. Jeden Tag sehe ich online nach den Terminen, doch immer ist Obama im Osten des Landes, wo in wenigen Staaten viele entscheidende Wahlmännerstimmern vergeben werden. Nur einmal ist seine Frau Michelle in St. Paul, gleich neben Minneapolis, Minnesota. Ich fahre zu der College-Turnhalle, in der sie spricht, in der ihr 4 500 Menschen zujubeln, als sie sagt: „Barack ist einer von den Typen, die glauben, dass sie fliegen können.“ Als ich nach dem Auftritt kurz auf Obamas Website schaue, sehe ich einen neuen Termin: „Donnerstag, 16. Oktober: Community Gathering mit Barack Obama in Londonderry.“ Das ist an der Ostküste. Tickets sind kostenlos, müssen aber persönlich abgeholt werden. Ich rufe im Wahlkampfbüro in Manchester, nahe Londonderry, an und frage, ob es noch Karten gibt. „100 sind noch da“, sagt Kathy. Ich frage, ob sie mir eine beiseite legen kann. Sie sagt: „Nein.“ Als ich am Abend vor Obamas Rede am Flughafen von Manchester, New Hampshire, ankomme, wähle ich wieder die Nummer des Wahlkampfbüros. „Kathy, ich bin jetzt hier.“ – „In Manchester?“ – „Am Flughafen.“ – „Ämm . . . “ – „Habt ihr noch Tickets?“ – „Nein, also, Moment . . . (Pause) Komm mal vorbei.“ Elmstreet 359 in Manchester ist ein Kampagnenbüro, mehr noch ein Callcenter. Von der Decke hängen Telefonkabel und als ich am Abend ankomme, telefonieren Freiwillige und erklären fremden Menschen am Telefon, was Obamas Health Care Plan bedeutet. Der Pressereferent erzählt, dass er vor einem Jahr seinen Job gekündigt habe, um hier zu sein. Er ist 23. Kathy ist 22 und war arbeitslos, ehe sie ihren Platz am Telefon bezog. Mitten im Raum steht eine Pappfigur von Barack Obama. Jemand hat einen Zettel an seinem Kopf befestigt und eine Denkblase aufgemalt. „Thank you!“ steht da. Nie hat ein Kandidat für die Präsidentschaft so viele junge Erwachsene mobilisiert. Der Raum wird dunkel, 21 Uhr, die dritte TV-Debatte zwischen McCain und Obama beginnt. McCain spricht von „Joe the Plumber“, Elmstreet 359 lacht. Barack Obama spricht von der Wirtschaftskrise, Elmstreet klatscht. Kathy stellt mich einem Studenten vor, der auch hier im Büro arbeitet. „Du bist extra aus Deutschland gekommen?“, fragt er. Ich nicke. Er schüttelt den Kopf, nimmt mich zur Seite und drückt mir ein rosafarbenes, bedrucktes Zettelchen in die Hand. Das Ticket für die Rede. VI. Ganz nah dran Am nächsten Morgen stehe ich um kurz nach acht Uhr vor Mack’s Apples, dem Hof eines Apfelbauern in Londonderry. Ich gehöre zu den Ersten in der Schlange, um 10 Uhr ist Einlass und im Hof komme ich in der zweiten Reihe vor dem Rednerpult zum Stehen. Das Mikrofon ist nur vier Meter entfernt. Kurz nach 12 Uhr spricht dort eine Pfarrerin ein Gebet, eine Arbeitslose verlangt „Change“ und der Gouverneur von New Hampshire begrüßt Barack Obama: Während er in Berlin hinter der Siegessäule hervorkam, tritt er nun zwischen Heuballen und schmückenden Kürbissen hervor und läuft über einen improvisierten Laufsteg zum Pult. In diesem Moment beginnt es zu nieseln, aber Obama baut trotzdem wieder seine Rampe aus wohlgewählten Worten, die seine Zuhörer von der dritten TV-Debatte zu seinen Steuerplänen, zum Krieg im Irak und schließlich zu seiner Idee von einem neu vereinten Amerika führt. Gegen Ende flammt Applaus auf und verebbt nicht mehr. Er spricht in diesen Applaus hinein, was die Dramatik erhöht und den Applaus befeuert, dann ist Schluss: „You and I together, we gonna change the country, God bless you“.

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Es kommt der Mann, der die Bücher sammelt, die Obama signieren soll. Er sieht mein Heft, sagt „Nein“, geht weiter. Nach einem Moment rufe ich mit Verzweiflung: „Ich bin dafür aus Deutschland gekommen.“ Er dreht sich um und zieht seine Stirn in Falten. Dann kommt er auf mich zu, schaut auf die deutschen Worte in der Überschrift zu dem Bild auf der Wiese in Montana und sagt schließlich: „Schreib deinen Namen drauf.“ So geht er nun, mit einem Stapel Bücher und einem Magazin dazwischen. Dann kommt Barack Obama. Schüttelt Hände, meine Hand, die anderen Hände und ich schätze eilig die Zahl der Hände, die er seit Bekanntgabe seiner Kandidatur berührt haben muss. 250 000? In einer Fernsehdokumentation sagt ein Politikberater am Abend, Obama sei ein Poet. Seine Reden seien wie Gedichte und das sei vielleicht der wahre Grund, warum ihm die Menschen zuhören: Er erzähle tatsächlich den amerikanischen Traum neu.

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Illustration: Julia Schubert

Die Zuschauer verlassen fröhlich den Hof, die Autogrammsammler warten ungeduldig. Es regnet jetzt. Nach 45 Minuten kommt eine Frau mit einem Bücherstapel zwischen den Händen. Dann ein Junge mit Büchern. Sie rufen jeweils den Namen, der vorne im Buch steht. Es wird leer im Hof, ehe noch eine Frau mit noch einem Stapel Büchern kommt, auf dem ein Magazin liegt. Sie ruft meinen Namen. Das Heft ist jetzt zugeklappt. Mit nassen Fingern blättere ich nach den Seiten 32 und 33. Ich klappe das Papier auseinander und sehe den Himmel über Montana. Die Unterschrift. Ein Stück Geschichte. Ich hüpfe durch den Regen. Fast wie ein Zehnjähriger. ENDE

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Text: peter-wagner - Fotos: pw; dpa

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