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„Brüh im Lichte dieses Glückes“ – Bericht von der Einbürgerungsfeier

Text: Tastentiger
Am Dienstag war ich bei der Einbürgerungsfeier. Nicht bei meiner. Ich bin bereits von Geburt an deutschen Blutes. Meine Einbürgerungsfeier fand im Kreißsaal statt und bestand aus einem Klaps auf den nackten Arsch, willkommen in der BRD, kleiner Tiger. Sondern bei ihrer. Sie hat zwar auch in einem deutschen Kreißsaal von einem deutschen Arzt die Back(en)pfeife verpasst bekommen, ging in einen deutschen Kindergarten, eine deutsche Schule, machte eine deutsche Ausbildung bei einem deutschen Unternehmen, hat eine deutsche Lohnsteuerkarte, fährt ein deutsches Auto, zahlt deutsche Steuern an den deutschen Staat und spricht ein besseres Deutsch als so mancher deutsche Einbürgerungsbeamte, aber was juckt uns echte Deutsche das schon, wenn ihre Eltern jenseits unserer schönen deutschen Grenzen ihre Wurzeln haben. Gar nicht juckt uns das nämlich. Ist uns grad mal piep.



Wie auch immer, hier musste Abhilfe geschaffen werden. Also vor einigen Monaten ein paar Formulare ausgefüllt, Bündel Geldscheine auf den Tresen gelegt und gewartet. Irgendwann dann einem zuständigen Beamten unter anderem erklärt, dass eine Regierung auch durch ein konstruktives Misstrauensvotum abgesetzt werden kann, was ihn so sehr beeindruckte, dass er die Urkunde mit der Fetten Henne umgehend rausrückte. „Herzlichen Glückwunsch, Sie sind jetzt Deutsche!“ Na prima, hat doch alles wunderbar geklappt.



Ein paar Wochen danach kam dann die Einladung zur offiziellen Einbürgerungsfeier ins Haus geflattert.



„Gehen wir da hin?“, fragte sie mich.



„Klar gehen wir da hin!“, antwortete ich. „Guck doch, da gibt’s danach was zu essen.“



Also gingen wir hin. Letzten Dienstag.



„Was meinst du, wie viele Leute da kommen?“, fragte sie mich auf dem Weg zum Rathaus.



„Keine Ahnung – vielleicht so hundertfünfzig?“



Weit gefehlt! Locker vierhundert Neudeutsche zwängten sich in den Großen Saal des Gebäudes. Sämtliche Hautfarben, die der Herrgott sich ausgedacht hat, waren vertreten. Von Hellweiß bis Nachtschwarz, Asiaten, Europäer, Afrikaner, Säuglinge, Greise, alles, was es auf diesem Planeten so gibt. Sind alles Deutsche. Schon cool, hätte man sich vor fünfzig Jahren niemals vorstellen können.



Pünktlich, so wie wir vierhundert Deutsche nun mal sind, beginnt der Festakt, indem ein Kinderorchester sichtlich bemüht, aber schief, zwei Stücke zum Besten gibt. Die Mädchen und Buben lassen an ihren Gesichtszügen erkennen, dass sie alles geben, und das Thema „Vorzeichen“ ist ja bereits schon in Arbeit.



Dann spricht der Bürgermeister. Nachdem er den halben Gemeinderat begrüßt und einige launige Schoten über das Wetter abgelassen hat, hält er eine wirklich schöne Rede. Ich glaube ihm, dass er nichts gegen Fremde hat – sie sollten halt Maultaschen mögen. Er redet darüber, dass er sich freut, dass sich die neuen Mitbürger diese Stadt zum Leben ausgesucht haben. Dass in dieser Stadt die besten Autos der Welt gebaut und die die beste Software der Welt geschrieben wird. Dass es keinen Satelliten im All gibt, in dem nicht Technik verbaut ist, die in dieser Stadt hergestellt wurde und so sich niemals mehr irgendjemand aus dem Saal alleine fühlen muss, egal wo er auf dieser Welt grade ist. So wie er das beschreibt klingt das wie eine Drohung.



Er redet viel über gelungene Integrationspolitik. Integrationspolitik in den Familien, der Schule, am Arbeitsplatz, in Wirtschaft und Politik. Zwanzig Minuten schon redet er und ich beginne, gedanklich abzuschweifen. Gelebte Integrationspolitik – das kenne ich. Ich war mal mit einer Russin zusammen. Nachdem wir intensiv über einen längeren Zeitraum hinweg unsere primären Geschlechtsmerkmale ineinander integrierten, konzentrierte sich nach der Hochzeit die Integrationspolitik im Wesentlichen auf mein Bankkonto. Den horrend teuren Intensiv-Sprachkurs, den ich damals für sie bezahlt habe, konnte ich nicht mal als besondere Belastung von der Steuer absetzen. Heute hat sie nen dicken Beraterjob, den sie ohne die Sprachkenntnis niemals bekommen hätte und Herr Steinbrück freut ich über ihre Sozialabgaben. Soviel zum Thema Erfolge integrationspolitischer Anstrengungen in der Bundesrepublik innerhalb der vergangenen zehn Jahre.



Am Ende singen wir die Nationalhymne und stehen sogar auf dabei. Ich hab das Gefühl, dass außer mir keiner den Text kann, dafür kann ich ihn auswendig. Jetzt zahlt sich das intensive EM-gucken aus! An der Stelle „Blüh im Glanze dieses Glückes“ muss ich immer lachen, weil ich an Sarah Connor denke. So alleine unter vierhundert Leuten die Nationalhymne singen macht keinen Spaß. Vielleicht hätten wir was singen sollen, was mehr Menschen im Saal kennen. „Bamboleo“ von den Gipsy Kings oder so.



Danach schreiten wir zum angekündigten Imbiss im Obergeschoss. Angesichts der angespannten Haushaltslage des Stadtsäckels rechnen wir mit Schnittchen und ein paar Chipstüten.



„Jetzt weiß ich auch, warum die Einbürgerungsgebühr so hoch war“, meint sie, als wir im vierten Stock ankommen.



Von wegen Schnittchen und Chipstüten!



Warmes Buffet mit Seelachs, Nudeln, Rahmgulasch und Spätzle, dazu Wein, Bier und Alkoholfreies. Wow! Ich schnappe mir gleich zwei Teller. „Eigentlich hätte es ja auch einen Gutschein von McDonald’s getan“, denke ich mir, während ich versuche, mehrere Seelachsstücke zu einem Turm auf Teller Nummer zwei zu stapeln. Aber das wäre sicher nicht deutsch genug gewesen. Andererseits – wir leben in einer globalisierten Welt. Das hätte nach „Brüh im Lichte“ einen interessanten Kontrapunkt gesetzt, zumal wir jetzt wissen, dass anscheinend in jedem russischen Spionagesatellit gecrackte süddeutsche Software brav ihren Dienst gegen das Vaterland verrichtet.



Während wir in einem Eckchen genüsslich den vorzüglichen Rahmgulasch integrieren, steuert eine mittelalterliche Dame mit einem CDU-Sticker am Revers auf mich zu. Sie muss eine Gemeinderätin sein und hat dieses besserwisserische Grinsen aufgelegt, welches Parteisoldaten jeglicher Couleur mit sich tragen, wenn sie versuchen, ideologisch unverbrämte Menschen Samstags in der Fußgängerzone davon zu überzeugen, an der richtigen Stelle ein Kreuzchen zu machen.



„Dürfte ich Sie nach Ihrem Migrationshintergund fragen?“, posaunt sie mir enthusiastisch in den Gehörgang.



Ich schaue ihr einen Moment in die erwartungsvollen blauen Augen, während ich mit der Zunge ein paar Gulaschfleischfasern aus meinen Backenzahnzwischenräumen pople und herunterschlucke. Was soll ich ihr sagen?



„Wir sind Borg. Wir werden Euch assimilieren.“



Wenn ihr Gesicht nicht am Kopf angewachsen wäre, ich schwöre, es wäre mit einem lauten Krachen auf die Solnhofener Natursteinfußbodenplatten geknallt. Angewidert dreht sie sich um und wendet sich einem Mitbürger mit dunkler Hautfarbe zu, dessen Teint einen größeren Erfolg bei der Beantwortung ihrer Frage verspricht. Ich stelle fest: Bundesdeutsche Integrationspolitik findet Ihre Grenzen im interstellaren Raum.



„Komm, wir gehen“, sagt sie zu mir und zerrt mich Richtung Ausgang.



„Ohne Nachtisch?“



„Ja, mir reicht’s jetzt.“



Die Luft empfängt uns klar und kalt, als wir das Rathaus verlassen.



„So, jetzt bist du eine echte Deutsche“, sage ich betont pathetisch, während wir über den Marktplatz laufen.



„Naja, so richtig nicht. Ich hab ja zwei Staatsbürgerschaften.“



„Stimmt, das hab ich ganz vergessen.“



„Nur die tollen Leute haben zwei Staatsbürgerschaften.“



„Nee, nur die tollen bekommen die deutsche als einzige Staatsbürgerschaft. Diejenigen, die wir nicht so richtig mögen, denen lassen wir mal vorsichtshalber die alte, falls wir sie wieder rausschmeißen wollen.“



Wir albern ein bisschen durch die Nacht und sie fällt beinahe auf den Hosenboden, als sie auf dem nassen Kopfsteinpflaster ausrutscht.



„Weißt du was?“, fragt sie lachend, während sie ihre Klamotten zurecht rückt, „Gehst du mit mir noch schnell zu McDonald’s?“






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