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Die neuen Wächter der Stadt

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jetzt.de hat mit Juliana Pantzer, 28, Stadtplanerin und Diplom-Geographin und Vorstandsmitglied bei HausHalten über den Wohnungsleerstand in Leipzig und die Funktion der Wächterhäuser gesprochen.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Ein Wächterhaus in Leipzig Der Verein HausHalten hat sich Ende 2004 in Leipzig gegründet. Was ist die Idee dahinter und was sind eure Ziele? Der Verein hat das Ziel städtebaulich und denkmalspflegerisch wichtige Bausubstanz zu erhalten. Wir sind alles in Leipzig aktive Leute, die das schöne Stadtbild, vor allem das gründerzeitliche, erhalten wollen. Insbesondere wollen wir den Leerstand an den Hauptverkehrsstraßen mindern, der in Leipzig immer noch recht hoch ist. Dort finden sich viele unsanierte Gebäude. Diese sind aber auch die Prägnantesten in der Stadt und prägen das Stadtbild. Bewohnern und auch Besuchern fallen sie als erstes auf. Wenn diese Häuser weiter verfallen geht mit ihnen auch ein Teil der Identität der Stadt verloren, deshalb konzentrieren wir uns vor allem auf sie. Die meisten von euch arbeiten ehrenamtlich im Verein. Was macht ihr hauptberuflich? Wir sind Privatleute, die aber beruflich als Architekten, Stadtplaner, Geographen oder Bauingenieure tätig sind. Wir können also Fachwissen aufweisen, wohnen aber auch mit Herzblut in der Stadt. Zusammen mit den Eigentümern setzt der Verein Gründerzeithäuser soweit wieder in Stand, dass sie benutzbar sind. Wer zieht in solche Häuser ein? Wir sind kein Wohnprojekt. Unser Ziel ist es nicht unbedingt, Wohnungen zu schaffen oder herzurichten, da vor allem an den Hauptstraßen das Wohnen gar nicht so attraktiv ist. Wir suchen eher andere Nutzungen. Beispielsweise für Vereinsräume, Existenzgründer oder auch für Künstler, die Ateliers oder Galerien brauchen. Das Wohnen kann an anderen Stellen in Leipzig viel attraktiver sein und wir wollen den Wohnungsanbietern auch keine Konkurrenz sein. Unser Hauptziel, die Häuser zu erhalten, können wir am besten erreichen, indem jemand das Haus nutzt und merkt, wenn etwas geklaut wird oder kaputt ist. Wer ist in euren Wächterhäusern Wächter? Zahlreiche Vereine wie Integrationsvereine oder ein Deutsch-Spanischer-Freundschaftsverein. Ebenso Kunststudenten, die hier ihre Ateliers und Galerien haben, vor allem eben soziale und kulturelle Projekte. Es gibt auch einige Wohngruppen. Das ist nötig, da einige Häuser in Problemquartieren stehen. Dort ist der Immobilienmarkt noch nicht hingekommen oder traut sich nicht, dort zu investieren. Dahin gehen wir dann. Oftmals gibt es jedoch auch soziale Probleme, so dass es notwendig ist, durch die Wohnnutzung Vandalen nachts draußen zu halten. Muss ich bestimmte Kriterien erfüllen, wenn ich in einem der Wächterhäuser Räume nutzen möchte? Wir lassen uns von den potenziellen Nutzern vorab ein Konzept geben. Da wir genug Interessenten für die Räume haben, wollen wir auswählen, wer zum Haus und zu den anderen Nutzern passt. Wir machen Stadtentwicklung im Kleinen. Was dich als neuen Nutzer in einem "Wächterhaus" erwarten würde, erfährst du auf der nächsten Seite.


Was erwartet mich als neuer Nutzer in dem Haus? Es gibt sanitäre Einrichtungen und auch eine Heizung oder Öfen. Wenn man nur einen Arbeitsraum für seine Holzwerkstatt braucht zum Beispiel, muss man nicht alles schön herrichten. Das kommt immer auf die Wünsche der Nutzer an und auf den Hauszustand allgemein, wie viel noch gemacht werden muss. Nehmen wir an ich möchte eine Etage als Atelier oder Galerie nutzen. Was kostet mich das? Die Hausgemeinschaft übernimmt die Betriebskosten und die laufenden Kosten, die der Eigentümer für das Haus hat, wie die Stadtreinigung zum Beispiel. Dadurch soll der Eigentümer entlastet werden von den Kosten, die er auch für ein leerstehendes Haus hat. Bei einigen Einheiten muss auch eine Miete gezahlt werden. Das sind meist die Häuser, bei denen der Zustand noch sehr gut ist, die schon einmal saniert wurden zum Beispiel. Die Nutzer zahlen an uns als Verein außerdem eine Fördermitgliedschaft für den Aufwand den wir haben. Wir müssen die Eigentümer ausfindig machen und überzeugen, stehen vertraglich zwischen Nutzer und Eigentümer und haften auch für einige Dinge. Die Mitgliedschaft berechnet sich nach genutzter Fläche. Je mehr man nutzt, umso geringer ist der Preis pro Quadratmeter. Wir zielen auf Nutzer ab, die am besten die ganze Etage benötigen. Unser Ziel ist es, Fläche zu verschwenden, weil wir einfach genug davon haben in Leipzig. Wenn die Hausgemeinschaft eigenständig genug ist und in einen direkten Vertrag mit dem Eigentümer eintritt, entfällt der Mitgliedsbeitrag.

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„Meist schweißt es die Partner eher zusammen, wenn sie gemeinsam die Depression überstehen”, sagt Dr. Gabriele Pitschel-Walz.

Illustration: Julia Schubert

Juliana Pantzer Die Nutzer werden zu so genannten „Wächtern“ über das Haus. Sie erkennen Schäden im Haus schneller und schützen das Haus vor Vandalismus. Ist euer Konzept erfolgreich? Unser Konzept ist sehr erfolgreich. In Leipzig gibt es schon zwölf Häuser mit insgesamt 120 Nutzern – dabei werden oftmals aber alle Vereinsmitglieder gezählt. Wir haben auch schon Partner gefunden, die unser Konzept in anderen Städten übernehmen wollen und haben durch die Bundförderung "Nationale Stadtentwicklungspolitik" den Auftrag bekommen, das Konzept national auf Städte zu übertragen, die auch Leerstandsprobleme haben. So gibt es in Halle bereits ein Wächterhaus und in mehreren anderen Städten Kooperationen, bei denen Vereine aktiv geworden sind und die Informationen von uns bekommen haben. Wir haben eine Datenbank mit 200 Interessenten, die angeschrieben werden, wenn wir freie Einheiten haben und die dann zu einem Besichtigungstermin kommen können, um zu schauen, ob ihnen das Haus gefällt. Wir zeigen den Eigentümern, dass es noch etwas zwischen dem Verfall und der Vollsanierung gibt. Möglicherweise sieht es in fünf Jahren an den Standorten der Wächterhäuser schon ganz anders aus, denn die Dynamik und Entwicklung in Leipzig ist noch gut. Was habt ihr für die Zukunft geplant? Natürlich ist es unser Ziel weitere Häuser vor dem Zusammenbruch zu retten. Das Wächterhaus ist eine Idee, wie man so etwas angehen kann, es gibt aber möglicherweise noch andere. Beispielsweise neue Eigentumsformen. Manche Menschen können sich kein vollsaniertes Haus leisten, aber dafür ein unsaniertes, das sie dann ganz langsam selber sanieren. Eine andere Möglichkeit ist, dass sich Genossenschaften bilden und das Haus kaufen. Wir möchten die Grauzone der Möglichkeiten weiter aufheizen, neue Konzepte entwickeln und andere Städte ausreichend informieren, so dass diese diese unserer Idee auch umsetzen. Optimistisch gesprochen möchten wir uns überflüssig machen. Am schönsten wäre es natürlich, wenn der Markt in Leipzig oder in anderen ostdeutschen oder strukturschwachen Städten so stark wird, dass wir nicht mehr gebraucht werden und eine normale Sanierung möglich ist. Dazu müssten auch die Mieten mit den Einkommen in dem Maße steigen, dass das System aus „Ich miete mir eine Wohnung und die ist auch ordentlich in Stand gesetzt“, wieder funktioniert. Gibt es einen besonderen Erfolg für euch bislang? Wir haben das große kommunale Wohnungsunternehmen in Leipzig, die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft (LWB), überzeugt, mit uns zu kooperieren. Wir haben das neueste Wächterhaus von diesem Wohnungseigentümer der Stadt Leipzig bekommen und hoffen jetzt mehr Häuser schnell umsetzen zu können, weil die LWB über viele städtebaulich relevante Häuser verfügt, die noch nicht saniert sind. *** Wer selber ein Wächterhaus nutzen möchte oder mehr über den Verein wissen will, kann sich auf der Seite von HausHalten e.V. informieren.

Text: sabrina-gundert - Fotos: HausHalten e.V., privat

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