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Tuk-Tuk, Speed-Speed oder Fuck Fuck?

Text: ThomasTomson
Vang Vieng ist eine kleine Stadt in Laos. Es ist die Sporthochburg der vielen Backpacker die seit den 90ern in das kleine, verschlafene Land strömen. Ich bin einer dieser Rucksacktouristen und sitze im Bus, der soeben den Busbahnhof des kleinen Städtchens erreicht. Taxifahrer warten vor ihren Fahrzeugen. Kinder drängeln sich vor den Bus und betteln. Sie werden weggedrängt von den Werbern der umliegenden Gasthäuer, die mit Fotos in der Hand ihre Angebote präsentieren. Die alten Obstverkäuferinnen sind zu schwach, um vorne an der Eingangstür des Busses mitzueifern. Mit ihrem Angebot klopfen sie an die Scheiben des Busses, der gerade einparkt .



Die Polizei greift ein, sperrt den Weg für uns Touristem ab und schlägt auf die Meute ein. Beim Aussteigen komme ich mir vor wie ein Popstar auf Welttournee. Traurig ist nur der Gedanke, warum ich so umjubelt werde: Ich trage die Hälfte des Jahreseinkommens eines laotischen Arbeiters bei mir, das bei ungefähr 600 Dollar liegt.

Ich nehme mir ein Taxi zu meinem Gasthaus. Ich checke schnell ein, werfe meinen Rucksack ins Zimmer und mache mich sofort wieder auf den Weg, um mir die Stadt anzuschauen. Ich laufe durch die Hauptstraße. Überall sehe ich Backpacker. Sie kommen aus England, Schweden oder Deutschland. Sie sitzen in den Internetcafés, telefonieren und laden sich Musik auf ihre teuren MP3-Player. Aus den umliegenen Bars höre ich das Gegröhle der betrunkenen Touristen. Die zwei beliebtesten Bars sind die Simpsons- und die Friends Bar. Die spaßsüchtigen Reisenden liegen auf Holzbänken und lassen sich von den Laoten bedienen. Mushroomshake und Hanfpizza stehen auf der Speisekarte. Zugedröhnt wird hier eine Sitcomfolge nach der anderen geschaut – Friends oder die Simpsons, was sonst.



Ständig kommen mir junge Menschen entegegen. Sie haben große gelbe Gummireifen in der Hand und sind auf dem Weg zum Nam Xong, einem kleinen Fluss der durch Vang Vieng fließt. Fast drei Stunden dauert die ihnen bevorstehende rasante Fahrt zurück in die Stadt. Beim sogenannten Tubing liegen sie wie in einer Badewanne im Reifen, einen Joint oder ein Bier in der Hand. Am Flussufer sind Bars aufgebaut. Aus ihren Boxen schallt weithin hörbare Drum&Base-Musik. An langen Seilen schwingen sich die Betrunkenen wie Tarzan über den Fluss und lassen sich ins Wasser fallen. Von Laoten werden sie mit Stangen wieder herausgezogen, damit sie den für sie bereitgestellten Whiskey schnellstmöglich konsumieren können.



„Do you want massage“ schreien hübsche laotische Mädchen den Backpackern zu, die auf der Straße spazieren gehen. Überall stehen Mopedfahrer, die ihre Dienste anbieten. Jeder stellt die gleichen Fragen: Wanna tuk-tuk, speed speed, fuck fuck? Ich biege in eine Seitenstraße ein, entferne mich immer weiter vom Stadtkern. Je weiter ich laufe, desto weniger bin ich das Objekt der Verkäufer. Keine Taxen, keine Drogen, keine Frauen. Die lauten Bässe aus den Boxen der Touristenbars verblassen. Ich gelange in ein Wohnviertel. Hinter parkenden Autos und einem löchrigen Gitterzaun rennen kreischende Kinder um eine Tischtennisplatte. Ich schaue dem Spiel eine Weile zu. Ein Junge mit Schulrucksack kommt an den Zaun „Do you wanna play“ fragt er mich. „I don't know“ entgegne ich unsicher. Eigentlich habe ich mir vorgenommen, Abstand zu halten. „Come on, let's try it“ muntert mich der Junge auf. Er hält mir einen Schläger vor die Nase. Ich nehme ihn unwillkürlich. Wahrscheinlich werde ich dafür gleich teuer bezahlen, denke ich. Die anderen Kinder mustern mich abwartend. Sie lachen und flüstern. Der Junge mit Rucksack erzählt mir, dass er Englischstudent ist. Er heißt Xan und hat heute keine Lust auf die Vorlesung. Er spielt lieber Tischtennis.



Verkrampft versuche ich, den Ball übers Netz zu schlagen. Ich überlege mir, wie unangenehm es wäre, ihn zu besiegen. Genauso peinlich wäre es aber, gnadenlos zu verlieren. Doch beim Einspielen wird mir bewusst, wieviel Spaß mir das Spielen macht. Mit dem Ball und dem Schläger in der Hand vergesse ich wo ich bin. Mein Gegner spielt recht stark. Ich kenne diesen Jungen nicht, lerne aber schnell seine Stärken und Schwächen kennen. Ich spiele ihn immer wieder auf die Rückhand an, da hat er Probleme. Er schneidet sehr gut. Ich bin vorsichtig, haue nicht gleich drauf, sondern veruche, den Ball auf der Platte zu halten. Die Fehler von ihm werden schon noch kommen. Doch gegen seine Angaben bin ich einfach machtlos. Das Spiel wird besser. Wir sind jetzt eingespielt, der Ball bleibt länger auf der Platte. Vom Rückhandspiel wechsel ich auf die Vorhand, die Bälle werden härter. Beide entfernen wir uns immr mehr vom Tisch, da die Bälle immer weiter fliegen. Seine stärkste Waffe ist es, mitten im Schlagaubtausch der Schmetterbälle abrupt kurz hinter das Netz zu spielen. Ängste wie „was mache ich, wenn ich gewinne?“, „will er mir mein Geld abknöpfen“, oder „wie komme ich hier wieder weg“ verfliegen im Spiel. Xan besiegt mich ganz knapp. Die kleineren Kinder sind beeindruckt. Sie klatschen. Xan und ich setzen uns neben der Platte auf den dreckigen Boden. Xan hat zwei Wasserflaschen dabei, fragt mich, ob ich trinken will. Wir schauen den kleinen Kindern zu, wie die uns nacheifern. Xan will wissen woher ich komme und wieso ich nach Laos reise. Ich erzähle ihm, dass ich Deutscher bin und eigentlich ein Studium anfangen wollte, mich dann aber doch erst einmal für eine Auszeit entschieden habe, um über meine Zukunft nachzudenken.



Später fährt mich Xan bis vor die Tür meines Gasthauses. Es ist schon spät. Die Lichter der Pension sind erloschen. Ich habe keinen Schlüssel. Durch die Fenster kann ich in die untere Etage schauen. Im Flur sitzt ein kleiner Buddha an der Wand. Er ist verziert mit bunten Bändern. Vor ihm steht eine Flasche Wasser sowie etwas zu Essen. Auf dem Teppich in der Mitte des Zimmers liegen die Kinder meines Gastgebers. Der Fernseher läuft. Ich klopfe. Halbschlafend erhebt sich ein kleines Mädchen, schließt die Tür auf, als wenn sie es schon tausendmal gemacht hat. Sie beachtet mich gar nicht und legt sich wieder schlafen. Ich steige über die Kinder und öffne leise die Tür meines Zimmers. Ich brauche nicht lange um einzuschlafen.

Die Sonne ist noch nicht mal aufgegangen. Ich liege in meinem Bett und höre laute Motorengeräusche. Ich laufe auf den Balkon, schaue in den Hof, um zu sehen woher der Lärm kommt. Jetzt erkenne ich Xan, der auf seinem Roller sitzt und grinst: „I just thought you need a lift to the bus-station“.



Wenig später sitze ich hinter ihm auf dem Roller. Ich überlege mir ob er Geld von mir verlangen wird - so wie die Taxifahrer gestern, die darum gekämpft haben, mich in ihren Wagen zu kriegen? Ich erinnere mich auch an einen Jungen, den ich Tage zuvor kennegelernt habe. Er war Dj und legte laotischen Hip Hip am Flussufer auf. Ich dachte mir, dass eine laotische HipHop-Cd ein aussergwöhnliches Souvenir sei und kam mit ihm ins Gespräch. Er schenkte mir eine CD. Da er mir noch mehr Platten mitbringen wollte, verabredeten wir uns zum Billardspielen. Während ich Getränke an der Bar bestellte, klaute mir er mir meinen Ipod.

Xan bremst direkt vor meinem Bus. Ich greife verlegen zu meinem Geldbeutel und will ihm einen Schein reichen. Aber Xan weigert sich beharrlich das Geld anzunehmen. Ich bin schließlich in seinem Land, da bin ich Gast, sagt er, verabschiedet sich herzlich und fährt davon.

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