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Wie mich die Uni enttäuscht hat. Zum Beispiel Dr. Streite

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Ich hatte mal einen Dozenten, nennen wir ihn Dr. Streite. Dr. Streite stand kurz vor seiner Pensionierung, verfügte über keinen Internetanschluss und wünschte sich am Ende des Semester von den Studenten maschinengeschriebene Hausarbeiten. Wenn man in seiner Gegenwart versehentlich Wörter wie "Internet" oder "Google" erwähnte, erlitt Dr. Streite einen Tobsuchtsanfall und man musste sich die nächsten zwanzig Minuten seine Tiraden gegen alles Neue anhören und das Geschimpfe über die dumme Jugend, die das gute Alte verschmäht. Seit ich Dr. Streite kenne, hasse ich tatsächlich alles Alte. Dr. Streite war ein schrulliger Opa und Kulturkritiker. Wenn man ihm nicht gerade zuhören musste, hätte er einem eigentlich genauso gut sympathisch sein können. Gar nicht sympathisch ist mir das Uni-System, mit dem man sich online für Veranstaltungen anmelden muss. Es ist ungefähr so benutzerfreundlich wie ein nasses Stück Holz. Wenn man irgendwo draufklickt, weiß man nie, was passiert, jedenfalls nicht das, was man wollte. Ich bin mir bis heute nicht sicher, ob ich zu den Veranstaltungen im letzten Semester wirklich angemeldet war oder ich mich nur in irgendeiner kryptischen Vorreservierungsphase verheddert hatte. Man hat ein wenig den Eindruck, Dr. Streite habe das System entwickelt, um allen die Nutzlosigkeit des Internets vor Augen zu führen. Noch unsympathischer ist der Geruch an Universitäten. Es stinkt überall nach Kopiererstaub. Bevor ich mich an der Uni eingeschrieben hatte, wusste ich gar nicht, dass es überhaupt noch Kopierer gibt. Wozu auch? Man hatte doch jetzt STRG+C. Trotz STRG+C verbringe ich mittlerweile große Teile meiner Lebenszeit in der Schlange vor den Kopierern, umgeben von einer Wolke aus Feinstaubpartikeln. Vorher musste ich natürlich in Bibliotheken mit vollkommen absurden Öffnungszeiten ("Montags und Donnerstags 7.00 bis 9.30 Uhr") zwanzig Minuten nach dem Ordner suchen, aus dem ich kopieren wollte. Die Dozenten, die eingescannte Texte einfach ins Netz stellen oder JSTOR nutzen, kann ich an einer Hand abzählen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

So ähnlich ist es mit der Bibliotheks-Recherche. Von überall auf der Welt kann man ein paar Wörter eintippen und hat den Bruchteil einer Sekunde später alle Bücher aus all unseren Bibliotheken, die irgendetwas mit den Wörtern zu tun haben. Welches Wunder der Digitalisierung! Was hätte Schlegel, was hätte Herder, was hätte Was-weiß-ich-wer vor Freude gejauchzt, hätte er so was Tolles gehabt! Heute schätzt man es nicht besonders. Die Bibliothekarinnen erklären umso verbissener, wie man in Zettelkatalogen sucht, je bedeutungsloser Zettelkataloge werden. Überhaupt, Bibliotheken, das waren doch früher einmal Orte des Fortschritts. Jetzt fühlt man sich als Laptop-Besitzer dort so erwünscht wie ein Raucher bei der Schwangerschaftsgymnastik der AOK. Die Zahl der Steckdosenplätze wird vermutlich aus ideologischen Gründen gering gehalten. Wer das WLAN nutzen will, muss sich durch seitenlange Texte wühlen, die Informatiker für Informatiker geschrieben haben, und gibt irgendwann auf. Das sind alles Kleinigkeiten, aber Kleinvieh macht ja nicht nur Mist, sondern auch die Zukunft aus. Irgendwann wird jedes Buch der Welt zu jeder Zeit und kostenlos auf meinem digitalen Papier mit Bluetooth-Anschluss verfügbar sein. An der Uni wird man sich dafür allerdings nicht so sehr interessieren und den Erstsemestern lieber noch mal den Zettelkatalog erklären. Nicht jede Neuerung ist eine Verbesserung der Welt und Geld sowieso immer Knapp. Aber Technik ist ja keine rein materielle Frage, es geht darum, sie richtig einzusetzen, mit Neugier nämlich. Am besten zu dem Zweck, zu dem sie einmal erdacht worden war: um dem Mensch das Leben so einfach wie möglich zu machen. Wenn es aber zwei Dinge gibt, die Dr. Streite nicht ertragen konnte, dann waren es das Neue und das Komfortable. Und obwohl er nicht mehr da ist, ist beides an der Uni immer noch nicht gern gesehen. Das zweite noch viel weniger als das erste. "Macht das Internet doof?" titelte der "Spiegel" kürzlich. Dr. Streites Antwort auf diese Frage wäre klar gewesen, und sie hätte in einer weiteren Schimpftirade geendet. Dabei macht gar nicht das Internet doof. Im Kopiererstaub zu stehen, das macht doof.

Text: lars-weisbrod - Illustration: Eva Hillreiner

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