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70 200 Zettel für die Gema

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Gegen den Bürokratismus der Gema und die Rückständigkeit des Urheberrechts will der Berliner Avantgarde-Musiker Johannes Kreidler Anfang September demonstrieren. Der 28-Jährige will ein Musikstück von 33 Sekunden Länge bei der „Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte“ (Gema) anmelden. Das Besondere: Das Stück besteht aus 70 200 Zitaten. jetzt.de: Kennst du Gregg Gillis? Johannes: Sagt mir nichts . . . jetzt.de: . . . seine Band heißt Girl Talk, er macht Musik nur aus Zitaten. Johannes: Das ist ja nichts Ungewöhnliches. Musik besteht schon immer auch aus dem Zitieren anderer Künstler. Beethoven hat das auch schon gemacht. Dank der technischen Entwicklung ist es heute nur sehr viel handlicher geworden. jetzt.de: Heute kann man zum Beispiel in ein Stück von 33 Sekunden über 70 000 Zitate einbauen. Johannes: Es sind sogar 70 200 . . . jetzt.de: . . . so viele musikalische Zitate verwendest du für dein Stück „product placement“. Johannes: Genau. Ich hätte noch sehr viel mehr verwenden können. Musik ist überall im Netz verfügbar. Darauf muss das Urheberrecht eingehen. jetzt.de: Um darauf hinzuweisen, wirst du das Stück bei der Gema anmelden und im September 70 200 Formulare einreichen? Johannes: Genau genommen ist es ein Formular mit 70 200 Anlagen. Und die werde ich am 12. September bei der Gema Generaldirektion hier in Berlin abgeben, genau.

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Illustration: Julia Schubert

Johannes jetzt.de: Wieviel Papier ist das denn? Johannes: Es sind drei mannhohe Türme, die werde ich mit meinem Team in einem Transporter dort vorbeibringen. jetzt.de: Glaubst du wirklich, dass das Papier auch bearbeitet wird? Johannes: Theoretisch müssten sie das machen, aber darum geht es mir letztlich nicht. Ich will darauf aufmerksam machen, dass dieses System der Gema nicht mit den technischen Entwicklungen mithält. Ich würde mir wünschen, bei meiner Aktion von der Generaldirektion mit offenen Armen und den Worten „Wir sind bereit fürs 21. Jahrhundert“ empfangen zu werden. Dann können wir aus dem Papier ein Freudenfeuer machen. jetzt.de: In dem kurzen Film zu dem Projekt nennt dich eine Frau von der Gema am Telefon „schräger Vogel“ . . . Johannes: . . . na ja, die Aktion ist vielleicht ungewöhnlich, aber es ist eine durchaus ernste Angelegenheit. Es geht mir um die Frage, ob eine derartige Verbarrikadierung von „geistigem Eigentum“ – ich würde im Zusammenhang mit Kunst lieber von Kulturgütern reden – der Menschheit nutzt, wo doch eben die Verbreitung von Kultur jetzt so wunderbar möglich wäre. jetzt.de: Du bist aber doch selber Künstler, wovon lebst du denn? Johannes: Es ist wie bei den meisten Künstlern so, dass ich von meiner Kunst alleine nicht leben kann. Deshalb unterrichte ich an der Hochschule und verdiene damit mein Geld. Ich unterrichte übrigens sehr gerne. jetzt.de: Also bist du doch auf das Urheberrecht angewiesen. Johannes: Ich bin auch nicht pauschal gegen das Urheberrecht, und übrigens auch nicht gegen die Gema. Im Gegenteil. Mir geht es darum, dass Kreativität möglich bleibt und nicht durch Gesetze unterbunden wird. Dass es dann zu einer angemessenen Bezahlung kommen muss, ist aber auch klar. Deshalb schlage ich vor, über andere Abgabenmodelle nachzudenken. Zum Beispiel über umfangreichere Abgaben auf Leermedien. Oder das, was in anderen Ländern unter dem Stichwort „Kulturflatrate“ verhandelt wird. jetzt.de: Also eine pauschale Abgabe für Kulturnutzung. Johannes: Herausfordernd daran ist, dass man um die Frage, was man unter Kultur verstehen will, nicht mehr rumkommt. Der Musikantenstadl und die sonstige industrielle Produktion von Musik zählt da für mich sicher nicht dazu, dafür wäre eher noch eine „Unkulturflatrate“ seitens der Macher fällig. Wenn über Musik und Urheberrecht gesprochen wird, geht es meist aber nur um diese industriellen Produkte. Das will ich ändern. Mehr über Johannes Kreidlers Projekt gibt es auf seiner Website. Mehr zum Thema Urheberrecht gibt's im Themenschwerpunkt auf jetzt.de

Text: dirk-vongehlen - Foto: Leowee Polyester

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