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Mädchen, findet ihr es cool, wenn wir uns für euch prügeln?

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Ich habe einen Traum: Ich sitze mit meiner Freundin in der U-Bahn, wir sind auf dem Nachhauseweg, es ist schon spät. Plötzlich steigen zwei angetrunkene Männer zu. Sie sind groß, zwei Köpfe größer als ich. Beide haben einen rasierten Schädel – es könnten auch Nazis sein, ich bin mir nicht ganz sicher. Jedenfalls pöbeln sie rum, machen Lärm und spucken auf den Boden. Dann entdecken sie meine Freundin und mich. Einer von beiden sagt so etwas wie „Heee, geile Sau!“. Ich reagiere nicht, ich will ja keinen Ärger. Aber die zwei hören nicht auf, sie pöbeln meine Freundin weiterhin an. Plötzlich geht der eine – er trägt eine verschlissene Bomberjacke – auf sie zu. Er fasst sie an, er zieht sie an den Haaren. Jetzt reicht’s. Ich springe auf und sage ihm: „Lass das.“ In diesem Moment kommt sein Kumpel, schubst mich und verpasst mir eine Linke. Ich bin kurz benommen, dann aber gehe ich zum Angriff über. Mit einem Sprungkick ans Kinn strecke ich den ersten Angreifer nieder. Seinen Kumpel mit der Bomberjacke erledige ich nach einem kurzen Schlagabtausch mit einem gezielten Schlag ans Nasenbein. Im selben Moment hält die U-Bahn am Bahnhof. Meine Freundin und ich rennen aus dem U-Bahn-Schacht in die Oberfläche. Dort küsst sie mich und sagt: „Du hast mich gerettet.“ Vielleicht kommt dann noch eine Boulevard-Zeitung und bittet mich um ein Interview. Am nächsten Tag prangt dann mein Foto in der Zeitung, Überschrift: „Dieser Held rettete ein Mädchen vor fiesen U-Bahn-Schlägern“. Das ist aber nur ein Traum. Die Realität sieht eher so aus: Ich stolpere mit 1,8 Promille durch das Bierzelt auf dem Oktoberfest. Meine Freundin ist genervt, weil ich seit einer halben Stunde einen Monolog über die Finanzkrise halte. Kurz vor dem Klo steht plötzlich so ein schmieriger Rosa-Hemden-Träger vor uns. Er sagt irgendetwas zu meiner Freundin, das sie zum Lachen bringt. Dann guckt er mich komisch an. In diesem Moment erinnere ich mich an dem oben beschriebenen Traum. Der Rosa-Hemden-Träger mit der Gelfrisur wird zum fiesen Nazi, dem Einhalt geboten werden muss! Klar: Jetzt ist die Gelegenheit, zum Held zu werden! Ich bin Jackie Chan und kämpfe einen gerechten Krieg gegen eine rosagekleidete Meute von Fieslingen! Die ganze Geschichte endet dann in einer für alle Beteiligten ziemlich peinlichen Situation. Mein Jackie-Chan-Kick hat nicht funktioniert, weil ich in einer Pfütze aus Bier und Erbrochenen ausgerutscht bin. Das rosa Hemd wird von zwei seiner Freunde in Polo-Shirts zurückgehalten, meine Freundin schüttelt nur frustriert den Kopf und spricht den Rest des Abends kein Wort mehr mit mir. Am nächsten Morgen ist mir das alles unglaublich peinlich. Sich zu prügeln, ist nüchtern betrachtet eine ziemlich entwürdigende Angelegenheit, das ab der Mittelstufe unter „Verhaltensauffälligkeit“ zu verbuchen ist. Schlägern ist etwas für Grundschulkinder, brünftige Hirsche und Brad Pitt in „Fightclub“. Echte Männer lösen ihre Konflikte friedlich. Trotzdem ist mein Traum doch irgendwie cool, oder nicht? Wie findet ihr es, wenn wir uns prügeln, für euch? Auf der nächsten Seite liest du die Antwort der Mädchen


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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ha! Ihr hofft also, wir finden es bewundernswert und archaisch-männlich, wenn euer Beschützerinstinkt euch das Hirn ausschaltet und ihr eure Fäuste schwingt. Um ehrlich zu sein: Wir finden es in den meisten Fällen unglaublich anmaßend, wenn ihr euch Neandertalermäßig auf die Brust schlagt, vor uns postiert und irgendwelchen dahergelaufenen Typen eins über die Birne ziehen wollt. Und dass es am Ende meist kläglich endet, macht uns auch nicht unbedingt bessere Laune. Wenn es zu solchen Szenen kommt, seid ihr fast immer ordentlich betütert und habt euer Urteilsvermögen vor zwei Bieren unterm Tisch verlegt und seid auf einem ganz eigenartigen Trip unterwegs. Irgendetwas muss noch passieren, sonst ist es offensichtlich ein verlorener Abend, also schaut ihr euch noch nach ein bisschen Action um. Ahh, da steht ja eure Freundin und irgendein Affe verletzt eure territorialen Rechte, indem er es tatsächlich wagt, sie anzusprechen. Ihr also: Breitbeinig hingewankt, einmal „Heywassengsueigentlichwerdubiss?!“ gebrüllt und gleichzeitig die imaginären Ärmel hochgekrempelt. Wir so: „Ja, super! Gleich heult einer…“ Und am liebsten würden wir euch jetzt eine reinhauen oder euch zumindest anschreien: „Was denkst du eigentlich, wer du bist?!“ Unser Besitzer? Der meint, darüber entscheiden zu dürfen, wer wann mit uns spricht? Glaubt ihr, wir können nicht selbst ganz gut einschätzen, wann wir uns belästigt fühlen? Seid ihr also im tiefsten Inneren davon überzeugt, dass eure Freundin euer Eigentum ist und sich bei euch ein Okay abholen muss, bevor sie mit anderen Menschen spricht? Geht’s noch irgendwie? Statt stolz zu sein auf euch, kriegen wir da Angst und überlegen, ob euer betrunkenes Handeln auf tief vergrabene Überzeugungen deutet, die ihr bislang erfolgreich vor uns verheimlicht habt. Dass ihr wirklich dieses vage Ding, das ihr „unsere Ehre“ nennt, verteidigen wollt, das nehmen wir euch auch nicht ab. Ihr wollt euch einfach ein bisschen abreagieren und denkt, einen Grund dafür zu benötigen. Und als Vorwand für ein paar Watschn missbraucht zu werden, das gefällt uns genauso wenig. Lasst es bleiben. Bitte. Träumt euren Traum weiter. Im echten Leben würde ein bisschen Courage oft schon helfen. Wenn ihr zum Beispiel seht, dass da in der U-Bahn neben euch tatsächlich ein Mädchen belästigt wird, geht hin und bietet eure Hilfe an. Das ist dann zwar nicht ganz so actiongeladen, wie im Traum. Aber es hilft. Und ist mutig. christina-waechter

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